Es bleibt dabei: "Nichts ist gut in Afghanistan"

Es bleibt dabei: "Nichts ist gut in Afghanistan"
Erneut sind deutsche Soldaten bei ihrem Einsatz in Afghanistan ums Leben gekommen. Der Satz "Nichts ist gut in Afghanistan" behält seine Gültigkeit. Ein Rückzug der Bundeswehr muss diskutiert werden.
16.04.2010
Von Christof Vetter

"Nichts ist gut in Afghanistan" hat die ehemalige Bischöfin Margot Käßmann in ihren weihnachtlichen Predigten gesagt und ist dafür als "naiv und blauäugig" gescholten worden. An Ostern sind drei deutsche Soldaten in Särgen in ihre Heimat zurückgekehrt, nachdem sie Karfreitag in einen Hinterhalt geraten sind. Gestorben sind sie, nachdem sie mit Kameraden in das längste Gefecht mit deutschen Soldaten seit 1945 verwickelt wurden. Weitere von ihnen sind dabei zum Teil schwer verletzt worden. Nun haben uns weniger als zwei Wochen danach wieder Nachrichten erreicht, dass vier weitere deutsche Soldaten in Afghanistan gefallen sind und andere dieses Gefecht nur schwerverletzt überlebt haben. Eines muss klar sein: Wir – die deutsche Bevölkerung – wollen uns 65 Jahre nach Ende des Krieges nicht wieder an tägliche Nachrichten über gefallene Soldaten "gewöhnen" – und auch nicht an wöchtenliche.

Einer der Verletzten von dem Gefecht am Karfreitag hat sich in einem Interview mit einer auflagenstarken Sonntagszeitung geäußert: "Ich bin Protestant, ich glaube an etwas, was man Gott nennt. Ich habe in dieser Zeit gebetet." Das erinnert fatal an Geschichten, die nach dem Krieg geborene Menschen in ihrer Jugend von ihren Religionslehren hörten, die am zweiten Weltkrieg teilgenommen haben. Immer mit dem Unterton: Damals in der Schlacht war mir Gott nah, ihr müsst deshalb akzeptieren, dass es Gott gibt. Es ist erschreckend, dass 65 Jahre nach Kriegsende deutsche Soldaten wieder in Situationen geraden, dass sie anschließend solche Geschichten erzählen müssen. Eines ist dabei klar: Sie müssen es erzählen können, wenn sie es erlebt haben. Deshalb muss es Ziel sein, solche Situationen zu verhindern. Vermutlich sind sich alle Demokraten in diesem Ziel einig – und doch ist es eine Folge demokratischer Entscheidungen, dass nun deutsche Soldaten von ihrem Auslandseinsatz in Särgen zurückgeflogen werden.

Wer möchte diese Verantwortung tragen?

Wie betroffen von diesen Nachrichten auch die verantwortlichen Politikerinnen und Politiker sind, ist den Gesichtern anzusehen, ihren Worten abzuspüren. Und ganz ehrlich: Wer möchte diese Verantwortung tragen? Und diese Frage stellt sich wohl wissend, dass weder die Bundeskanzlerin noch der Verteidigungsminister in dieser Aufgabe waren, als die Grundsatzentscheidung gefallen ist, Bundeswehrsoldaten in den Hindukusch zu schicken. Doch sie müssen nun erklären, was unerklärlich bleibt: den Eltern und Ehefrauen, den daheim gebliebenen Soldatinnen und Soldaten, den Kindern der Gefallenen und allen Menschen in Deutschland.

Und bei aller Diskussion um den Einsatz in Afghanistan und aller Wut und Trauer nach den Nachrichten der vergangenen Wochen, kann und darf manches nicht nicht in Frage gestellt werden: Ja, Deutschland muss andere Staaten und Gesellschaften unterstützen, einen Weg in die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu finden – wenn es sein muss auch am Hindukusch. Ja, des Volkes Stimme will nach den Erfahrungen der letzten Wochen dass die deutschen Soldatinnen und Soldaten schnellstmöglich nach Deutschland zurück kommen. Ja, alle gemeinsam – politische Mandatsträger und Wählerinnen und Wähler, wollen auf gar keinen Fall, dass weitere "Gefallene" zu beklagen sein müssen. Ja, die Christen in Deutschland beten für die Soldaten, die in Afghanistan eine schwere Mission um der Demokratie willen auf sich genommen haben. Aber eben auch Ja: Wir brauchen mehr Fantasie um des Friedens willen, damit Menschen leben können und nicht getötet werden.

Der Einsatz fordert Menschenleben

Doch die Lösung kann nicht lauten, dass alle, die eine deutsche Uniform tragen, morgen in Flugzeuge steigen und zurück kehren. Aber die deutsche Bevölkerung erwartet jetzt von ihren Politikerinnen und Politikern, dass sie just in diesem Moment ohne jeglichen Verzögerung planen, wie es zu einem vernünftigen und politisch verantworteten Rückzug aus Afghanistan kommt. Afghanistan braucht den Aufbau und die Unterstützung. Das ist unbestritten richtig. Aber vielleicht ist der militärische Einsatz unter Gefährdung von Menschenleben dafür nicht der richtige Weg. Und dieser Überlegung müssen sich alle stellen – die, die es von allem Anfang an gesagt haben, und die, die gehofft haben, dass militärische Präsenz zum Frieden beitragen kann. Und dabei hilft die semantisch juristische Debatte, ob das,was am Hindukusch passiert, ein Krieg ist, nicht weiter. Bildhaft gesprochen: Es ist nicht "kriegsentscheidend", ob man das Geschehen dort umgangssprachlich als Krieg bezeichnen darf, obwohl es völkerrechtlich wohl keine ist: Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan fordert Menschenleben, die in Gefechten ihr Leben lassen müssen. Das ist die entscheidende Tatsache.

"Nichts ist gut in Afghanistan." Das war im Dezember vergangenen Jahres nur zu Ende gedacht, was christliche Überzeugung ist: "Krieg darf nach Gottes Willen nicht sein!" Das hat der Ökumenische Rat 1948 unumwunden festgestellt. Das war aber auch nur zu Ende gedacht, was in der jüngsten Friedensdenkschrift der EKD so heißt: "Wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten. Wer aus dem Frieden Gottes lebt, tritt für den Frieden in der Welt ein." Draus folgt zwingend, die Frage, die immer wieder neu zu stellen ist, nämlich, ob mit einem solchen Krieg wie dem in Afghanistan wirklich für den Frieden eingetreten werden kann.

"Nichts ist gut in Afghanistan." Dieser Satz war an Weihnachten richtig – und ist es bis heute geblieben, denn so eng liegen Weihnachten, Karfreitag und Ostern beisammen: Die Engel verkünden den Hirten den Frieden auf Erden, am Karfreitag sterben friedlos Menschen einen gewaltsamen Tod und Ostern fordert die Fantasie heraus, die Macht einer unendlichen Todesspirale zu besiegen.


Christof Vetter ist Geschäftsführer des Lutherischen Verlagshauses Hannover. Davor leitete er bis Dezember 2008 sechs Jahre lang die Pressestelle der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).