"Goldene Regeln" für Zivilcourage

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"Nicht wegschauen!" fordert Präventionsexperten Norbert Kuntze. Auf Selbstschutz muss dennoch unbedingt geachtet werden. Kuntze nennt sechs "Goldene Regeln" für Zivilcourage.
"Goldene Regeln" für Zivilcourage
Er fühlte sich in seiner Ehre gekränkt: In Verden ist ein junger Mann wegen heimtückischen Mordes angeklagt. Das Opfer wollte nur einen Streit schlichten. Doch was kann man tun, wenn man helfen will und die Situation zu eskalieren droht?
10.09.2013
epd
Dieter Sell

Mit der Verlesung der Anklageschrift hat am Dienstag der Prozess gegen einen 20-Jährigen begonnen, der im März einen Streitschlichter getötet haben soll. Die Anklage warf ihm vor dem Landgericht Verden bei Bremen heimtückischen Mord aus niederen Beweggründen vor. Er habe dem fünf Jahre älteren Daniel S. unvermittelt und mit voller Wucht in den Rücken getreten und auch nicht aufgehört, als dieser schon bewusstlos am Boden lag. Das Landgericht hat bis kurz vor Weihnachten 20 Verhandlungstage angesetzt.

Der Angeklagte, ein schlanker junger Mann mit akkuratem Kurzhaarschnitt, wurde unter strengen Sicherheitsvorkehrungen von Justizbeamten in Hand- und Fußfesseln vorgeführt. Im März war er an einem Streit beteiligt, der in einem Bus auf der Rückfahrt von einer Diskothek begann. An einer Haltestelle vor dem Bahnhof im niedersächsischen Kirchweyhe bei Bremen eskalierte die Auseinandersetzung. Das Opfer Daniel S. wollte schlichten.

Auf Selbstschutz achten

Wer in einem Streit dazwischen geht, sollte nach den Worten des Bremer Präventionsexperten Norbert Kuntze auf den Selbstschutz achten. Wichtig seien sechs "goldene Regeln", erklärt Kuntze.  "Beobachte genau, hole Hilfe, halte Abstand, suche Mitstreiter, kümmere dich um das Opfer und sei Zeuge."

Durch den Fall in Kirchweyhe könnten Augenzeugen davor zurückschrecken, in schwierigen Situationen zu helfen, befürchtet Kuntze, der in Bremen die Initiative "Tu was - zeig Zivilcourage" gegründet hat.

Nicht wegschauen

Doch es sei wichtig, nicht wegzuschauen. "Man muss zuerst darüber nachdenken, ob man sich oder andere in Gefahr bringt oder die Lage dadurch eskaliert", erklärt Kuntze. Wichtig sei es, gegebenenfalls Mitstreiter zu suchen.

###mehr-artikel###Kuntze riet, sich unmittelbar und mit Nachdruck an den Nächsten zu wenden. "Direkt angucken und sagen: Sie müssen mir jetzt helfen." Noch intensiver sei der Satz "Sie helfen mir jetzt und ein anderer ruft die Polizei an". Darauf reagierten Menschen eher, als wenn nur zaghaft gefragt werde. "Können Sie mir vielleicht bitte helfen? Das funktioniert nicht. Wobei denn? Die Leute gucken dann weg, schauen in ihr Handy, verhalten sich passiv."

Zivilcourage bedeute, schon im Kindesalter eine entsprechende Haltung zu entwickeln: "Dass ich eine Meinung habe, zu der ich stehe, dass ich mich für jemanden einsetze." Dazu sei Einfühlungsvermögen nötig. "Für den Nachbarn, den Mitstreiter, den Kollegen, der vielleicht gemobbt wird von anderen. Auch da ist Zivilcourage angebracht."

Gesellschaft ohne Angst und Gewalt

###mehr-links###Kuntze wirbt seit Jahren für einen bundesweiten "Tag der Zivilcourage". Damit könne das Thema noch besser in die Öffentlichkeit gebracht werden. "Wir wollen eine Gesellschaft ohne Angst vor Gewalt."  Er hat 2011 die Initiative "Tu was" ins Leben gerufen. Zu den Gründungsmitgliedern gehören Polizei, Bremer Straßenbahn AG und Bremische Evangelische Kirche.

Bereits nach einer knappen halben Stunde beendete der Vorsitzende Richter Joachim Grebe den ersten Verhandlungstag vor der dritten großen Jugendstrafkammer des Landgerichtes. Am 25. September soll es unter anderem mit ersten Zeugenaussagen weiter gehen.

Mitbürger demonstrierten gegen Ausländerfeindlichkeit

Er sei froh, dass die Anklage ohne Störungen verlesen worden sei, sagte nach der Sitzung Rechtsanwalt Uwe Hoffmann, der die Mutter des Opfers als Nebenklägerin vertritt. "Sie ist kurz vor dem Zusammenbruch."

Ob über den Heranwachsenden nach Jugend- oder nach Erwachsenenstrafrecht geurteilt wird, ist noch nicht klar. Weil der Angeklagte türkische Wurzeln hat, versuchten Rechtsextreme direkt nach der Tat mit Aufmärschen in Kirchweyhe und im Internet, das Geschehen politisch auszuschlachten und Hass gegen Ausländer zu schüren. Die Menschen in der Kleinstadt wehrten sich dagegen mit Mahnwachen vor dem Bahnhof und Demonstrationen, an denen Tausende Bürger teilnahmen.