Missbrauchs-Gespräche von Skepsis begleitet

Missbrauchs-Gespräche von Skepsis begleitet
Der Runde Tisch der Bundesregierung zum sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen an kirchlichen und anderen Einrichtungen hat seine Arbeit aufgenommen. Die Erwartungen sind gemischt. Das nächste Treffen soll es im September geben.
23.04.2010
Von Bettina Grachtrup

Auf die Frage, was er vom Runden Tisch gegen sexuellen Missbrauch erwartet, hat Norbert Denef eine deutliche Antwort: "Gar nichts." Vom zehnten Lebensjahr an wurde Denef von einem Pfarrer sexuell missbraucht. Als Denef nach 35 Jahren sein Schweigen brach, bot ihm die katholische Kirche rund 25 000 Euro, unter der Voraussetzung, dass er seinen Fall nicht öffentlich macht. Denef erwartet von der katholischen Kirche schon lange nichts Gutes mehr. Der Runde Tisch, der am Freitag seine Arbeit aufnahm und an dem auch die Kirche sitzt, hat in seinen Augen eine Alibifunktion: "Da wird wochenlang geredet, und nichts kommt dabei raus."

Rund 60 Vertreter aus Politik, Kirche und Verbänden sind an dem Runden Tisch beteiligt. Sie wollen über Hilfen für die Opfer beraten und Konzepte zur Vorbeugung diskutieren. Die Bundesregierung setzte das Gremium ein, nachdem immer mehr Fälle sexuellen Missbrauchs in kirchlichen und anderen Einrichtungen ans Tageslicht kamen. Opfer können sich auch an die unabhängige Missbrauchsbeauftragte Christine Bergmann (SPD) wenden. Sie will wissen, was die Betroffenen in ihrer Situation gebraucht hätten. Die Vorschläge sollen in den Runden Tisch einfließen. Das Gremium wird von den drei Ministerinnen Kristina Schröder (CDU, Familie), Annette Schavan (CDU, Bildung) und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP, Justiz) geleitet.

"Viele Straftaten verjährt"

Neben dem Thema Vorbeugung geht es auch um die juristischen Konsequenzen und um das schwierige Thema Entschädigung. "Viele der Straftaten, über die wir heute reden, sind längst verjährt. Aber Verantwortung verjährt nicht", sagt Ministerin Schröder. Die Täter können oft nicht mehr belangt werden - viele von ihnen sind bereits gestorben. Im Gespräch sind eine Verlängerung der zivilrechtlichen und strafrechtlichen Verjährungsfristen. Das aber hilft den Opfern der Vergangenheit wenig. Nach Angaben des Justizministeriums können längere Fristen nicht nachträglich auf die Taten angewandt werden.

Die Opfer sollen dennoch eine Anerkennung für ihr Leid bekommen. Aus der Kirche hieß es bislang, eine finanzielle "Wiedergutmachung" oder "Entschädigung" könne es nicht geben - das sei schon vom Begriff her nicht möglich. Die Kirche denkt aber über einen Opferfonds nach; das deutete der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke am Donnerstagabend in der ZDF-Sendung "Maybrit Illner" an. Das Thema Entschädigung liege auf dem Tisch, sagt Leutheusser- Schnarrenberger. "Aber es ist auch richtig und wichtig zu sagen: Das wird schwierig." Sie verwies auf den schon länger arbeitenden Runden Tisch Heimkinder, der die Zustände in deutschen Kinderheimen aufarbeitet. Er habe einen Zwischenbericht vorgelegt. "Da steht auch jetzt noch die schwierige Frage einer materiellen Entschädigung an."

Unabhängige Kommission fehlt

Zu Beginn der Debatte regte die FDP-Politikerin Leutheusser-Schnarrenberger eine unabhängige Untersuchungskommission zur Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in der Kirche an. Dies war aber mit der Kirche und dem Koalitionspartner nicht zu machen. Die fehlende unabhängige Kommission ist nun ein wesentlicher Kritikpunkt - auch der Grünen. Deren Chefin Claudia Roth forderte: "Wir brauchen eine unabhängige Untersuchungskommission, die die Missbrauchsfälle umfassend dokumentiert und nach ihrer strafrechtlichen Relevanz überprüft." Das könne nicht Sache von Runden Tischen sein, "bei denen für Opfer und Täter das Prinzip der gleichen Augenhöhe gilt".

Oppositionspolitikerinnen äußerten sich skeptisch, ob die Beratungen zu konkreten Ergebnissen führen. Die Kinderbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, Marlene Rupprecht, sieht die Themenbreite des Runden Tisches kritisch. Zwar passiere sexueller Missbrauch am häufigsten in Familien, dennoch wäre es aus ihrer Sicht besser gewesen, den Runden Tisch auf Missbrauch in Institutionen zu beschränken. Die stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Ekin Deligöz, sagte, es habe weder eine inhaltliche Diskussion noch eine Klärung der Vorgehensweise des Gremiums stattgefunden.

Zwischenbericht bis Jahresende

Die Missbrauchsbeauftragte Bergmann wies schon darauf hin, dass die Beratungsstellen für Missbrauchsopfer an ihren Grenzen arbeiten, seitdem das Thema so viel öffentliche Aufmerksamkeit bekommt. "Damit müssen wir uns auseinandersetzen, wenn wir ortsnah gute Beratungen anbieten wollen." Damit erinnerte sie indirekt daran, dass es mit guten Absichten und Vorsätzen nicht getan ist, sondern das man vor allem auch eines braucht, um den Opfern zu helfen: Geld. Der Runde Tisch will im September wieder zusammentreten. Zum Jahresende soll mindestens ein Zwischenbericht vorliegen.

dpa/epd