Moderne Neubauten statt Paella unter Palmen

Moderne Neubauten statt Paella unter Palmen
Die spanische Stadt Valencia will ihr historisches Fischerviertel El Cabanyal abreißen. So entschlossen die Stadtverwaltung der Mittelmeerstadt ist, so entschlossen wehren sich auch die Bewohner.
26.04.2010
Von Hans-Günter Kellner

Im Cabanyal ist Spanien noch Postkartenmotiv: Enge Gassen schlängeln sich durch das alte Fischerviertel von Valencia. Die Fassaden der kleinen, zweigeschossigen Häuser sind mit Kacheln oder Stuck dekoriert, ihre Bewohner sitzen davor im Schatten unter Palmen. Die Paella am Sonntag bereiten die Nachbarn gemeinsam auf einem großen Gaskocher auf dem Gehweg zu. Doch ein großer Teil des Viertels soll Neubauten weichen und abgerissen werden. Dazu ist die Stadtverwaltung der Mittelmeerstadt entschlossen. Entschlossen wehren sich aber auch die Bewohner.

"Modernisme" an der Küste

"1916" steht über dem Eingang des Hauses von Faustino Villart, die Fassade ist bis zum Dach grün gekachelt. Seine Mutter wurde hier geboren, sein Vater gleich nebenan. Sie spielten als Kinder zusammen, heirateten, auch Faustino kam hier zur Welt. Die Großeltern lebten ursprünglich in einer Holzbaracke. Solche Verschläge prägten das Viertel einst, "Cabanyal" heißt übersetzt nichts anderes als Barackenviertel. Ende des 19. Jahrhunderts ersetzten dann richtige Häuser die Holzverschläge.

Die Bauherren waren einfache Leute, die meisten von ihnen Fischer, Arbeiter in den Werften oder im Hafen. Davon berichtet Vicente Gallart. Er ist Architekt und bewundert die volkstümliche Architektur im Viertel. "Die Leute schauten sich ihren Stil an den Bürgerhäusern in der Innenstadt ab", erklärt er. Zur Jahrhundertwende war der "modernisme" an der Küste "in", eine Art spanischer Jugendstil. Einer ihrer bekanntesten Vertreter war Antoni Gaudí in Barcelona. In Valencia gestalteten die Baumeister abstrakte Formen aus Stuck an den Fassaden und ließen vor allem viele Kacheln anbringen. Die waren leicht im nahe gelegenen Hafen zu bekommen, erklärt Architekt Gallart.

Schneise durch denkmalgeschütztes Viertel

Weil der Hafen in jenen Jahren ausgebaut wurde, wich das Meer immer weiter zurück und parallel zum Strand konnte eine neue Straße entstehen. Das gesamte Viertel liegt heute am Meer. Das soll dem Stadtteil jetzt zum Verhängnis werden, denn die lokalen Behörden sehen im Straßenverlauf einen Sperrriegel vor dem Strand.

9.000 Wohnungen sollen einer neuen, breiten Avenida mit modernen Gebäuden weichen, die erst am Strand endet. Dazu muss ausgerechnet durch den besonders alten Teil des Viertels, der unter Denkmalschutz steht, eine Schneise gezogen werden. Die Stadtverwaltung hat schon mit Abrissarbeiten begonnen. Die Polizei musste die Bauarbeiter gegen die wütenden Anwohner schützen. Jetzt klaffen hässliche Baulücken zwischen den Häusern.

Als Vorbild dient Valencia dabei Barcelona, wo Stadtentwicklung seit Anfang der 90er Jahre auch bedeutet, ganze Straßenzüge abzureißen, insbesondere im alten, verruchten Hafenviertel. Barcelona habe sich damit zum Meer hin "geöffnet", heißt es. Heute durchkreuzt eine große "Rambla" den ehemals "chinesisches Viertel" und heute "Raval" genannten Stadtteil bis hin zum Meer.

"Knallhartes Immobilienmobbing"

Doch was sich in Barcelona auch mit sozialen Gründen rechtfertigen ließ, gilt für das Cabanyal nicht. In Barcelona standen hohe und triste Wohnblöcke einst so dicht aneinander, dass selbst in höhere Stockwerke kaum Licht fiel, die Wohnungen waren klein und eng.

Das Cabanyal in Valencia hingegen macht einen hellen Eindruck. Kinder spielen Fußball auf der Straße, am Abend stehen die Haustüren zum Lüften weit offen. Doch die Stadt lasse das Viertel verkommen, sagen seine Bewohner. Sie kaufe Häuser und kümmere sich nicht um ihre Instandsetzung. Drogensüchtige und Kleindealer besetzten verlassene Gebäude, was die städtische Polizei toleriere. "Knallhartes Immobilienmobbing", nennt das Architekt Vicente. Damit wolle die Stadtverwaltung die Bewohner vertreiben.

Verfassungsbeschwerde gegen Abrisspläne

Faustino Villart bekam vor zwei Jahren einen Brief vom Rathaus. 100.000 Euro bot die Stadt für das Haus seiner Eltern. "Das Grundstück ist 160 Quadratmeter groß, in dem Gebäude sind zwei Wohnungen", sagt er wütend. Drei alte Männer erklären in einer nahe gelegenen Bar, die Stadt biete ihnen für ihre Häuser im Cabanyal 500 Euro pro Quadratmeter. Schon ein Abstellplatz in der Tiefgarage vor der Markthalle koste hingegen mehr als 2.000 Euro, schimpfen sie.

Doch auch für mehr Geld würden sie ihre Elternhäuser wohl nicht verlassen. Sie sprechen von Entwurzelung, Architekt Vicente von einer für die Region Valencia typischen Stadtentwicklung: Entlang der gesamten Küste würden derzeit historisch gewachsene Strukturen durch Beton ersetzt.

Zunächst haben die Umzugsunwilligen im Cabanyal einen Etappensieg errungen: Spaniens Regierung hat gegen die Abrisspläne Verfassungsbeschwerde eingelegt. Bis darüber entschieden ist, müssen die Bagger das Viertel wieder verlassen - und Besucher können mit ihren Kameras noch Postkartenmotive suchen.

epd