Zwischen Maßkrügen und Maschinenpistolen

Zwischen Maßkrügen und Maschinenpistolen
Das Oktoberfest ist vorbei, genau wie die Rekordzeiten für das größte Volksfest der Welt. Eingerahmt von Polizisten mit Maschinenpistolen und strengen Einlasskontrollen haben dieses Jahr gerade mal 5,7 Millionen Gäste den Weg auf die Wiesn gefunden. Seit 1980 waren nur direkt nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 weniger Besucher da.

Auch diesmal hielt – neben Wirtschaftskrise und Schweinegrippe – die Terrorangst die Besucher des Oktoberfests zurück. Ende September waren mehrere Videos aufgetaucht, Absender Al-Qaida, die Deutschland Terror androhten und unter anderem auch das Müchener Oktoberfest im Hintergrund zeigten. Auch am Sonntag der Bundestagswahl war eine neue Drohung gegen Deutschland in einem islamistischen Forum aufgetaucht. Die Behörden nahmen die Bedrohung ernst.

Passiert ist nichts. Gut, die Sicherheitskräfte sorgten dafür, dass gut 50.000 Maßkrüge weniger als letztes Jahr vom Oktoberfest geklaut wurden. Aber was hätten sie tun können, wenn ein Selbstmordattentäter drei Handgranaten in die Menge an der Sicherheitskontrolle geworfen hätte? Gar nichts. Da hilft dann auch keine Maschinenpistole mehr. Was die Polizisten und Kontrollen an Bahnhöfen und beim Oktoberfest allerdings können, ist das Gefühl der Bedrohung zu erhöhen. Wenn schon solche schweren Geschütze aufgefahren werden müssen, denkt man, dann kann es ja nur schlimm um Deutschland stehen!

Drehen wir den Kalender ein paar Monate zurück und erinnern uns. Bereits im Januar gab es ein Video von Terroristen, in dem ein Islamist namens "Abu Talha" Deutschland mit Anschlägen drohte. Damals wie heute blieben die Drohungen abstrakt, in beiden Fällen sprachen die Behörden von einer verschärften Lage. Das ist verständlich, schließlich ist es Aufgabe des Staates, seine Bürger vor Bedrohungen zu schützen, auch vor Terrorismus.

Mut zur Unsicherheit der Freiheit

Es ist aber auch Aufgabe des Staates, die Demokratie zu erhalten statt sie zugunsten der scheinbaren Sicherheit einzuschränken. Die Unfähigkeit, einen hundertprozentigen Schutz vor dem Terrorismus zu bieten, gehört zu "der unabwendbaren Verwundbarkeit jeder offenen, demokratischen Gesellschaft", schreibt der Terrorismusforscher Bruce Hoffman. Er hat Recht. Mehr Polizei auf den deutschen Straßen kann Menschen wie dem in Solln erschlagenen Dominik Brunner helfen; sie kann den Terrorismus aber nicht aufhalten, wenn er kommt. Dafür braucht man gute Ermittler bei der Polizei, keine automatischen Waffen auf Deutschlands Bahnsteigen.

Wir müssen uns – auch unter einer schwarz-gelben Bundesregierung mit einem möglichen Innenminister Schäuble – zurückbesinnen auf das, was unsere Gesellschaft stark macht: Die Offenheit, jeden willkommen zu heißen und in den gesetzten Grenzen unserer Demokratie als Gleichen unter Gleichen zu akzeptieren. Nur wenn wir unsere Grundrechte auch leben, haben wir die Chance zu zeigen, wie gut sie sind. Es erfordert einen gewissen Mut, in der Unsicherheit der Freiheit zu leben und nicht vor der Bedrohung zu kuschen, aber es ist der gleiche Mut, den Jesus von seinen Jüngern erwartet, wenn er im Matthäus-Evangelium sagt: "Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen." Denn davon, seine Liebe nur denen zu geben, die man bereits kennt, hat niemand etwas.

Die vergleichsweise weniger Menschen, die auf dem Münchener Oktoberfest unterwegs waren, haben sich nicht abschrecken lassen. Sie haben in Zeiten der dreifachen Krise – Terror, Wirtschaft, Schweinegrippe – gezeigt, dass man sich nicht verstecken muss. Und sie haben genauso viel Bier getrunken wie 300.000 Besucher mehr im vergangenen Jahr – bei 6,5 Millionen Maß Bier kann man sich die Polizisten an der Eingangspforte auch wegdenken.