Der letzte Gang

Der letzte Gang
Stefanie Schardien aus Fürth
06.02.2021 - 23:35
26.01.2021
Stefanie Schardien

Letzte Woche rief mich eine Frau aus meiner Kirchengemeinde an. Sie hat mir erlaubt, ihre Geschichte zu erzählen. Ich nenne sie hier Elke. „Mein Papa ist gestorben“, hat sie gesagt und mir dann von der letzten schweren Zeit erzählt: „Die Schmerzen wurden immer stärker. Papa immer schwächer.“

So ist das. Alle wünschen sich ein Lebensende ohne Leiden, aber viele sind am Ende eben krank. Elkes Vater war verzweifelt: „Das ist doch kein Leben mehr.“ Im Krankenhaus hat er sie gefragt: „Kannst Du mir nicht was mitbringen? Irgendein Mittel. Ich will nicht mehr.“ Was für ein Wunsch an die eigene Tochter! Theoretisch wäre das möglich, ja. Sie wäre dafür nicht belangt worden.

Demnächst bräuchte Elkes Vater nicht mal mehr seine Tochter zu bitten. Er könnte sich dann vermutlich direkt an einen Arzt oder die Klinik wenden. Die Politik ringt gerade um ein neues Gesetz. Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich bestimmt: Jeder Mensch, egal ob krank oder gesund, hat einen Anspruch darauf, dass ihm bei der Selbsttötung geholfen werden MUSS. Manche sagen: Endlich Selbstbestimmung beim Sterben! Klingt ja auch so prima: mehr Freiheit! Erst recht für Menschen, die schwer leiden. Ist da nicht die Abkürzung in den Tod durch Suizid oder eine Spritze eine gute Lösung?

Als Pfarrerin weiß ich: Es gibt einzelne tragische Fälle. Da steht mir ein Urteil nicht zu. Und diese Menschen lasse ich nicht allein. Nur: Muss daraus folgen, dass es Suizidbeihilfe als offizielles Angebot geben soll? In Krankenhäusern, in Seniorenheimen? Das könnte bald so kommen. Aber macht uns das wirklich freier am Lebensende? Wer weiß, was Elkes Vater getan hätte, wenn er in der Klinik informiert worden wäre: „Sie können als letzte Option natürlich auch selbst ihrem Leiden ein Ende setzen. Wir beraten Sie gern. Und dann entscheiden Sie.“ Wie frei entscheidet man in so einer Situation? Nicht alle, aber die meisten Menschen, die ich als Pfarrerin im Sterben oder kurz davor erlebe – die sind nicht mehr klar, stark. Die strotzen nicht vor Selbstbestimmung. Sie sind oft unsicher, hilfsbedürftig, beeinflussbar. Viele haben keine liebevolle Familie zur Unterstützung. Und für Gesunde oft unverständlich: ganz viele sorgen sich, wem sie im Heim oder in der Verwandtschaft gerade zur Last fallen, Geld kosten, Mühe machen. Wofür das alles noch, wo sie doch nur noch im Bett liegen können? Was braucht es, damit diese Menschen sich frei fühlen am Lebensende?

Für Elkes Vater gab es einen anderen Weg: Elke hat ihm kein Mittel mitgebracht. Stattdessen zieht er um in ein Hospiz. Dort werden seine Schmerzen so gelindert mit Medikamenten, dass sein Wunsch verschwindet, sich selbst zu töten. Statt einer Beratung zum Suizid stellen die Schwestern die Fotos von der Familie so hin, dass er sie immer sehen kann. Als er wieder einmal grübelt, ob das noch ein Leben ist, reibt ihn der Pfleger mit seinem Lieblingsrasierwasser ein. Als er nichts mehr essen mag, muss er das auch nicht. Seine Tochter Elke ist oft einfach da, hält seine Hand, erzählt. Es tut auch ihr gut, dass sie so Abschied nehmen kann. So lange dauert es dann gar nicht mehr für ihren Vater.
Niemand hindert ihn. Nichts drängt ihn. Das ist Freiheit am Lebensende.
Ich wünsche Ihnen allen eine gesegnete Nacht.

26.01.2021
Stefanie Schardien