Ägypten: Acht Christen nach Weihnachtsmesse erschossen

Ägypten: Acht Christen nach Weihnachtsmesse erschossen
Die Gläubigen stehen nach dem Gottesdienst in der Nacht noch auf der Straße zusammen und plaudern, als plötzlich ein grüner Fiat mit drei Männern auf sie zukommt. Zwei von ihnen feuern wahllos auf die jungen Christen. Mehrere von ihnen sacken schwer verletzt zu Boden. Schreie gellen durch die Nacht.
07.01.2010
Von Anne-Beatrice Clasmann

Acht koptische Christen und ein muslimischer Wachmann sterben bei dem Anschlag im südägyptischen Nag Hammadi in der Nacht auf Donnerstag - direkt nach dem Weihnachtsgottesdienst. Neun weitere Menschen werden verletzt. Die Verschiebung des Weihnachtsfests um 13 Tage gegenüber dem Westen beruht auf dem alten Julianischen Kalender, an dem die orthodoxen Kirchen festhalten.

Es war der folgenschwerste Angriff auf koptische Christen in Ägypten seit zehn Jahren. Nach der Attacke kam es in der Ortschaft Nag Hammadi zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen wütenden Christen und der Polizei. Dem arabischen Sender Al-Dschasira zufolge waren etwa 2.000 Christen beteiligt.

Bischof: Polizei auch schuldig

"Gütiger Gott, richte diejenigen, die diese Märtyrer auf dem Gewissen haben, die für Jesus gestorben sind", schreibt eine fromme koptische Christin in einem Internet-Forum der ägyptischen Glaubensgemeinschaft kurz nach der Attacke. Doch einige Anhänger des koptisch-orthodoxen Glaubens wollen zunächst einmal Sicherheit und Gerechtigkeit im Diesseits. Sie verlangen, dass sie der ägyptische Staat besser vor der kleinen Minderheit fanatischer Muslime schützt, die Christen wegen ihrer Religionszugehörigkeit tötet.

Die Polizei sei auch schuldig am Tod der jungen Männer, erklärt Bischof Kirollos, bevor er in seiner Kirche vor Tausenden von Gläubigen ein Gebet für die Opfer des Blutbades spricht. Er habe die Polizei vor der Weihnachtsmesse persönlich gewarnt, doch die Beamten hätten nicht die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen getroffen, sagt er. Er geht davon aus, sagte er der Deutschen Presse-Agentur dpa, dass er selbst vermutlich das eigentliche Ziel der Mörder gewesen sei. Als er nach der Messe wegfuhr, habe ihn ein Wagen verfolgt, daraufhin sei er umgekehrt. Als er vor dem Hintereingang des Gotteshauses eintraf, schossen seine Verfolger auf eine Gruppe von Oberschülern, die vor dem Gebäude miteinander plauderten.

"Die Sicherheitskräfte haben geschlafen"

"Die Sicherheitskräfte haben geschlafen", wettert der koptische Aktivist Mamduh Ramsi. Der Anwalt, der in Kairo lebt und aus Nag Hammadi stammt, glaubt, dass die Polizei und die Justiz nicht konsequent gegen "terroristische Gruppen" vorgeht, die Christen angreifen, dadurch fühlten sich diese "motiviert, immer neue Verbrechen zu begehen".

Nag Hammadi liegt etwa 65 Kilometer von Luxor entfernt, in der Provinz Kena. Dort war es bereits im November zu gewaltsamen Übergriffen auf Christen gekommen, nachdem ein junger Kopte festgenommen worden war, der ein muslimisches Mädchen vergewaltigt haben soll. Ob der Verdächtige die Tat begangen hat, ist bislang noch unklar. Die Ermittlungen dauern an. Das Innenministerium erklärte, bei dem Anschlag auf die Kopten habe es sich nun vermutlich um einen Racheakt gehandelt. Aus Sicherheitskreisen in Kena hieß es unterdessen, der Hauptschuldige für die Attacke vom Mittwochabend sei namentlich bekannt. Die Polizei fahnde nun mit Hochdruck nach ihm und seinen zwei Mittätern.

Zerstörte Autos und Tränengas

In Nah Hammadi in Oberägypten, die zu den konservativsten Flecken des Landes zählt, werden derweil die Leichen der getötete jungen Männer den Angehörigen übergeben, die sie gleich begraben wollen. "Unsere Seele und unser Leben opfern wir für das Kreuz", rufen Dutzende von Kopten vor dem Krankenhaus. Sie stoßen Laternenmasten um und attackieren die Polizei mit Steinen. Angehörige der Sicherheitskräfte berichteten später, die Demonstranten hätten zwei Krankenwagen und ein Auto zerstört. Die Polizei habe sie mit Tränengas auseinandergetrieben.

Die ägyptische Regierung und die koptische Amtskirche beschwören in der Öffentlichkeit stets das Bild einer toleranten multikonfessionellen Gesellschaft. Doch unter der Oberfläche brodelt es seit Jahren gewaltig. Obwohl Kopten an den Universitäten und im Arbeitsalltag weitgehend normal miteinander umgehen, fühlen sich viele Kopten angesichts der zunehmenden Islamisierung des ägyptischen Alltags inzwischen als Bürger zweiter Klasse. Die Zahl der Auswanderer ist deswegen unter den koptischen Christen relativ hoch. Viele gut ausgebildete Kopten zieht es in die USA und nach Kanada.

Beim vorhergehenden vergleichbar schweren Zwischenfall im Januar 2000 hatten Muslime in der oberägyptischen Ortschaft Al-Koscheh nach einem Streit 21 koptische Christen getötet. Vor allem in Oberägypten, wo islamistische Terroristen in den 90er Jahren Jagd auf Christen gemacht hatten, kommt es immer wieder zu Ausschreitungen, die sich häufig daran entzünden, dass "ohne Erlaubnis" Kirchen gebaut werden.

Flucht in die Frömmigkeit

Bei einigen Kopten in Ägypten hat die zunehmende Religiosität ihrer muslimischen Nachbarn und Kollegen zu einer Flucht in die Frömmigkeit geführt. Sie beten und fasten mit noch größerer Inbrunst als früher. Anders als in Europa, gibt es in Kairo keine Pfarrer, die vor halbleeren Kirchenbänken die Messe zelebrieren. Dabei leben einige Kopten nicht weniger strikt als strenggläubige Muslime. Das Weihnachtsfest sei im Westen inzwischen so kommerzialisiert, dass es gut sei, dass die koptische Kirche das Fest der Geburt Christi zu einem anderen Termine begehe, heißt es auf einer Website der Koptischen Kirche im US-Bundesstaat New Jersey, denn dadurch könnten die Kopten "fernab der Trunkenheit und Unmoral" des Weihnachtsfestes im Dezember feiern.

Die koptisch-orthodoxe Kirche existiert seit dem ersten Jahrhundert nach Christus und gehört damit zu den ältesten der Welt. An der Spitze steht Papst Shenuda III. In Ägypten sind etwa 15 Prozent der 75 Millionen Einwohner Kopten.

dpa/mit Material von epd