Adventliches Warten ist kein träges Abwarten

Adventliches Warten ist kein träges Abwarten
mit Pfarrer Wolfgang Beck aus Hildesheim
27.11.2021 - 23:50
04.11.2021
Dr. Wolfgang Beck

„Wachet auf, ruft uns die Stimme“ – so beginnt ein altes Kirchenlied, das am Übergang von dem November zum Advent gesungen wird. Es verbindet die Trauer im November mit der Erwartung des Advents. Das Lied wurde am Ende des 16. Jahrhunderts gedichtet und es spiegelt die Erfahrungen der Pest wider. Da ruft ein Mensch, weil sich alles um ihn herum dramatisch entwickelt. Der Schreiber des Liedes will Menschen wachrütteln, um sich mit dem eigenen Leben auf Gott auszurichten. „Wacht endlich auf“ - Es geht ihm nicht nur um ein bisschen Romantik bei Kerzenschein. Dieses „Wachet auf“ klingt herausfordernd: Bedeutet es, dass ich, obwohl ich äußerlich wach bin, die wichtigen Dinge nicht realisiere? Dass mich das Alltägliche so blockiert, dass ich gar nicht zum Wesentlichen komme? Den Kopf nicht frei bekomme, falsche Prioritäten setze.

Es gibt sie, die Menschen, die schon „aufgewacht“, die „Aufgeweckten, die Sie und mich aufwecken wollen. Menschen, die an den richtigen Stellen unbequeme Fragen stellen. Es sind Typen, aufgeweckte Menschen, die derzeit mit großer Vehemenz zum Handeln drängeln und die richtigen, schnellen Entscheidungen einfordern. Das sind nicht nur die Jugendlichen bei „Fridays for Future“, es sind auch einzelne Aktivist*innen. Es sind Menschen, die in der Politik eine radikale Umstellung der Prioritäten einfordern, weil sie wissen: „Die Zeit drängt – wir sind ungeduldig!“ Wer heute noch meint, es sei doch nebensächlich, wenn die Durchschnittstemperatur auf der Erde um einen oder um zwei Grad ansteigt, hat noch nicht verstanden, welche gesellschaftlichen Umwälzungen und welche Not aus diesem Unterschied entstehen werden. Wer heute noch meint, man könne sich ruhig ein bisschen Zeit lassen mit der Energiewende, mit der Umstellung der Wirtschaft und mit wirklich einschneidenden Entscheidungen, der dürfte sich aufgrund dieser Trägheit schon in wenigen Jahren fragen: haben wir geschlafen?

Es gibt eine Trägheit und Faulheit im Denken und im Handeln, die gefährlich ist. Hier wird deutlich: Bei der Zeit des Advents geht es nicht um ein lethargisches Abwarten bis zum Weihnachtsfest. Es geht nicht darum, dass schon irgendetwas kommen und passieren wird. Die biblischen Texte, die das Warten ansprechen, sind davon geprägt, hellhörig für das Notwendige zu sein und aktiv Entscheidungen zu treffen. Paulus etwa beschreibt das Erwarten als ein sehr aktives und bewusstes Gestalten des Lebens. Zwar geht Paulus noch davon aus, dass das Ende der Welt zu seinen Lebzeiten kommt – und hat sich darin geirrt. Trotzdem: Das Wissen um das Ende der Welt bewegt ihn, die Menschen wachzurütteln. Er will, dass alle sich aktiv vorbereiten, dass sie ihre Art zu leben ändern. Denn er hat klar: Es muss sich etwas ändern.

Erst noch mal ganz in Ruhe ein paar Wälder für den Kohleabbau abholzen? Erst noch mal ein paar Autobahnen planen und viele kleine Flughäfen? Paulus würde sich heute vermutlich an den Kopf fassen und feststellen, dass es längst andere Entscheidungen bräuchte. Er hätte nicht nur träge abgewartet, sondern wäre sehr aktiv geworden – und konfrontativ. Klar, der Advent ist eine Gelegenheit zum Erwarten, aber nicht zum trägen Abwarten. Wer erwartet, der ist wirklich wach und nimmt wahr, was kommt und wird aktiv. „Wachet auf!“, wenn ihr Angst vor unbequemen Einsichten und Entscheidungen habt. Es gibt angesichts der Trägheit und der müden Scheu vor dem Handeln auch eine heilige Ungeduld, ein notwendiges Drängeln. Danke denen, die drängeln: „Wachet auf!“ –  einen guten Advent!

04.11.2021
Dr. Wolfgang Beck