TV-Tipp des Tages: "Käpt’n Abu Raed" (3sat)

iStockphoto
TV-Tipp des Tages: "Käpt’n Abu Raed" (3sat)
TV-Tipp des Tages: "Käpt’n Abu Raed", 17. April, 22.25 Uhr auf 3sat
Abu Raed arbeitet in der Reinigungskolonne auf dem Flughafen in Amman. Als er im Müll eine Pilotenmütze findet und aufsetzt, halten die Nachbarskinder ihn für einen Flugkapitän.

Kaum zu glauben, wie sehr eine derart schlichte Geschichte zu Herzen gehen kann. Gemäß der vermutlich auch in Jordanien verbreiteten Erkenntnis "Kleider machen Leute" beginnt die Handlung mit dem Fund einer Pilotenmütze. Der alte Abu Raed (Nadim Sawalha) verdient seinen Lebensunterhalt als Reinigungskraft am Flughafen. Er ist zwar in Würde ergraut und außerdem unglaublich belesen, aber eben doch ein einfacher Mann. Mit der Mütze auf dem Kopf jedoch wird er auf dem Heimweg plötzlich von Kindern umringt: Sie halten ihn für einen Flugzeugkapitän und beschwören ihn, von seinen Abenteuern zu berichten. Abu Raed wiegelt ab, aber das wollen sie nicht wahr haben. Und da er das Wissen aus zweitausend Büchern in sich trägt, kann er stundenlang erzählen.

Der eigentlich stille Held, der quasi gezwungenermaßen zum Hochstapler wird, ist das eindeutige Zentrum der Handlung, doch der am American Film Institute in Los Angeles ausgebildete Jordanier Amin Matalqa verknüpft Raeds Erzählungen immer wieder geschickt mit zwei Seitensträngen. Nebenebene Nummer eins bereichert den Film um ein komödiantisches Element: Die schöne Pilotin Nour (verkörpert von der in Jordanien populären TV-Moderatorin Rana Sultan in ihrer ersten Rolle) ist zum Leidwesen ihres Vater stets eigene Wege gegangen; seine Versuche, die stolze Tochter doch noch unter die Haube zu bringen, scheitern auf immer groteskere Weise. Seitenstrang Nummer zwei ist weniger witzig: In Abu Raeds Nachbarschaft lebt der kleine Murad, dessen Vater seine trunkene Wut regelmäßig an der Familie auslässt; Murads Mutter schleicht des öfteren mit den mühsam kaschierten Spuren jähzorniger Gewaltausbrüche durch die engen Gassen Ammans.

Moralische Prinzipien

Mittelsmann zwischen diesen drei Erzählsträngen ist die Hauptfigur: Der misstrauische Murad weiß genau, dass Abu Raed kein Pilot ist. Kurzerhand klaut er seiner Mutter Geld und fährt mit einigen Kumpanen zum Flughafen, wo sie den "Captain" beim Putzen sehen. Abu Raed wiederum lässt sich durch die Entlarvung nicht beirren, zumal er durch Zufall die Bekanntschaft von Nour gemacht hat. Zum Glück bleibt Matalqa Realist: Eine Liebesgeschichte hat er den beiden dann doch nicht angedichtet. Aber die gegenseitige Zuneigung ist so groß, dass Nour dem Putzmann am Ende hilft, Murad und seine Familie vor dem grobschlächtigen Vater in Sicherheit zu bringen, nachdem der sich brutal an seinem Sohn vergangen hat.

Mehrfach beschert das Drehbuch Abu Raed kleine Ausflüge an den Rand der Handlung, die ihn zu einem ganz besonderen Menschen machen; so kauft er zum Beispiel einem Nachbarjungen, der als fliegender Händler arbeitet, jeden Morgen seine Ware ab, damit der Bursche in die Schule gehen kann. Beinahe hätte Abu Raed sogar gegen seine moralischen Prinzipien verstoßen und das Problem mit Murads Vater für immer gelöst. Er besinnt sich noch rechtzeitig und wählt eine andere Lösung, die dem Film ein ebenso überraschendes wie tragisches Ende verschafft.

###autor###

"Captain Abu Raed" ist der erste jordanische Spielfilm, der auch außerhalb des Landes in den Kinos ausgewertet worden ist. Dank der Bildgestaltung des deutschen Kameramannes Reinhart Peschke und der vortrefflichen Darsteller ist Matalqa ein ausgezeichnetes Regiedebüt gelungen. Neben den bemerkenswert gut geführten Kindern ragt vor allem die Leistung des in London lebenden Nadim Sawalha heraus, zumal er den verwitweten Captain nicht mal im Ansatz als wunderlichen alten Knacker verkörpert. Während Sawalha fürs internationale Kino alles andere als eine Entdeckung ist – er hat bereits in zwei "James Bond"-Filmen und neben George Clooney in "Syriana" mitgewirkt -, ist Matalqa mit der Verpflichtung von Rana Sultan, einer Schönheit zwischen Sandra Bullock und der jungen Sophia Loren, ein echter Coup gelungen. Und dann ist da noch die vortreffliche Musik des Amerikaners Austin Wintory, die "Captain Abu Raed" auch akustisch den letzten Schliff gibt.