Haiti: Milliarden für den Wiederaufbau?

Haiti: Milliarden für den Wiederaufbau?
Das von einem Erdbeben zerstörte Haiti braucht nach Einschätzung des Präsidenten der benachbarten Dominikanischen Republik, Leonel Fernández, mindestens zehn Milliarden Dollar (sieben Milliarden Euro) internationale Wiederaufbauhilfe. So gab die Onlineausgabe der Zeitung "Listín" (Dominikanische Republik) den Staatschef am Montag (Ortszeit) wieder.
19.01.2010
Von Jan-Uwe Ronneburger

Fernández sprach bei einem Arbeitstreffen über die Haiti-Hilfe in der dominikanischen Hauptstadt Santo Domingo. "Wir gehen überschlägig davon aus, dass Haiti so um die zwei Milliarden Dollar pro Jahr benötigen wird", um das Land wieder aufzubauen und die Institutionen zu stärken. Das Hilfsprogramm müsse eine Laufzeit von mindestens fünf Jahren haben, fügte Fernández hinzu. Die Hilfsmilliarden könnten aber nur effektiv eingesetzt werden, wenn das Programm "international abgestimmt" und "in Haiti zielgerichtet und geplant" eingesetzt werde, warnte Fernández.

Davon allerdings war die tatsächliche Lage in dem bitterarmen Karibikstaat weit entfernt. Dort sollten ausländische Sicherheitskräfte mit einem Großeinsatz für mehr Ordnung in den chaotischen Zuständen sorgen. Knapp eine Woche nach der Naturkatastrophe mit geschätzten 200.000 Toten wird der Überlebenskampf Hunderttausender Opfer trotz Hilfe immer härter. Die Regierung rief am Montag den Ausnahmezustand aus. Der Karibikstaat kündigte den Bau riesiger Zeltstädte für geschätzte 1,5 Millionen Obdachlose an.

Haiti-Experte skeptisch

Die Geldgeber sollten von einem Komitee für die Koordination der internationalen Haiti-Hilfe ausgesucht werden, sagte Fernández weiter. Diesem Komitee, das seinen Sitz in der Dominikanischen Republik haben sollte, müssten die Karibik-Gemeinschaft (Caricom), die UN, die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), die EU sowie die USA, Kanada, Brasilien, Mexiko und die Interamerikanische Entwicklungsbank angehören.

Um die Abhängigkeit Haitis vom Ausland und von Lebensmittelimporten langfristig zu verringern, müsse die Landwirtschaft angekurbelt, die Infrastruktur verbessert und der Tourismus entwickelt werden. "Ich bin davon überzeugt, dass Haiti ein Land ist, dass den Wiederaufbau und die Modernisierung mit internationaler Hilfe auf jeden Fall meistern kann", sagte Fernández. "Alleine aber wird Haiti das nicht schaffen, sondern es braucht uns alle dabei".

Der Berliner Schriftsteller und Haiti-Experte Hans Christoph Buch äußerte sich in einem dpa-Gespräch jedoch skeptisch. "Die internationale Gemeinschaft ist nicht beliebt in Haiti, da sollte man sich keine Illusionen machen. Aus Sicht der armen Leute sind das die, die in klimatisierten Autos an ihnen vorbeifahren und in schönen Häusern wohnen", sagte Buch. Sollte es mit massiver internationaler Hilfe gelingen, den Zustand aus der Zeit vor dem Erdbeben wiederherzustellen, wäre das schon positiv.

Erste Opfer gewaltsamer Auseinandersetzungen

In der vom Erdbeben zerstörten haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince gab es nach Angaben von Ärzten die ersten Opfer gewaltsamer Auseinandersetzungen. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen berichtete in einer Telefonkonferenz von Menschen mit Schuss- und Stichverletzungen. Auch am Flughafen seien Schüsse zu hören gewesen.

Obwohl die humanitäre Hilfe laut UN-Welternährungsprogramm (WFP) von Tag zu Tag besser organisiert ist, gingen viele Menschen leer aus und machten ihrem Zorn Luft. Der Flughafen und die Zugangsstraßen zur Hauptstadt waren nach Angaben des UN-Koordinationsbüros für humanitäre Hilfe (OCHA) jedoch weiter völlig überlastet. Am Montag traf der ehemalige US-Präsident Bill Clinton in Haiti ein, um sich ein Bild über die benötigte Hilfe zu machen.

Traumatisierte Kinder irren allein durch die Straßen

Retter im Katastrophengebiet berichten weiter über große Not und verzweifelte Szenen. Manchen Verletzten würden zerquetschte Gliedmaßen auf offener Straße amputiert, schilderte ein Mitarbeiter der Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen". Am Vortag habe ein umgefallener Baumstamm als OP-Tisch gedient. "Es gibt keine Alternative, es ist eine Entscheidung zwischen Leben und Tod."

Besonders gefährdet sind nach Angaben des Kinderhilfswerks terre des hommes tausende traumatisierte Kinder, die allein durch die Straßen irrten. In Kinderheimen sei die Lage katastrophal, berichteten Helfer. Das Kinderhilfswerk warnte auch vor Kinderhändlern und Schleppern. Die würden erfahrungsgemäß Notlagen wiejetzt in Haiti ausnutzen.

dpa