"Vor dem Kind sind die Samenspender nicht sicher"

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"Vor dem Kind sind die Samenspender nicht sicher"
Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hatte einen Arzt verpflichtet, den Namen eines anonymen Samenspenders an die heute 20-jährige Tochter herauszugeben. Die Frau, die durch die Samenspende im Essener Zentrum für Reproduktionsmedizin gezeugt wurde, wollte wissen, von wem sie abstamme. Das Urteil, wonach Samenspender kein Recht auf Anonymität haben, könnte Folgen für die Unterhaltsansprüche künstlich gezeugter Kinder haben.
08.02.2013
mit Material von epd und dpa

Schüchtern betritt Sarah P. durch ein Spalier von Kameraleuten den Gerichtssaal. Nur wenige Minuten später verlässt die 21-Jährige freudestrahlend mit ihrem Anwalt den Raum. Über drei Jahre hatte die junge Frau, deren Mutter sich mit Spendersamen befruchten ließ, darum gekämpft, die Identität ihres biologischen Vaters zu erfahren. Das Oberlandesgericht in Hamm gab ihr am Mittwoch Recht.

Zur freien Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen gehöre immer auch das Wissen über seine Wurzeln, so die Richter in der Urteilsbegründung. "Das ist auch ihr gutes Recht", sagte Isabell Götz, Sprecherin des Deutschen Familiengerichtstages. Damit bezog sich das Gericht auf das Grundgesetz und auf eine lange bekannte Rechtsauffassung.

Keine anonymen Samenspenden

Samenspenden kann es damit auch in der Zukunft geben, aber nicht mehr anonym (Az: I-14 U 7/12). Bereits 1989 habe das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass Kinder Anspruch auf Kenntnis ihrer eigenen genetischen Herkunft haben. Andernfalls werde ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht verletzt.

Doch das Urteil könnte weitreichende Folgen haben: Neben dem Aus für die Anonymität könnte ein weiterer Aspekt Spender abschrecken. Samenspender seien vor Unterhalts- oder Erbansprüchen nicht sicher, so Götz, die als Familienrichterin am OLG München tätig ist. "Entscheidend für solche Ansprüche ist immer, wer der rechtliche Vater ist." Spendersamenkinder könnten die Vaterschaft des Partners ihrer Mutter anfechten und den Samenspender als rechtlichen Vater feststellen lassen.

Kind hat lebenslangen Unterhaltsanspruch

Viele Paare mit unerfülltem Kinderwunsch befreien ausdrücklich den Samenspender von künftigen Unterhaltspflichten oder auch erbrechtlichen Ansprüchen. Dann können laut Götz die rechtlichen Eltern keinen Unterhalt vom Samenspender verlangen. Dies gelte aber nicht für das Kind. Grundsätzlich habe das Kind einen lebenslangen Unterhaltsanspruch. Erfahre das Kind, dass sein rechtlicher Vater nicht der biologische Vater ist, könne es die Vaterschaft anfechten und den biologischen Vater zum rechtlichen Vater machen.

"Die Frist, wie lange eine Vaterschaft angefochten werden kann, beträgt zwei Jahre", sagte Götz. Kinder können alleine vor Gericht ab dem 18. Lebensjahr oder später ab Kenntnis über den eigentlichen biologischen Vater die Vaterschaft anfechten.

Der Bundesverband Reproduktionsmedizinischer Zentren Deutschlands fordert daher, Samenspender besser vor Unterhalts- und Erbansprüchen zu schützen. Es gebe auch kein standardisiertes Verfahren, das die Herausgabe von Spenderdaten regelt. Ferner sei unklar, was passiert, wenn der Samenspender keinen Kontakt zum Samenspenderkind wünscht.

1000 Kinder pro Jahr

Der Essener Fortpflanzungsmediziner Thomas Katzorke beruft sich allerdings weiter darauf, dass die Daten zum Vater von Sarah P. nicht mehr vorlägen. Seine Samenbank gilt als eine der größten in Deutschland. Mit den dort eingelagerten Spermienproben wurden bisher 10.000 Kinder gezeugt. Seit der Gründung des Vorläufers der heutigen Samenbank im Jahr 1976 haben rund 700 verschiedene Spender ihr Sperma zur Verfügung gestellt, sagt Katzorke. Damit komme jeder Spender auf bis zu 15 Kindern. Nach Angaben des Arbeitskreises Donogene Insemination (Spendersamenbehandlung) entstehen in Deutschland durch Spendersamenbehandlungen etwa 1000 Kinder pro Jahr.

Welche Folgen das Urteil für die Samenbanken in Deutschland hat, ist aktuell nur schwer abzusehen. Die Zentren, die sich schon vor dem heutigen Urteil längst von der anonymen Samenspende verabschiedet haben, fürchten keine Einbrüche. Der Leiter der Erlanger Samenbank, Andreas Hammel, schlägt bundesweit ein in Bayern bereits eingesetztes, notariell abgesichertes Dokumentationssystem vor, das das Wissen um die Abstammung jedes Spenderkindes auf 100 Jahre sichert. Die in Erlangen bereits lange praktizierte Transparenz zwischen allen Beteiligten sieht auch die Aufklärung über den möglichen späteren Kinderwunsch vor, den Vater kennenzulernen.

Frau wird quasi zum rechtlichen Vater

Auch der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) fordert eindeutige gesetzliche Vorschriften zur Samenspende. Lesbische Paare könnten ein mit Hilfe einer Samenspende gezeugtes Kind adoptieren. "Damit wird eine Frau quasi zum rechtlichen Vater", so LSVD-Sprecherin Renate Rampf. Die Adoption sei aber nur per Antrag möglich. "Wir würden uns wünschen, dass bei einer Schwangerschaft automatisch damit auch die Adoption verbunden und nicht erst ein Antrag erforderlich ist", sagte Rumpf.

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Dass lesbische eingetragene Lebenspartnerschaften über eine Samenspende zu einem Kind kommen, sei derzeit nur in Hamburg und Berlin möglich. In allen anderen Bundesländern würden Ärzte der Empfehlung der Bundesärztekammer folgen, bei lesbischen Paaren keine künstliche Befruchtung mit Hilfe einer Samenspende vorzunehmen.

Letzte Hoffnung Samenspende

Stephan Thomae, Familienrechtsexperte der FDP-Bundestagsfraktion, befürchtet, dass mit dem Urteil des OLG Hamm das Modell der anonymen Samenspende vor dem Ende steht. Nun könne es sein, dass der scheinbar anonyme Spender sich plötzlich mit unangenehmen Unterhalts- und Erbrechtsansprüchen konfrontiert sieht. Hier müsse der Gesetzgeber nach Möglichkeiten suchen, dass weiterhin Samenspenden möglich sind. Schließlich stelle die Samenspende für viele kinderlose Paare die letzte Hoffnung für ein "eigenes" Kind dar.

Sarah P. war bei ihrem Kampf mit Justiz und Ärzten nicht auf Geld aus. Der Verein Spenderkinder bekräftigte, es gehe um Aufklärung und nicht um Unterhaltsklagen oder das generelle Verbot von Samenspenden. Die Kinder wollten wissen, wer für die Hälfte ihrer biologischen Wurzeln verantwortlich ist. So würden sie sich irgendwann vielleicht die Frage stellen, warum sie eine andere Augenfarbe hätten, als die vermeintlichen Eltern.