Gegen Stress: Jeden Tag eine achtsame Bewegung

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Wenn vor lauter Stress gar nichts mehr geht, hilft nur noch eins: Sich ganz bewusst Pausen nehmen.
Gegen Stress: Jeden Tag eine achtsame Bewegung
Es ist eines der Zauberworte gegen Burn-out und Überlastung: Achtsamkeit, die Konzentration auf den Augenblick. Die Übungen können auch helfen, dem täglichen Wahnsinn am Arbeitsplatz zu begegnen, meinen Anti-Stress-Trainer.
01.10.2012
epd
Stefanie Walter

Gaby Möller litt unter Bluthochdruck, war oft hibbelig und schlief abends schlecht ein. Sie begann mit Atemübungen und meditativen Techniken, ließ sich sogar zur Trainerin ausbilden, um "Achtsamkeit am Arbeitsplatz" zu vermitteln - danach brauchte sie nicht nur ihre Blutdrucktabletten nicht mehr.

###mehr-links### "Eine Kollegin sagte: Mensch, Gaby, irgendwie bist du anders geworden", erzählt Möller. Möller liegt voll im Trend: Für mehr Lebensqualität durch einen achtsameren Lebensstil werben alte asiatische, aber auch westliche spirituelle Traditionen. Die Wirksamkeit dieser Praxis scheint jetzt immer mehr von Hirnforschern bestätigt zu werden. "Die Lebenskunst der Achtsamkeit ist die beste Burn-out-Prophylaxe", weiß etwa die in den USA forschende Psychologin und Neurowissenschaftlerin Britta Hölzel. 

Gaby Möllers Ausbilder beim Institut "Giessener Forum", das Coaching-Paar Cornelia Löhmer und Rüdiger Standhardt, haben ihre jahrzehntelangen Erfahrungen jetzt in ein Buch einfließen lassen. Die Publikation "Timeout statt Burnout - Einübung in die Lebenskunst der Achtsamkeit am Arbeitsplatz" (Klett-Cotta Verlag) will Wege "jenseits von Hektik und Stress" aufzeigen.

Mit Achtsamkeit gegen den täglichen Wahnsinn

Standhardt und Löhmer arbeiten mit großen Firmen und Verwaltungen zusammen. "Bisher holten sich die Firmen jemanden von außen." Dieses Prinzip wollen die Trainer jetzt umdrehen. Ihre Idee ist es, Mitarbeiter der Firmen auszubilden, die dann für ihre Kollegen das Achtsamkeits-Training anbieten - denn am Arbeitsplatz finde "der meiste tägliche Wahnsinn" statt, findet der Diplom-Pädagoge und Theologe Standhardt, der gemeinsam mit seiner Frau Cornelia Löhmer, einer promovierten Erziehungswissenschaftlerin, seit 1990 das Institut "Giessener Forum" leitet.

Die Ausbildung dauert ein Jahr. Gaby Möller macht jeden Tag "achtsame Bewegungen": Augen schließen. Einatmend die Arme heben. Ausatmend die Arme senken. "Man konzentriert sich nur auf sich selbst", beobachtet sie. Dabei ist wichtig: Achtsamkeit ist nicht gleich Entspannung - es ist viel mehr, unterstreicht Standhardt. Es ist das Leben im Hier und Jetzt, die Konzentration auf das, was man gerade tut. Viele lebten aber im "Autopilot"-Status, führten Tätigkeiten mechanisch aus, ohne innerlich bei der Sache zu sein. 

"Von all den meditativen Weisheitspraktiken, die sich in den traditionellen Kulturen in der ganzen Welt entwickelt haben, ist Achtsamkeit vielleicht die grundlegendste", urteilt der US-amerikanische Verhaltensmediziner und Molekularbiologe Jon Kabat-Zinn: "Denn Achtsamkeit ist nichts anderes als die Fähigkeit, die wir alle bereits besitzen." Es gehe darum zu wissen, "was geschieht, während es geschieht."

Gefühle durch den Körper wandern lassen

Dazu entwickelte Kabat-Zinn Ende der 70er Jahre für Patienten mit chronischen Schmerzen ein Programm, das er Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR, auf deutsch: "Stressbewältigung durch die Praxis der Achtsamkeit") nannte. Die Teilnehmer seiner Kurse lernten, den Atem zu beobachten, ihren Körper anhand ihrer Empfindungen zu durchwandern, sanfte Yoga- und Achtsamkeitsübungen zu machen.

###mehr-info### In dieser Tradition stehen auch Löhmer und Standhardt. Eine Übung im Buch lautet: "Achtsames Gehen": Standhardt geht durch den Raum, langsam, auf sich konzentriert. "Die Übungen kann man überall machen" - im Aufzug, auf der Treppe, beim Essen, bei der Hausarbeit, beim Zähneputzen.

Man könne "den gesamten Alltag achtsam" gestalten, urteilt auch der Gießener Neuropsychologe Ulrich Ott. Seit einiger Zeit untersuchen Wissenschaftler wie er, was Meditation im Gehirn bewirken kann. Die meditative Achtsamkeits-Praxis verändert den Forschungsergebnissen zufolge tatsächlich Gehirnbereiche, in denen es um Gefühle, Ängste oder Stress geht.

Den Stress direkt im Kopf bekämpfen

"Sehr viel Stress entsteht im Kopf", erklärt Ott. Dort könne man ihn auch wieder reduzieren - etwa durch Achtsamkeitsübungen. Gerade Schmerzpatienten würden davon enorm profitieren, den Studien zufolge aber auch gestresste, aber ansonsten gesunde Teilnehmer.

Der moderne Mensch beantwortet abends seine E-Mails und ist immer aktiv. Dadurch gerate er in ein Hamsterrad der Geschäftigkeit, sagt Ott. Achtsamkeit hingegen bewirke eine "Hinwendung auf die Gegenwart, die Wahrnehmung des momentanen Befindens", schreibt Ott im Vorwort zum Buch "Timeout statt Burnout".

Angesichts steigender Arbeitsbelastung, Krankschreibungen und Burnout-Fällen seien viele Firmen und Verwaltungen inzwischen bereit, etwas zu tun, meinen Löhmer und Standhardt. Wichtig sei Vorbeugung. Es verwundere nicht, dass so viele Menschen erkrankten, wenn sie "alle Signale des Körpers überhören." Standhardt rät daher, "sich selber Zeit zu schenken", "liebevoll mit sich selbst umzugehen" und zu fragen: "Hast du dir heute schon deine Pause genommen?"