Was tun gegen Rassismus in der Kirche?

Stefanie Bohn und James Karanja
© Privat, Christoph Oetzmann
Die beiden evangelischen Theologen Stefanie Bohn und James Karanja berichten über Rassismus in der evangelischen Kirche und wie man dagegen vorgehen sollte.
Schmerzhafte Erfahrungen
Was tun gegen Rassismus in der Kirche?
Gespräch mit evangelischer Pfarrerin Bohn und EJW-Jugendreferent Karanja
Auch die evangelische Kirche ist kein rassismusfreier Raum. Diskriminierungen wegen Herkunft oder Hautfarbe gehören wohl zum Alltag in Gemeinden - so die Erfahrungen von Persons of Color wie Pfarrerin Bohn und Jugendreferent Karanja. Doch was tun? Im Interview erzählen die evangelischen Theolog:innen von persönlichen Erfahrungen, überkommenen Denkweisen in der Kirche und ihren Ideen und Forderungen zur Veränderung des Denkens und des Umgangs der Kirche mit dieser Problematik.

Stefanie Bohn (40) - Pfarrerin der evangelischen Maria-Magdalena-Gemeinde im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen - und James Karanja (53) - promovierter Theologe und Jugendreferent im Evangelischen Jugendwerk (EJW) Bad Homburg und auch für Hessen - haben in Sachen Rassismus selbst schon einiges erlebt - auch in der Kirche. Auch wissen sie von anderen PoC (Person of Color) und deren Erfahrungen mit alltäglicher Diskriminierung unter dem eigentlich schützenden Dach der Kirche.

evangelisch.de: Frau Bohn, Herr Karanja, wie muss man sich latenten Rassismus im Kirchenalltag vorstellen?

Stefanie Bohn: So etwas kommt leider oft vor, wenn man sich in der Kirche bewegt. Das sind keine Einzelerfahrungen, die mal vorkommen, sondern zum Alltag in der Kirche gehören. Im zentralen Gottesdienst zur Gebetswoche für die Einheit der Christen jüngst in Frankfurt habe ich von einer Trauerfeier erzählt, die ich geleitet habe - offenbar zur Irritation einer Frau und eines Mannes. "Sieh mal an" flüsterten sie kopfschüttelnd und kommentierten mein Eintreten mit einem deutlich vernehmbaren "Das wird dann heute nichts". Es löste bei mir ein Unwohlsein aus, das ich von anderen Erlebnissen kannte.

Am Ende der Trauerfeier kam der Mann auf mich zu und sagte Sätze wie "Das haben Sie aber gut gemacht. Sie sprechen ja auch so gut deutsch - erstaunlich, das ist man von schwarzen Menschen gar nicht gewohnt". Und: "Sie haben auch die Biografie (des Verstorbenen) so gut verarbeitet - das zeugt von Fleiß". Ein "Ja, unglaublich" und ein "Ja, unfassbar" beendeten diese Begegnung - an dem noch offenen Grab eines Verstorbenen. 

James Karanja: PoC wie wir werden auch in vielen Situationen ganz anders beobachtet als andere. Ich werde oft gefragt, wie lange ich schon in Deutschland bin und wann ich wieder nach Hause gehe. Einmal bin ich nach einem langen Arbeitstag in Bad Homburg später am Abend zu meinem Parkplatz auf dem Gemeindegelände gegangen. Eine Frau kam aus der Kirche auf mich zu und fragte, wer mir denn erlaubt habe, hier zu parken: "Wir sehen hier immer wieder Leute, die wohl nicht wissen, dass alles in Deutschland eine Ordnung hat." Auf meinen Hinweis, dass das mein Parkplatz sei, entschuldigte sich die Dame wohl kurz und ging schnell weg. Aber ich hatte dort aber schon zehn Jahren gearbeitet und wir waren uns zuvor auch ein paar Mal in der Kirche begegnet.  

Wie sind die Reaktionen, wenn Sie von solchen Ereignissen in kirchlichen Kreisen erzählen?

Stefanie Bohn: Wir hören immer wieder Sätze wie "Das hat der oder die nicht so gemeint". Oder das Gegenüber habe einfach nicht darüber nachgedacht, was es da gesagt hat. Man hat über die Jahre gelernt, das dann wegzulächeln, aber es schmerzt dennoch. Und man schleppt solche Erinnerungen dann lange mit sich herum. Bei mir gibt es Jahre, da trägt man ein "War sicherlich nicht so gemeint" einfach stillschweigend mit sich weiter. Aber dann gibt es auch Jahre, in denen ich aktiv dagegen vorgehe. Man muss immer wieder sehen, dass man damit im Alltag zurecht kommt. 

James Karanja: Es ist aber wichtig, Menschen, die von solchen Vorkommnissen im Alltag betroffen sind, zuzuhören. Stattdessen gibt es immer schnelle Antworten, ohne hinzuhören. Es gibt auch Leute, denen man davon erzählt, die dann nicht selten so reagieren, als würden sie gerade selbst angegriffen und müssten sich verteidigen. Sie waren doch gar nicht beteiligt und könnten einfach nur zuhören...

Stefanie Bohn: Unbeteiligte fühlen sich sofort bloßgestellt - als ob man nicht über solche Erfahrungen sprechen darf. Offenbar redet man nicht über solche negativen Erlebnisse. Dabei würde ein Zuhören die Chance für einen Perspektivwechsel eröffnen - aber das wird noch zu selten im Gespräch geschafft.

... und die Kirche?

Stefanie Bohn: Ein Darüber-Reden, dass es auch in ihr Rassismus gibt, scheint dem Selbstverständnis der Evangelischen Kirche und auch der Selbstwahrnehmung der Kirche zu sehr zu widersprechen. Die Kirche glaubt, sie ist einfach gut und  das Problem betrifft sie nicht direkt.

Ist die Kirche da nicht auch nur ein Spiegelbild der Gesellschaft, in der immer wieder geschwiegen wird auch die Scheu vor diskriminierenden Sprüchen in der Öffentlichkeit deutlich zu sinken scheint?

James Karanja: Natürlich ist die Kirche ein Teil der Gesellschaft. Denkweisen und Vorurteile aus der Gesellschaft haben wir selbstverständlich auch in der Kirche. Vielleicht in größeren Städten nicht ganz so direkt, da ist das dann vielleicht eher passiver Rassismus. Aber in dörflichen Strukturen und Gemeinden kommt so etwas offener und konfrontativer vor.

Stefanie Bohn und James Karanja sind der Auffassung, dass es für alle wichtig ist, sich über rassistische Erfahrungen innerhalb der Kirche auszutauschen und auch zu wissen, dass man nicht allein ist.

Stefanie Bohn: Früher gab es unterschwelligen Rassismus auch in der einen oder anderen Pfarrgemeinde, aber heute wird es offener ausgesprochen. Das hat eine andere Qualität, eine andere Schärfe. Und trotzdem denkt die Kirche wie so viele Menschen, dass Rassismus nur ein Problem der Anderen sei. In diesem Kontext heißt es gar nicht so selten: "Wir sind die Anderen, wir sind doch die Guten".

Was kann man tun, um in der Kirche mehr Gehör für diese Problematik zu finden? Was machen Sie?

Stefanie Bohn: Wir haben uns erst einmal in einer Gruppe mit anderen PoC zusammengefunden, die Ähnliches in Sachen Rassismus in der Kirche erlebt haben. Wir sprechen über all das offen und schaffen so dafür Empowerment-Räume, auch um unser eigenes Selbstwertgefühl zu stärken. Uns geht es um einen "Safer Space" gerade in der Kirche, wo man sich über die jeweiligen Erfahrungen austauscht, wo man sich organisiert und sich gegenseitig einladen kann. Es ist wichtig für alle, die solche unguten Erfahrungen gemacht haben, darüber zu sprechen und auch zu wissen, dass man nicht allein auf weiter Flur ist. Derzeit geschieht das nur jenseits kirchlicher Strukturen. 

James Karanja: Wir sind aber mit EKHN-Kirchenpräsident Jung (von der Evangelischen Kirche Hessen und Nassau) im Gespräch, wie man mit Rassismus und Diskriminierung in der Kirche umgehen kann und innerhalb der Kirche solche Räume schafft. Uns stellt sich aber auch die Frage, warum es noch keine Person of Color in der EKHN-Synode gibt - und dann sollte es auch nicht nur um eine, sondern um mehrere PoC gehen. Auch die Öffentlichkeitsarbeit der evangelischen Kirche muss kritischer werden. Und in der Bildung an Hochschulen und in der Gemeindearbeit muss mehr für das Thema Rassismus in der Kirche sensibilisiert werden. 

Stefanie Bohn: In bestimmten Funktionen - etwa in Kirchenvorständen und anderen Leitungsgremien oder in Schulen und beim Konfirmationsunterricht - müssen Person of Color vertreten sein, damit sich etwas im Denken ändert.

...und wie reagiert man in der evangelischen Kirche?

James Karanja: Das braucht wohl noch Zeit - wie das wohl auch die Kirche selbst glaubt. Wie lange es braucht, bis die Kirche Strukturen schafft, um sich überhaupt mit dem Thema Rassismus in der Kirche zu beschäftigten - diese Frage ist völlig offen. Diese Perspektive ist für uns natürlich nicht befriedigend. Wir hätten gerne schon längst etwas in  der Kirche unternommen und organisiert. Lange diskutieren, ohne etwas umzusetzen - das hilft nicht, die Denkweise der Menschen zu ändern. Und genau das muss geschehen.

Ich will mich nicht ständig fragen, bist du anders? Oder gehöre ich nicht zu dieser Gruppe der Weißen? Auch bei niederschwelligem Rassismus muss man die alten Bilder aus der Kolonialzeit aus dem Denken herauskriegen, um nun Rassismus in der Kirche abzuschaffen. Wichtig ist es auch, Leute in der Kirche in ihrer Diversität zu sehen und ihnen zu erlauben, dort andere Spiritualitäten zu leben. Auch andere theologische Denkweisen jenseits von Martin Luther und dem Vorherrschenden in der Kirche sollten stärker wahrgenommen werden, beispielsweise von bedeutenden Theologen etwa aus Afrika und Südamerika. Das Christentum ist viel größer als viele glauben und ihre eigene Welt erleben. 

Gibt es für Sie konkrete weitere Schritte?

Stefanie Bohn: Wir werden uns weiter vernetzen - etwa an einem Werkstatttag am 15. Juli (10-17 Uhr) in der Alten Johanneskirche in Hanau, wo sich Ehrenamtliche und Hauptamtliche aus den zwei Landeskirchen EKHN und EKKW ohne offiziellen Auftrag für einen Austausch mit Kirchenpräsident Volker Jung und Bischöfin Beate Hofmann treffen wollen. Der Arbeitstitel lautet: "Offen, vielfältig, demokratisch, (anti)rassistische Kirche!?" 

Besten Dank für das Gespräch.