Christin sein auf Erden

Ahees Wohnheim bei der Berliner Stadtmission
© Silke Kehl
Die Christin Ahee Kim vor ihrem Wohnheim bei der Berliner Stadtmission. Sie macht ein Freiwilliges Soziales Jahr und arbeitet mit geflüchteten Familienin Berlin.
Christin sein auf Erden
Ahee Kim (23) hat schon in Südkorea, den USA, in Wien und Brandenburg gelebt. Jetzt macht sie ein Freiwilliges Soziales Jahr in Berlin und arbeitet mit geflüchteten Familien. Ihr Bezug zum Glauben ist sehr stark: Christin zu sein begreift sie als prägendsten Teil ihrer Identität - und als gesellschaftlichen Auftrag.

Die sechsjährige Maram schmiegt sich kurz an Ahee Kims Seite und fragt: "Ahee, wann fängt das Theater an?" Die 23-Jährige geht in die Knie, nimmt Marams Hand und schaut sie an: "Es geht gleich los." Maram trägt eine rosafarbene Krone aus Papier, und sie hat ein bißchen Lampenfieber. Denn sie spielt in einem Theaterstück mit, in dem es um das Leben von König David geht. Aufgeführt wird es in der Kapelle der Weddinger Gemeinde der Berliner Stadtmission.

Ahee Kim mit der kleinen Maram.

Etwa 15 Kinder sind dabei: Eine Woche lang haben sie gemeinsam kurze Szenen geprobt, Lieder gesungen und Kostüme gebastelt. Fast alle von ihnen leben mit ihren Eltern in einer Unterkunft für Geflüchtete und sind über Ahee Kim in die Gemeinde im Berliner Stadtteil Wedding gekommen. Kim absolviert ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) bei der Berliner Stadtmission.

Im Rahmen einer halben Stelle unterstützt sie Pastorin Rebecca Aßmann in der Weddinger Gemeinde, die andere halbe Stelle ist dem Programm "Berlin entwickelt neue Nachbarschaften" (BENN) zugeordnet. Ziel des Programms ist, die Integration von Geflüchteten in bestehende soziale Netzwerke im Bezirk zu fördern und Erwachsene und Kinder zur gesellschaftlichen Teilhabe zu ermutigen.

"Mein Herz ist sehr bei den Menschen, mit denen ich arbeite", sagt Kim. Sie kümmert sich vor allem um die Kinder, die mit ihren Eltern aus Syrien nach Berlin geflüchtet sind. "Ich sehe so viel Potential in den Kindern, so viel Hoffnung". Kim bietet ihnen an, gemeinsam schwimmen zu gehen, zu malen oder Deutsch zu üben. Oder bei schönem Wetter Zeit auf dem Spielplatz in der Nachbarschaft zu verbringen. Aber es geht ihr auch darum, den Kindern Selbstbewusstsein zu vermitteln.

"Ich weiß, wie es ist, sich in einem noch fremden Land allein zu fühlen. Ich weiß, was es bedeutet, einer Minderheit anzugehören." Ahee Kim ist in den USA geboren, aufgewachsen ist sie in Südkorea. Mit 14 Jahren nahm sie an einem Austausch mit einer Schule im brandenburgischen Königs-Wusterhausen (bei Berlin) teil, für ein ganzes Schuljahr. "Das war für mich eine sehr schwere Zeit", sagt sie. "Ich konnte kaum Deutsch, meine Gastfamilie kaum Englisch."

In der Einsamkeit den Glauben gefunden

Deswegen entwickelte sich der Kontakt zu ihrer Gastmutter und den beiden Kindern, die ohne Vater aufwuchsen, sehr langsam. Und Kims eigene Eltern waren weit weg - sie nicht zu sehen, fiel dem jungen Mädchen schwer. "Ich fühlte mich so einsam." Rückblickend ist sie jedoch trotz des schwierigen Jahres sehr dankbar für die Zeit mir ihrer Gastfamilie: "Sie ist zu meiner Familie in Deutschland geworden und wir stehen noch immer in engem Kontakt."

2010 habe sie auch den christlichen Glauben für sich entdeckt. Zwar sei sie in einer christlichen Familie aufgewachsen, aber in ihrer Kindheit habe die Religion keine so große Rolle gespielt. "Ich wusste schon von Gott", erinnert sie sich. "Meine Mutter hat jeden Tag mit mir gebetet." Aber erst in ihrer Krise habe sie einen tiefen Bezug zu Gebeten und auch zu christlicher Musik gefunden. "Das Lied "One Way" habe ich so gern gesungen." Außerdem habe eine Freundin sie ermutigt, jeden Tag drei Dinge aufzuschreiben, für die sie dankbar sei. "Erstmal ist mir gar nichts eingefallen, weil ich so unglücklich war", berichtet Kim. Irgendwann habe sie ihre ersten Sätze notiert: "Ich bin dankbar für die Sonne" und "Ich bin dankbar dafür, dass ich lebe."

Christentum als Auftrag

Heute lebt Ahee Kim in einem starken Bewusstsein für ihren Glauben. Sie zieht Kraft daraus, aber sie begreift Christentum auch als Auftrag. "Vater unser. Im Himmel so auf Erden. Ich glaube an Gottes Reich hier auf Erden", sagt sie. Was das bedeutet? "Ich glaube an diversity, an Vielfalt. An die Gleichberechtigung aller Menschen. Mein großer Traum ist es, eine Schule zu gründen, die wirklich allen offensteht: Menschen jeglicher Herkunft und Religionszugehörigkeit, jeglicher Nationalität, kultureller Prägung und jeden Alters."

Nach ihrem Austauschjahr in Brandenburg, an das sie sich mittlerweile gern zurückerinnert, absolvierte sie die zehnte Klasse in Südkorea. Danach entschied sie, ihren Highschool-Abschluss in den USA zu machen und lebte zwei Jahre in North Carolina. 2014 begann sie, Germanistik und internationale Beziehungen am Calvin College in Michigan zu studieren. "Als Asiatin gehörte ich überall einer Minderheit an", sagt sie. Selbst in Südkorea galt sie als etwas "anders", weil sie nicht dort, sondern in Amerika geboren worden war.

"Ich bin eine Tochter Gottes", erklärt Ahee Kim. "Das ist meine Identität, die mir Kraft gibt. Daraus lebe ich meinen Glauben." Ihre Eltern hätten sie sehr bestärkt, vor allem auch darin, im Leben immer wieder aufs Neue aufzubrechen und loszuziehen: an neue Orte und zu anderen Menschen. 2016 arbeitete Kim als Praktikantin der Caritas in Wien zum ersten Mal mit Geflüchteten. "Auf einmal habe ich begriffen, wie wichtig Politik ist. Wie wichtig es ist, dass Menschenrechte nicht eine bloße Theorie bleiben, die man an der Uni lernt."

Die Erfahrungen in Wien prägten sie so sehr, dass sie nach Abschluss ihres Studiums weiter mit Geflüchteten arbeiten wollte. Sie bewarb sich bei der Berliner Stadtmission und begann dort im Oktober 2018 ihr Freiwilliges Soziales Jahr. "Für mich ist die Arbeit mit Ahee eine riesige Bereicherung", sagt die 26-jährige Pastorin Rebecca Aßmann. "Sie bringt sich hier mit so viel Herz ein, das ist richtig schön. Außerdem bringt sie eben auch eine geistliche Perspektive mit."

Ahee Kim beim Familienfest im Wedding.

Aßmann baut gemeinsam mit Ahee Kim und einer weiteren FSJlerin die Arbeit mit Kindern in der Weddinger Gemeinde der Stadtmission auf. "Das Durchschnittsalter unserer Gemeindemitglieder liegt bei etwa 75 Jahren", berichtet die Pastorin. Etwa 25 Mitglieder seien es noch, die regelmäßig zum Gottesdienst und zur Bibelarbeit kommen. Für Kinder aus der Nachbarschaft bietet die Gemeinde seit vielen Jahren einen warmen und trockenen "Winterspielplatz" an - als Raum dafür dient die Kapelle, in der sonntags die Gottesdienste stattfinden.

"Durch den Kontakt mit Ahee kommen jetzt auch die Kinder aus Flüchtlingsunterkünften zu uns", sagt Aßmann. Die meisten Darsteller des Theaterstücks über König David, das zum Abschluss des Osterferienprogramms aufgeführt wird, sind Kinder aus muslimischen Familien. Im Publikum sitzen ihre älteren Geschwister und Mütter. "Vielfalt bedeutet, alle die hierherkommen so anzunehmen wie sie sind", erklärt Pastorin Aßmann. "Unsere Gemeinde ist da sehr offen."

Und auch wenn sich die erst seit kurzem in Berlin lebenden arabischen Familien beim gemeinsamen Grillen nach dem Theater noch nicht so sehr mit den Weddinger Familien vermischen: Ahee Kim mögen und schätzen sie alle gleichermaßen. "Sie geht ganz toll mit den Kindern um", sagt die 48-jährige Bianka Pagels, die mit zwei ihrer Töchter und drei ihrer fünf Enkelkinder zum Familienfest gekommen ist - und bereits seit ihrer eigenen Kindheit zur Gemeinde gehört. "Ich möchte, dass Ahee bleibt", sagt sie. Darin ist sie sich mit der sechsjährigen Maram aus Syrien einig.

Und Ahee selbst? Möchte sie bleiben oder weiterziehen und wieder etwas Neues beginnen? "Ich würde gern in Berlin bleiben", sagt sie. "Ich fühle mich den Menschen, mit denen ich hier arbeite, so verbunden." Auch ihre Eltern, die zurzeit in Südkorea leben, könnten sich vorstellen, eine Weile in Deutschland arbeiten. Darüber freut Ahee sich sehr - und hofft, dass sie einen Weg finden wird, ihre Zeit in Berlin zu verlängern.