Eine der großen Leitfiguren der Welt

Foto: action press/Jürgen Ritter
Willy Brandt wurde vor 100 Jahren, am 18. Dezember 1913, als Herbert Karl Frahm in Lübeck geboren.
Eine der großen Leitfiguren der Welt
Vor 100 Jahren wurde Willy Brandt geboren
Es war die erste Große Koalition, in der Willy Brandt zum Hoffnungsträger avancierte. In dem Regierungsbündnis von CDU/CSU und SPD, das 1966 die geplatzte bürgerliche Koalition aus Union und Freidemokraten ablöste, legte Brandt als Außenminister den Grundstein für eine neue Ostpolitik: Er sorgte für die Aufweichung der bis dahin durchgehaltenen "Hallstein-Doktrin", die auf eine Isolierung der DDR abzielte.
18.12.2013
epd
Rainer Clos

Drei Jahre später markierte seine Wahl zum Bundeskanzler eine Zäsur in der deutschen Nachkriegsgeschichte - einen "Machtwechsel", wie der Historiker Arnulf Baring die Kanzlerwahl im Oktober 1969 beschrieben hat.

Willy Brandt wurde vor 100 Jahren, am 18. Dezember 1913, als Herbert Karl Frahm in Lübeck geboren. Nach der Machtübernahme der Nazis emigrierte Brandt, der sich 1931 der Sozialistischen Arbeiterpartei angeschlossen hatte, über Dänemark nach Norwegen. Von den braunen Machthabern ausgebürgert, floh er später mit norwegischem Pass unter dem Decknamen Willy Brandt nach Schweden.

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In Berlin, der "Frontstadt" des Kalten Krieges, schloss sich Brandt nach dem Krieg der SPD an, wurde 1957 Regierender Bürgermeister. Das Chruschtschow-Ultimatum von 1958, mit dem die Sowjetunion einen Abzug der Westalliierten forderte, und der Mauerbau 1961 waren für Brandt und seine "heilige Familie" - zu der seine Berater Egon Bahr, Pastor Heinrich Albertz und Klaus Schütz gehörten - die ersten großen Bewährungsproben.

Sein leidenschaftliches Eintreten für die Selbstbestimmung Berlins machte Brandt bundesweit zu einer politischen Figur. Nach zwei Niederlagen als Kanzlerkandidat, in denen er als "deutscher Kennedy" stilisiert wurde, führte er 1966 als Vorsitzender die SPD zum ersten Mal in bundesdeutsche Regierungsverantwortung. Drei Jahre später wurde Brandt mit knapper Mehrheit von der sozialliberalen Koalition zum ersten sozialdemokratischen Regierungschef seit 1930 gewählt.

Willy Brandt 1972 mit Ehefrau Rut und Sohn Matthias.

Seine Ostpolitik unter der Formel "Wandel durch Annäherung" führte zu heftigen Verwerfungen. Bei der Opposition, in Teilen der FDP und bei den Vertriebenenverbänden stießen die Ost-Verträge mit der Sowjetunion, Polen und der Tschechoslowakei sowie der Grundlagenvertrag mit der DDR auf massiven Widerstand.

Ins kollektive Gedächtnis eingegraben haben sich Bilder, die der Brandt'schen Ostpolitik Ausdruck verliehen: Der Kniefall des Kanzlers 1970 vor dem Mahnmal für die Opfer des Aufstandes im Warschauer Ghetto. Als Vertreter des "anderen Deutschlands" tat er Abbitte für die Gräueltaten der Deutschen. Eine weitere Geste, die sich einprägte: Als Brandt anlässlich des Treffens mit dem DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph 1970 in Erfurt war, winkte er den "Willy-Brandt"-Rufern auf dem Bahnhofsvorplatz vom Hotelfenster aus zögerlich zu. Sein Engagement für die Normalisierung der Beziehungen mit den östlichen Nachbarn, die mit dem Verzicht auf Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie einherging, wurde 1971 mit dem Friedensnobelpreis honoriert.

"Mehr Demokratie wagen" als Leitmelodie

Innenpolitisch war für Brandts Kanzlerschaft die Formel "Mehr Demokratie wagen" die Leitmelodie. Reforminitiativen sorgten für Aufbruchsstimmung: Das Wahlalter wurde auf 18 gesenkt, das Betriebsverfassungsgesetz räumte Arbeitnehmern mehr Rechte ein und der Schwangerschaftsabbruch wurde bis zur zwölften Woche straffrei.

Nach dem gescheiterten Misstrauensvotum kam es 1972 zu Neuwahlen. "Drum rat ich 'EsPeDe' zu wählen", mit dieser Fanfare tourte Günter Grass 1972 für die Brandt-SPD durch die Republik. Sein Schriftsteller-Kollege Siegfried Lenz und Hunderte von Intellektuellen, Künstlern, Sportlern und Wissenschaftlern unterstützten die Wählerinitiative.

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Mit der Bundestagswahl 1972 wurde die SPD zur stärksten politischen Kraft und kam als Volkspartei mit mehr als einer Million Mitgliedern in der Mitte der Gesellschaft an. Der ob seiner Integrität verehrte Kanzler war das Leitbild einer ganzen Generation. "In der politischen Pfingstzeit der frühen 70er Jahre wurde er durch die ostpolitischen Pläne, die er verfolgte, für Hunderttausende von jungen Leuten und für einen Großteil der bundesdeutschen Intellektuellen zu einer Art säkularisiertem Heiland", formulierte der Politikwissenschaftler Franz Walter.

Doch dem grandiosen Wahlsieg folgte der innenpolitische Niedergang. Ölkrise, Fluglotsen-Streik, aufbegehrende Jusos waren Herausforderungen, in denen es Brandt an Führung vermissen ließ. Als der Primat der Außenpolitik von negativen wirtschaftspolitischen Daten überschattet wurde, bröselte auch das Charisma des Regierungschefs. Das Ende der Kanzlerschaft kam, als sein Mitarbeiter Günter Guillaume als Stasi-Spion enttarnt wurde. Am 6. Mai 1974 erklärte Brandt seinen Rücktritt. Ihm folgte als Regierungschef Helmut Schmidt.

Brandt: "Sich nicht entmutigen lassen"

Auch nach dem Rücktritt nutzte Brandt seine moralische Autorität, etwa in der internationalen Politik als Leiter der "Nord-Süd-Kommission", die sich für ein besseres Verhältnis zu den Entwicklungsländern einsetzte. Und nach der deutschen Wiedervereinigung warb Brandt unter seinen Landsleuten dafür, sich von dem schwierigen Prozess des Zusammenwachsens nicht entmutigen lassen. "Möge das Gefühl, auf der falschen Seite der Geschichte gestanden zu haben, sich nicht in Mutlosigkeit oder gar in Aggressivität entladen", mahnte er als Alterspräsident des ersten gesamtdeutschen Bundestages. Brandt starb 8. Oktober 1992 im Alter von 78 Jahren in Unkel am Rhein.

Er war "eine der großen Leitfiguren der Welt", sagte Richard von Weizsäcker einmal über ihn. In der Zentrale der SPD, die seinen Namen trägt, ist Willy Brandt unübersehbar präsent - durch eine überlebensgroße Bronzestatue des Bildhauers Rainer Fettig im Foyer. Dass es nach Brandt schwierig war und ist die SPD zu führen, zeigt die lange Riege der Lieblings- und selbst ernannten Enkel des großen Vorsitzenden: Auf Brandts Rücktritt vom Parteivorsitz 1987 folgten bis heute zwölf SPD-Vorsitzende.