Experte: Kirchlichen Widerstand gegen Hitler gab es nicht

Büste Dietrich Bonhoeffer
© epd-bild/Wolfgang Noack
Büste des evangelischen Pfarrers und Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) in der Kapelle der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg.
Experte: Kirchlichen Widerstand gegen Hitler gab es nicht
Für die evangelische Kirche ist Dietrich Bonhoeffer die zentrale Erinnerungsfigur für den christlichen Widerstand gegen die Diktatur. Der Pfarrer der Bekennenden Kirche wurde im April 1945 wegen seiner politischen Widerstandsaktivitäten ermordet. Die Erinnerung an ihn verdeutlicht aber auch das Feigenblatt der Kirche im Nationalsozialismus. Denn einen organisierten kirchlichen Widerstand gab es nicht, sagt der Politikwissenschaftler und Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, Johannes Tuchel.

Herr Tuchel, gab es einen kirchlichen Widerstand im Dritten Reich?

Johannes Tuchel: Einen organisierten Widerstand der christlichen Kirchen in Deutschland in den Jahren zwischen 1933 und 1945 hat es nicht gegeben. Was es gegeben hat, ist der Widerstand von einzelnen Christen gegen die Hitler-Diktatur. Und diese Einzelnen wurden zumeist von ihren Amtskirchen stark im Stich gelassen. Daher spreche ich vom Widerstand von Christen und nicht von kirchlichem Widerstand oder kirchlicher Opposition.

Was ist mit der Bekennenden Kirche, die sich 1934 auf der Bekenntnissynode in Wuppertal-Barmen gründete und der auch Dietrich Bonhoeffer angehörte?

Tuchel: Die Definition der Bekennenden Kirche als Widerstandsorganisation ist eine Konstruktion aus der Nachkriegszeit. Die Bekennende Kirche war als Gruppe innerhalb der Kirche auch relativ klein, so dass ich nicht von einer Widerstandsgruppe sprechen würde, sondern bestenfalls von einem losen Netzwerk.

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Bonhoeffer wird heute wie eine Art evangelischer Heiliger verehrt. Wie bewerten Sie sein Wirken im Widerstand?

Tuchel: Bonhoeffers Wirksamkeit hat sich erst nach seinem Tod entfaltet. Bei ihm muss man immer genau ansehen, in welcher Phase seines Wirkens man sich befindet. Er schreibt schon 1933 einen Aufsatz "Die Kirche vor der Judenfrage" und bezieht darin klare Stellung gegen die Nationalsozialisten. Er leitet dann ab 1935 das Predigerseminar in Finkenwalde und Zingst der Bekennenden Kirche, eine Art Kaderschmiede der Bekennenden Kirche. 1939 beginnt die Phase seiner politischen Widerstandsaktivität. Im Amt Ausland/Abwehr knüpft er für den Widerstand Kontakte ins Ausland, etwa nach London. Spätestens da steht er im Zentrum des politischen Widerstands. 1943 wird er verhaftet und schreibt in der Haft seine theologischen Werke, die erst nach dem Krieg rezipiert werden. Erst da entdeckt ihn auch die evangelische Kirche für sich.

Bonhoeffer wird von einigen als Märtyrer bezeichnet. Ist diese Zuschreibung Ihrer Meinung nach zutreffend?

Tuchel: Ich tue mich als evangelischer Christ sehr schwer mit dem Begriff des Märtyrers. Aus meiner Sicht wollte keiner der Widerstandskämpfer ein Martyrium erleiden, und sie wollten auch nicht den Status eines Märtyrers erlangen. Bonhoeffer wurde für seine politischen Widerstandsaktivitäten verhaftet und schließlich ermordet. Er war ein lebensbejahender Mensch, der politisch und theologisch gedacht hat - mit einer seltenen Konsequenz und - wie ich finde - in einer wunderschönen Sprache.

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Neben Bonhoeffer gab es noch viele weitere gläubige Christen unter den Widerstandskämpfern, beispielsweise im Kreisauer Kreis, der Gruppe um Helmuth James Graf von Moltke. Welche Rolle spielte der Glaube für die Kreisauer?

Tuchel: Der Anteil der Christen im Kreisauer Kreis war groß. Da waren prominente Vertreter der Protestanten und der Katholiken dabei, darunter die Jesuitenpatres Augustin Rösch, Lothar König und Alfred Delp und von protestantischer Seite Eugen Gerstenmeier und Harald Poelchau. Die christliche Motivation hat für den Kreisauer Kreis eine ganz große Rolle gespielt. Moltke selbst war ein zutiefst religiöser Mensch. Aber noch mal: Für den einzelnen war die christliche Motivation bedeutsam und ist auch nachweisbar in vielen Briefen. Doch der Kreisauer Kreis war deswegen keine kirchliche Widerstandsgruppe.

Eugen Gerstenmeier überlebte die Verfolgung durch die Nationalsozialisten. Er trat der CDU bei und wurde 1954 Bundestagspräsident. Hat das Vermächtnis des Widerstands die junge Bundesrepublik beeinflusst?

Tuchel: Der gesamte Widerstand gegen Hitler war in der Nachkriegszeit lange keine besondere Erinnerung wert. Die Verschwörer galten als Verräter, auch in der jungen Bundesrepublik. Einige wenige Widerstandskämpfer wurden in der Nachkriegszeit hervorgehoben und vereinnahmt, um die anti-nationalsozialistische Haltung der Kirchen zu belegen. Erst in den 80er Jahren ist der politische Widerstand in den Blick genauerer historischer Forschungen gerückt und damit wandelte sich auch die Erinnerungskultur. Natürlich gab es immer wieder auch Versuche der Vereinnahmung. Aber ich denke, der Widerstand gegen den Nationalsozialismus ist so sperrig, dass er sich einer Vereinnahmung entzieht.