Im Sog des Terrorismus: Wird der Jemen ein zweites Afghanistan?

Im Sog des Terrorismus: Wird der Jemen ein zweites Afghanistan?
Seit dem vereitelten Attentat auf ein US-Flugzeug an Weihnachten gerät der Jemen in den Fokus der Terrorismus-Bekämpfung. Denn der dortige Zweig des Terrornetzwerks El Kaida bekannte sich zu dem versuchten Anschlag. Der mutmaßliche Täter aus Nigeria soll Ausbildung und Sprengsatz im Jemen erhalten haben. Das südarabische Land läuft Gefahr, ein zweites Afghanistan zu werden: ein Land, in dem terroristische Gruppen Unterschlupf finden.

Jemens Präsident Ali Abdallah Saleh gilt als Verbündeter der USA. Nach dem 11. September 2001 war er einer der ersten arabischen Staatsmänner, der den Vereinigten Staaten Hilfe im Antiterrorkampf anbot. Seitdem erhält der Jemen von den westlichen Staaten verstärkte finanzielle Unterstützung, die dringend benötigt wird. Er ist auch Schwerpunktland der deutschen Entwicklungshilfe.

Einst "Glückliches Arabien"

Der Jemen ist mit einer Fläche von 530.000 Quadratkilometern etwa eineinhalb Mal so groß wie Deutschland und hat 23 Millionen Einwohner. "Arabia Felix" - "Glückliches Arabien" hieß das Land einst, auch soll von hier die sagenumwobene Königin von Saba stammen. Bekannt ist der Jemen für den Weihrauch, die Droge Kat und seine Hafenstadt al-Mucha (Mokka), von der aus der Kaffee seinen Siegeszug rund um den Globus antrat. Die Altstadt zählt ebenso wie die aus Lehm errichteten Wolkenkratzer im Wüstenort Schibam zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Heute ist der Jemen jedoch mit Abstand das ärmste arabische Land. Nach dem UN-Index der menschlichen Entwicklung steht es auf Platz 140 von 182 klassifizierten Ländern. Das größte Problem ist das hohe Bevölkerungswachstum, mit dem weder die wirtschaftliche Entwicklung noch die knappen Wasserressourcen mithalten können. In den nächsten zehn Jahren wird der Jemen seine Bevölkerung voraussichtlich verdoppeln. Eine Frau bekommt im Durchschnitt 5,5 Kinder, zwei Drittel der Jemeniten sind unter 25 Jahre alt..

Wichtigstes Geberland ist Deutschland. Die Bundesregierung sagte für 2009/2010 knapp 80 Millionen Euro Entwicklungshilfe zu. Das Geld ist vor allem für die Sicherung der Wasserversorgung, den Ausbau des Bildungswesens, Gesundheit und Familienplanung bestimmt. Wegen der Gefahr von Terroranschlägen und Entführungen rät das Auswärtige Amt aber von Reisen in den Jemen ab.

Verschleppte Familie aus Sachsen offenbar noch am Leben

Jemens Präsident versucht, seine Position zu festigen, indem er das Militär kontrolliert und mächtige Stammesführer in seine Politik einbezieht. Wer regieren will, müsse sich mit den Stämmen vor allem im Norden arrangieren, heißt es. Wird ihren Wünschen nicht entsprochen, entführen sie Ausländer, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Dem deutschen Diplomaten Jürgen Chrobog erging es so im Jahr 2005. Er kam glücklich wieder frei.

Zwei im Juni 2009 entführte deutsche Studentinnen wurden dagegen zusammen mit einer Südkoreanerin ermordet. Eine mit ihnen verschleppte fünfköpfige Familie aus Sachsen ist aber offenbar noch am Leben: Am Donnerstag berichtete der stellvertretende Regierungschef Raschad al Alimi, es gebe ein Lebenszeichen.

Unverhüllte Frauen - das war einmal

Die islamische Republik Jemen gilt als einzige Demokratie auf der Arabischen Halbinsel. Jahrzehntelang war das Land geteilt. Im Frühsommer 1990, ein halbes Jahr vor der deutschen Wiedervereinigung, wurden die beiden Landesteile wieder vereint. Der Nordjemen ist bis heute von traditionellen Stammesstrukturen geprägt, der Süden war marxistisch regiert. 99 Prozent der Einwohner sind sunnitische Muslime.

Seit der Wiedervereinigung gibt es ein Mehrparteiensystem. Die Pressefreiheit ist aber immer wieder gefährdet, Wahlen werden von Manipulationsvorwürfen überschattet. Das benachbarte Königreich Saudi-Arabien sieht die demokratischen Ansätze mit Misstrauen. Deshalb versucht der Ölstaat, einen strengen wahabitischen Islam im Jemen zu verbreiten.

Vor 30 Jahren waren auf Jemens Straßen noch viele Frauen mit unverhüllten Gesichtern und traditionell bunter Kleidung zu sehen. Heute tragen fast alle Jemenitinnen schwarze, weite Gewänder, Kopftücher und Gesichtsschleier - wie die saudischen Frauen.

El Kaida nutzt Zerrissenheit und Schwäche des Staates

Dadurch fühlen sich die schiitische Minderheit der Huthis bedroht. Seit 2004 kämpfen Rebellen gegen die Regierung, weil sie ihre schiitisch-zaiditische Kultur bedroht sehen und vor einem sunnitisch-wahabitischen Einfluss verteidigen wollen. Im Norden kämpft die Armee auch gegen Aufständische, die mit Al Kaida in Verbindung stehen. Mehr als 150.000 Menschen sind bereits geflohen.

Die Regierung geht auch gegen Separatisten im Süden vor, die für die Unabhängigkeit des wohlhabenderes Landesteils kämpfen. In dieser Situation nutzt El Kaida die Zerrissenheit und Schwäche des Staates. Das Heimatland von Osama bin Ladens Vater scheint dafür ideal: Die Gebirge im Jemen sind schwer zugänglich und Stammeschefs im Norden der Regierung feindlich gesinnt. 

epd