Wahlen im Irak: Gewalttätiger Schritt zur Demokratie

Wahlen im Irak: Gewalttätiger Schritt zur Demokratie
Überschattet von blutigen Anschlägen mit Dutzenden Toten haben die Iraker am Sonntag ein neues Parlament gewählt. Aufständische feuerten Raketen und Mörsergranaten unter anderem auf Wahllokale. Augenzeugen und lokale Medien berichteten von insgesamt 38 Toten, rund 80 Iraker wurden landesweit verletzt. Ungeachtet der Gewalt lag die Wahlbeteiligung nach ersten Schätzungen landesweit zwischen 50 und 65 Prozent.

Die Attacken konzentrierten sich auf den Großraum Bagdad und die Provinz Ninive. In einem Viertel im Norden der irakischen Hauptstadt wurden allein 13 Menschen unter Trümmern begraben, als eine Katjuscha-Rakete in ihr Haus einschlug. Im kurdischen Norden und im schiitischen Süden des Landes verlief die Abstimmung dagegen friedlich. "Es ist fast wie ein Picknick", sagte ein Beobachter in der kurdischen Stadt Erbil. Einige Wähler konnten ihre Stimme nicht abgeben, weil ihre Namen nicht auf den Wählerlisten standen.

Es war die zweite Parlamentswahl seit dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein durch die US-geführte Invasion im Frühjahr 2003. Unter Saddam hielten die Sunniten Schlüsselpositionen in Staat und Armee besetzt. Heute werden zahlreiche Ministerien von schiitischen Parteien kontrolliert. Die gesamten Sicherheitskräfte des Landes - rund eine halbe Million Mann - waren am Sonntag im Einsatz, um die Wahl zu sichern. Alle Landesgrenzen und der internationale Flughafen von Bagdad waren vorsorglich geschlossen worden.

6.300 Kandidaten standen zur Wahl

In Bagdads vorwiegend von Schiiten bewohnter Vorstadt Sadr-City bildeten sich lange Schlangen vor den Wahllokalen. Manche Wähler zogen es allerdings vor, zu Hause zu bleiben, nachdem in ihren Vierteln Granaten und Katjuscha-Raketen eingeschlagen waren. Insgesamt waren 18,9 Millionen Iraker aufgerufen, die 325 Sitze im Parlament zu bestimmen. Rund 6.300 Kandidaten standen zur Wahl, erste Ergebnisse werden in einer Woche erwartet. Auch mehr als zwei Millionen Exil-Iraker im Ausland durften wählen, so in Berlin-Moabit, wo sich Frauen und Männer wie in der Heimat getrennt anstellten.

Trotz der Gewalt erklärte der schiitische Ministerpräsident Nuri al-Maliki nach der Stimmabgabe: "Wir begehen heute einen Festtag, nachdem wir viele Schwierigkeiten zu überwinden hatten." Sunnitische Prediger und Politiker appellierten noch am Wahltag eindringlich an ihre Glaubensbrüder, trotz der Terroranschläge wählen zu gehen. "Bitte, bleibt nicht zu Hause sitzen, sondern füllt alle Wahlzettel aus, damit niemand das Ergebnis fälschen kann!", sagte der Vorsitzende der Nationalen Dialog-Front, Saleh al-Mutlak.

Die Iraker ringen seit dem Sturz von Diktator Saddam Hussein im April 2003 um eine politische Neuordnung. Im vorigen Sommer waren die amerikanischen Truppen aus den Städten und Dörfern abgezogen. Für die US-Regierung ist es wichtig, dass der politische Prozess im Irak nicht ins Stocken gerät, damit sie ihren Truppenabzug wie geplant fortsetzen kann. Ende 2011 sollen die bislang noch 96 000 Amerikaner im Irak das Land alle verlassen haben.

Obama gratuliert, Wahlkommission kritsiert

US-Präsident Barack Obama gratulierte den Irakern zum Wahltag. "Ich habe großen Respekt vor den Millionen von Irakern, die es ablehnten, sich von Gewalt abschrecken zu lassen und stattdessen ihr Wahlrecht ausübten", teilte Obama am Sonntag mit. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton versprach den Irakern Hilfe: "Die EU wird den Irak weiterhin dabei unterstützen, das Land aufzubauen und das politische System wieder zu etablieren - einschließlich des Übergangs zur Demokratie." Außenminister Guido Westerwelle lobte auf seiner Südamerikareise den "Mut der vielen Frauen und Männer, die sich durch ihre Beteiligung an der Wahl zur Demokratie bekannt haben". Zugleich verurteilte er die Anschläge.

Die irakische Wahlkommission kritisierte den aus ihrer Sicht mangelhaften Schutz der Wähler. Der Vorsitzende der Kommission, Farradsch al-Haidari, erklärte jedoch nach Schließung der Wahllokale, die Attacken hätten letztlich nicht mehr verursacht "als einen Stum im Wasserglas". Die streng gesicherte Grüne Zone von Bagdad, in der die Politiker wählten, wurde von vier Mörsergranaten getroffen. Dort wurde aber niemand verletzt.

In der nördlich von Bagdad gelegenen Stadt Mossul wurden fünf Wahllokale geschlossen, nachdem eine Mörsergranate eingeschlagen war. Sechs Wahlbeobachter wurden verletzt. Ebenfalls in Mossul wurden ein Lokalpolitiker und acht seiner Begleiter verletzt, als ihr Konvoi unter Beschuss geriet. In einigen Nord-Provinzen fielen schiitische Polizeieinheiten negativ auf, die Wähler zwingen wollten, ihre Stimme einem der beiden großen Schiiten-Wahlbündnisse zu geben. In der Ortschaft Al-Scharkat wurde der schiitische Kommandeur einer Einheit deshalb von seinem kurdischen Vorgesetzten auf der Stelle entlassen.

dpa