Der kommentierte Aphorismus (XII)

Der kommentierte Aphorismus (XII)
In seiner Kolumne kommentiert Hasso Mansfeld Aphorismen. In dieser Folge hat er sich ein Wort des deutschen Philosophen Arthur Schopenhauer vorgenommen. Thema: Die Wertschätzung anderer Menschen.
21.12.2009
Von Hasso Mansfeld

"Jeder sieht am anderen nur soviel, als er selber auch ist."
Arthur Schopenhauer, deutscher Philosoph, Autor und Hochschullehrer, geboren am 22. Februar 1788 in Danzig und gestorben am 21. September 1860 in Frankfurt am Main.

Schopenhauer will mit diesem Aphorismus ausdrücken, dass das, was ein Mensch sieht, in direktem Zusammenhang zu seinem ganz persönlichen Horizont steht. Was man an anderen Menschen bemerkt, hat unmittelbar etwas mit dem Interesse und der Wertschätzung der eigenen Person zu tun.

Stellen wir uns zwei Menschen vor, die gemeinsam durch einen Wald gehen. Der eine der beiden hat eine enge Beziehung zur Natur und weiß die verschiedenen Pflanzen von einander zu unterscheiden. Der andere ist eher technisch interessiert und kennt nur grob den Unterschied zwischen Laub- und Nadelbäumen. Während der eine im Wesentlichen nur eine grüne Masse sah, hatte der andere eine ganz andere Wahrnehmung. Er erfreute sich an einer überbordenen Vielfalt an verschiedenen Grüntönen. Er sah Fichten, Lärchen, Tannen, Kiefern, Farne, Eichen, Buchen, Birken, Eschen, Heidelbeeren, verschiedenen Moose und Flechten. Er bemerkte den Zustand der Bäume und den des ganzen Waldes.

Genauso verhält es sich mit unserer Wahrnehmung von anderen Menschen. Wer keine Wertschätzung gegenüber dem Menschsein und der Lebendigkeit hat, wird keine Freude an der Existenz und der Kreativität anderer Menschen empfinden können. Wer ständig nur miesmutig und schlecht gelaunt ist, der wird in den anderen Menschen kein Strahlen und keine Lebendigkeit entdecken wollen, weil er es sich selber nicht zutraut. Derjenige hingegen, welcher sich am Geschenk des Lebens erfreuen kann, der wird auch die Fähigkeiten im Miesmutigen entdecken, seine wahre strahlenden Persönlichkeit voll zur Entfaltung bringen zu können. So wie es auch Christian Morgenstern gefordert hat. "Es kommt darauf an, hinter die Oberfläche der Menschen zu sehen und das Leben selbst in ihnen zu lieben."


Über den Autor:

Hasso Mansfeld arbeitet als selbstständiger Kommunikations-Berater. Die Beschäftigung mit philosophischen Fragen ist fester Bestandteil seiner Beratungstätigkeit. Für seine Ideen und Kampagnen wurde er bereits mehrfach ausgezeichnet.