"Wehret den Anfängen": Duisburg-Neumühl gegen "Pro NRW"

Foto: Jana Hofmann
Die Demonstration von Pro NRW in Duisburg-Neumühl am 9. November 2013 zog nur wenige Menschen an. Die Kirchengemeinden vor Ort protestierten trotzdem - ihr Motto: "Wehret den Anfängen!"
"Wehret den Anfängen": Duisburg-Neumühl gegen "Pro NRW"
Eine Mischung aus Armut und Zuwanderung macht Duisburg anfällig für rechte Parolen. Kirche und Gewerkschaften wehren sich dagegen, mit einem Schweigemarsch zum Gedenken an die Opfer der Reichspogromnacht. Aber wenige Meter daneben marschieren Rechtsextremisten. Ein Besuch in einem Stadtteil, in dem Toleranz und Ablehnung ganz dicht beeinander liegen.

Die Demonstration darf stattfinden. Das entschied das Bundesverfassungsgericht am späten Freitagabend, nur wenige Stunden vor dem Beginn des 9. Novembers. Die rechtsextreme Vereinigung "Pro NRW" darf durch Duisburg marschieren - 75 Jahre, nachdem die Nationalsozialisten 1938 in ganz Deutschland Synagogen zerstörten. Das Landesverwaltungsgericht in Düsseldorf und das Oberverwaltungsgericht in Münster hatten das Verbot aufrechterhalten. Das Bundesverfassungsgericht nicht.

Angelika Wagner war entsetzt. "Das ist ein Schlag gegen die Demokratie", sagt die Geschäftsführerin der Duisburger Aktionsgemeinschaft für Toleranz und Zivilcourage. Dass sich das Bundesverfassungsgericht von dem Gedenken an 1938 nicht beeindrucken lässt, findet sie "erschreckend".

Sie ist nicht die einzige. Gegen die "Pro NRW"-Demonstration hatten deshalb Kirchen und Gewerkschaften in Duisburg zu einer Gedenkveranstaltung aufgerufen. Gemeinsam gingen sie von Stolperstein zu Stolperstein im Duisburger Stadtteil Neumühl, um die Vergangenheit mit der gegenwärtigen Situation verknüpfen. Denn die Geschichte dürfe sich nicht wiederholen, sagte Duisburgs Superintendent Armin Schneider, der auch Sprecher der Aktionsgemeinschaft für Toleranz und Zivilcourage ist.

Die Stimmung in Neumühl ist aufgeheizt

Neumühl ist ein kleiner Stadtteil im Duisburger Norden, der viele soziale Brennpunkte hat. Eine Gegend, in der viele Familien über Generationen hinweg von Hartz IV oder Sozialhilfe leben, rechtsextreme Parteien bekommen - auch wegen der geringen Wahlbeteiligung - mehr Stimmen als in anderen Stadtteilen. Neumühl ist aber auch multikulturell, das China-Restaurant reiht sich an eine Döner-Bude.

###mehr-artikel###

Nach dem Misslingen des Strukturwandels ist Duisburg allerdings arm und hoch verschuldet, rund 30.000 Menschen haben keine Arbeit. Die Ruhrgebietsstadt ist schon lange von Zuwanderung geprägt, seit den 90er Jahren kommen viele Flüchtlinge. Aber damals habe die Integration noch gut funktioniert, auch im "weltoffenen und toleranten Stadtteil Neumühl", sagte Schneider.

In den letzten Monaten habe sich das aber verändert, die Stimmung aufgeheizt, sagt Schneider, denn immer mehr Menschen suchen in Duisburg Zuflucht. Einerseits wandern seit 2007 vermehrt Menschen aus osteuropäischen Ländern ein. Mittlerweile lebten rund 8.000 Bürger aus Rumänien und Bulgarien in Duisburg. Gleichzeitig steigen deutschlandweit aber auch die Flüchtlingszahlen aus Bürgerkriegsländern wie Syrien, Ägypten und Somalia.

Sie werden nach festgelegten Kriterien und Quote innerhalb Deutschlands verteilt, und damit kommen die Asylsuchenden auch nach Duisburg mit seiner halben Million Einwohnern. Im Vergleich zum Vorjahr verzeichnet die Stadt 47 Prozent mehr Asylanträge. "Pro Monat stellen 100 Menschen einen Asylantrag in Duisburg", sagte Schneider. Das hatte Folgen: "Hier und da hat es in den Stadtteilen auch Stimmung gegen die Flüchtlinge gegeben, was sich auch 'Pro NRW' zunutze gemacht hat", sagte Schneider.

Nicht schweigen wie vor 75 Jahren

Bei einer Demonstration von "Pro NRW" am 5. Oktober in Neumühl unterstützten einige Bürger die Rechtsextremisten, die evangelische Kirchengemeinde in dem Stadtteil initiierte daraufhin die "Neumühler Erklärung" gegen die menschenverachtenden Parolen.

Der Gedenkweg von Kirche und Gewerkschaft in Duisburg-Neumühl am 9. November 2013.

Pfarrer Peter Gördes führt sein Engagement auch auf seinen Glauben zurück: "Wir sind in unserer Bibel dazu aufgerufen, für andere aufzustehen." Aber das sei nur tragfähig, wenn alle zusammenarbeiteten - auch der Karnevals- und Sportverein gehörten dazu.

Auch an diesem 9. November haben einige Einwohner in Neumühl Deutschlandflaggen gehisst. Doch nach Polizeiangaben folgten nur knapp 70 Menschen dem Aufruf von "Pro NRW", die mit dem Slogan "Kein Asyl in Neumühl" auch in den Stadtteilen Rheinhausen und Bergheim zu Demonstrationen aufgerufen hatten.

Bernhard Lücking, Stadtdechant der Katholischen Kirche, forderte in seiner Ansprache lautes Engagement für ein vielfältiges Duisburg. "Die Christen haben vor 75 Jahren geschwiegen, das dürfen wir diesmal nicht!", sagte er. "Wir dürfen nicht zulassen, dass Duisburgs Fremdenfreundlichkeit, kulturelle und religiöse Vielfalt zerstört wird."

Rechte Parolen sind Gift für die Menschenwürde

Auch Superintendent Schneider sieht die Kirchen in der Pflicht, für Toleranz aufzustehen. Rund 300 Menschen sind zur Gedenkveranstaltung gekommen, um ihre Bereitschaft für Toleranz und Integration zu zeigen. 130 von ihnen gehören zur Duisbuger Synode, die für den Schweigemarsch unterbrochen wurde. Die Synodalen verlängerten dafür ihre Sitzung am Abend um zwei Stunden.

###mehr-links###

In seiner Ansprache forderte Superintendent Schneider ein menschenwürdiges Leben für alle - unabhängig von der Herkunft. "Damit dies nie wieder geschehen kann, sagen wir heute: 'Wehret den Anfängen!'" Rechte Parolen seien Gift für eine menschenwürdige Zukunft.

"Wir haben ein beeindruckendes Bild gesetzt für ein tolerantes Duisburg", freute Schneider im Anschluss an die Gedenkveranstaltung. Er sei sehr zufrieden, dass so viele Menschen dem Aufruf gefolgt seien. "Ich bin stolz auf meine Kirche, dass sie die Synode unterbrochen hat", sagte Schneider. Denn die zwei Stunden des Erinnerns und Gedenkens müssen die Synodalen am Abend nachholen. Am 7. Dezember hat "Pro NRW" die nächste Veranstaltung angemeldet. Dann wollen Superintendent Schneider und sein Aktionsbündnis wieder protestieren.