Versöhnlicher Besuch: Kyrill I. kommt nach Polen

Foto: epd-bild / Wassili Djatschkow
Kyrill I. ist seit Anfang 2009 Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche.
Versöhnlicher Besuch: Kyrill I. kommt nach Polen
Am Donnerstag um 13 Uhr wird am Warschauer Chopin-Flughafen ein rauschbärtiger älterer Herr die Maschine aus Moskau verlassen und polnischen Boden betreten - und damit eine über tausend Jahre alte Schwelle übertreten.

Erstmals wird ein Patriarch, ein Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Polen einen Besuch abstatten. Dabei wird der russische Geistliche den polnischen Präsidenten Bronislaw Komorowski und polnische Abgeordnete treffen. Höhepunkt der Visite ist die Unterzeichnung eines Dokuments zwischen Kyrill I. und Jozef Michalik, dem Vorsitzenden der katholischen Bischofskonferenz. Der Inhalt ist versöhnlicher Art und bislang unbekannt, er soll erst kurz vor der Unterzeichnung eingesehen werden. In einem Ausschuss von jeweils drei Geistlichen wurde der Text seit Februar 2010 ausgehandelt.

"Als Christen entdecken wir nach einer 1000jährigen gleichgültigen, teils feindseligen Nachbarschaft, dass wir eine gemeinsame Aufgabe haben - gemeinsam das Evangelium zu verkünden, Zeugnis des christlichen Erbes zu geben", meinte im Vorfeld Stanislaw Budzik, derzeit Erzbischof von Lublin, der an der Ausarbeitung des Dokuments beteiligt war.

Mit der russischen Delegation will das Episkopat dann am Donnerstag weitere Schritte besprechen, eine feste Gruppe des bilateralen Dialogs soll etabliert werden. Die Versöhnung der beiden Völker und Kirchen solle dabei nicht von oben angeordnet werden, "wir wollen vielmehr die Menschen mitziehen", so Budzik.

Das Misstrauen sitzt tief

Dazu muss das Episkopat vor allem die polnischen Nationalkonservativen überzeugen. Anhänger der Kaczynski-Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) lehnen den Empfang des Patriarchen auf polnischem Boden ab. Das Flugzeug-Unglück bei Smolensk, bei dem im April 2010 der polnische Präsident Lech Kaczynski und 95 polnische Passagiere starben, gilt vielen Rechten Polens als "Anschlag von russischer Seite".

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Das Misstrauen bei den Traditionalisten beider Länder sitzt tief, es lohnt darum ein Blick weit zurück in die Geschichte: Fast gleichzeitig entstanden die römisch-katholische Kirche in Polen und die orthodoxe in Russland - im Jahre 966 ließ sich der polnisch-heidnische Fürst Mieszko der Erste aus tschechischer Hand taufen.

Der Großfürst der Rus, Wladimir, willigte 22 Jahre später in Kiew in die Taufe nach orthodoxem Ritus ein, wodurch er die in Bulgarien entwickelte kyrillische Schrift in sein Reich einführte. Zwischen beiden Reichen kam es von frühauf zu Auseinandersetzungen an der Grenze und zu Schlachten.

Druck von beiden Seiten

Als Beginn des langanhaltenden Konflikts gilt jedoch die Kirchenunion von Brest im Jahre 1596. Der im polnisch-litauischen Verbund konnte dem damals schwachen Zarenreich weite Teile der Ukraine abnehmen. Die dortige orthodoxe Kirche geriet unter Druck; sechs Bischöfe wechselten die Seite, sie unterstellten sich dem Vatikan. Orthodoxe Geistliche, die sich darauf nicht der neuen "griechisch-katholischen Kirche" anschließen wollten, wurden verfolgt.

Seitdem sehen sich die Orthodoxen Russlands durch "Proselytenmacherei” durch Abwerben des Glaubens, von polnisch-katholischer Seite bedroht. Auch versuchte Polen-Litauen Anfang des 17. Jahrhunderts zweimal einen Katholiken als Zar in Moskau zu etablieren.

Im 18. Jahrhundert schwand Polens Macht, nach der polnischen Teilung wurde der Osten des Königreiches in das russische Zarenreich eingegliedert. Dort wurden nun die griechisch-katholischen Geistlichen gedrängt, in die Orthodoxe Kirche zurückzukehren, teils dazu gezwungen.

Beide Kirchen gerieten im 20. Jahrhundert unter den Druck einer kommunistischen und somit antiklerikalen Obrigkeit. Dabei wurde die orthodoxe Kirche anfangs weit stärker verfolgt, später vom KGB unterwandert und abgehört. Die Sowjets übernahmen und förderten jedoch die antikatholische Haltung der Orthodoxie und drängten die katholische Kirche in Russland in den Untergrund.

Kyrill geht auf die Katholiken zu

In Polen vermochte es die katholische Kirche nach 1945 mehr Eigenständigkeit zu bewahren, war aber auch dem Druck und der Bespitzelung von Seiten des Staates ausgesetzt.

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Die Wahl eines Polen zum Papst löste dann in der Sowjetunion weder unter den Kommunisten noch unter dem Klerus Begeisterung aus. Die orthodoxe Kirche stemmte sich auch nach der Wende gegen einen Besuch des Pontifex, der mit seiner berühmten Geste, dem Küssen der Landebahn, russische Erde, getränkt mit dem Blut vieler Märtyrer, hätte in Besitz nehmen können.

Bewegung kam erst in den vergangenen Jahren auf. Dies liegt zum einen daran, dass Papst Benedikt XVI. keine solchen Aversionen auslöst wie sein polnischer Vorgänger, zum anderen liegt es am Amtsantritt Kyrills I. Anfang 2009. Aktuell ist der Patriarch zwar in den westlichen Medien als Hardliner gegenüber der Band "Pussy Riot" bekannt, die in der Moskauer Erlöserkirche provozierten.

Doch gilt er sonst als eher gemäßigter Konservativer und ist seit Anfang der 70er Jahre mit ökumenischen Aufgaben betraut. Er sandte nach seiner Amtsübernahme Signale der Kontaktbereitschaft an das polnische Episkopat.

Gedenken in Katyn

Mit großer Spannung wird nun erwartet, was in dem Dokument beider Kirchen steht, vor allem zu "Katyn": In dem westrussischen Städtchen und an anderen Stellen der russischen Sowjetunion ermordete der Geheimdienst NKWD 1940 über 22.000 polnische Kriegsgefangene, um eine bürgerliche und somit "klassenfeindliche" Elite zu liquidieren. Das Verbrechen belastet die polnisch-russischen Beziehungen bis heute.

Denkmal für die 96 Opfer der Katastrophe von Smolensk. Foto: dpa/Piotr Polak

Durch Differenzen zwischen Russland und Polen nach dem Unglück von Smolensk pausierten auch die Verhandlungen, wie Erzbischof Stanislaw Budzik einräumte. Mit der Weihe einer Kappelle bei Katyn im vergangenen Juli setzte Kyrill I. dann ein weiteres Zeichen. Das Gotteshaus soll zu einem Ort des Gebetes und Gedenkens für Polen und Russen werden. Denn in dem Wäldchen nahe der Kleinstadt Katyn wurden in den 30er und 40er Jahren auch unzählige Einwohner der Sowjetunion durch den Geheimdienst hingerichtet. Die Aufklärung steht erst am Anfang.

"Es ist noch ein weiter Weg zu gehen, um ein Urteil über die schmerzlichen Wunden unserer Vergangenheit zu erlangen", glaubt der Lubliner Erzbischof, der die gemeinsame Erfahrung mit dem Totalitarismus auch als Chance für eine Verständigung beider Kirchen sieht.

"Pussy Riot" zwischen den Fronten

Der Besuch ist zudem für die rund 400.000 Orthoxen Polens von großer Bedeutung. Die seit 1924 von Russland unabhängige Kirche wirkt als offizieller Gastgeber des Patriarchen, der am Samstag im orthodox geprägten ostpolnischen Bialystok religiöse Stätten besuchen wird. Eugeniusz Czykwin, Chefredakteur der polnisch-orthodoxen Zeitschrift "Przeglad Prawoslawny" erhofft sich auch eine höhere Akzeptanz der religiösen Minderheit an der Weichsel. Orthodoxe stünden in Polen im Generalverdacht, Verbündete Russlands zu sein.

Dass auch hier noch Gräben zu überwinden sind, zeigen die jüngsten Reaktionen auf die anstehende Visite des russischen Geistlichen. Czywkin, der einzige orthodoxe Abgeordnete des Sejms, fühlt sich verletzt durch die Solidarisierung polnischer Intellektueller mit den inhaftierten Frauen von "Pussy Riot", die in der Moskauer Erlöserkirche provozierten. Selbst in der sonst religionssensiblen "Gazeta Wyborcza", Polens auflagenstärkstem Blatt, wurde zu feministischen Manifestationen gegen den Patriarchen aufgerufen.