Der Weihnachtsmann, der Hafen und die Nächstenliebe

Ritejl zeigt, wie man Weihnachtsbilder bastelt, die man aufklappen kann.
© Magdalena Dräger
Ritejl zeigt, wie man Weihnachtsbilder bastelt, die man aufklappen kann.
Der Weihnachtsmann, der Hafen und die Nächstenliebe
Die Advents- und Weihnachtstage werden gerne als "Zeit der Nächstenliebe" verkauft: In dieser Zeit sind die Herzen besonders weit und das Portemonnaie sitzt eher locker, auch und besonders für Spenden. Es gibt aber auch Menschen, die sich tagtäglich um andere kümmern, das ganze Jahr über. Magdalena Dräger hat sie gesucht und im "Hafen 17" gefunden. Und gefragt, ob sie mitmachen kann.

"Was ist das?" fragt Sahana. "Na, der Schlitten, den ich malen sollte", antworte ich und finde schon, dass man erkennt, dass ich einen Schlitten male. Aber Sahana ist da ein bisschen kritisch: "Da fehlt der Sitz für den Weihnachtsmann und es gibt keine Hupe." Da hat sie Recht. Diese Dinge habe ich nicht bedacht. Schließlich soll der Weihnachtsmann sicher und bequem ankommen, sonst bekommen wir vielleicht keine Geschenke. Sahana und ich malen gerade ein Weihnachtsbild. Davor gab es Kartoffelsuppe zu Mittag und wir haben gemeinsam den Tisch abgewischt. Sie nass, ich trocken. Weil es nun mal zum Essen dazu gehört, danach den Tisch abzuwischen. Jeder ist mal dran. Das lernen die Kinder im Hafen 17.

Der Hafen 17 ist ein Kindertreff des Diakonischen Werks der Region Kassel. Er bietet derzeit 27 Grundschulkindern aus über zwölf Herkunftsländern einen Ort, an dem sie unterstützt werden. Weil ihre Familien nicht das nötige Geld haben oder ihnen der soziale Anschluss fehlt, um ihre Kinder so zu unterstützen, wie sie es gerne tun würden. Genau dafür gibt es den Hafen. Er ist ein Ort, an dem der Tag der Kinder eine Struktur und Rituale erhält. Was sie bewegt, können die Kinder den Erwachsenen erzählen. Die hören zu und versuchen zu helfen, wo ihre Eltern es nicht können. So war das bei Ali. Er ist mit seiner Familie nach Deutschland geflüchtet. Damals hat er kaum Deutsch verstanden. Seine Eltern konnten ihm nicht helfen, weil sie selbst kein Deutsch konnten. Bei uns hat Ali schnell Deutsch gelernt und wir haben herausgefunden, dass er extrem musikalisch ist", erzählt Olga Galjan, pädagogische Mitarbeiterin des Hafens, als wir neben Ali stehen, der gerade verschiedene Tastenkombination am Klavier ausprobiert. Davor hat sie mir die Küche, die Werkstatt, die Turnhalle und einen kleinen Erholungsraum gezeigt. Alles wird nur durch Spenden ermöglicht: Räume, Angebote sowie die pädagogische Betreuung. Und ich darf heute mal reinschnuppern und mitmachen.

Ali und Niklas (von links) toben im Hafen 17.

Zum Hafen 17 bin ich gekommen, weil ich beobachte, dass die Advents- und Weihnachtszeit oft die Zeit des Jahres ist, in der wir eine Jahresbilanz ziehen. Sie riecht zwar nach Plätzchen und säuselt bekannte Melodien, sie sieht uns aber eher selten um Andere kümmern. Dabei ist das doch angeblich ganz besonders die Zeit der Nächstenliebe. Deshalb habe ich beschlossen, einen Blick über meinen Weihnachts-Teller zu wagen und herauszufinden, wo und wie Menschen anderen helfen. Und in der Hafenstraße 17 in Kassel, da findet man diese Menschen – hinter einer Glasfront, über der in blauen Lettern "Hafencafé" steht. Der "Hafen 17" heißt nicht nur so, weil er in der Hafenstraße 17 ist, sondern auch, weil er ein Ankerplatz für Kinder sein soll, denen ein solcher eher fehlt. Und dieser Ort bleibt nur ein fester Anlegeplatz, wenn andere ihn unterstützen und nicht untergehen lassen.

"Wie, ihr kennt keine Diddl-Blätter?", frage ich. Veronika und Mariella schütteln ihre Köpfe. "Wenn wir es nicht kennen, dann zählt es nicht", sagt Mariella. Wir spielen "Getta Letter". Bei dem Spiel muss man zu einer genannten Kategorie möglichst viele Gegenstände mit unterschiedlichen Anfangsbuchstaben nennen. Wir sind in der Kategorie "Dinge, die man sammeln kann". Und ich habe "Diddl-Blätter" gesagt. Mariella und Veronika schauen mich argwöhnisch an. Offenbar sind sie zu jung, um die Diddl-Maus zu kennen, was mich überrascht. Also führen wir die Regel ein, dass nur Begriffe zählen, die alle kennen. Allerdings kenne ich nur sehr wenige: Außer "Arielle, die Meerjungfrau" sagt mir keine einzige Zeichentrick-Figur etwas, die Mariella und Veronika ziemlich schnell aufzählen. Sie sind aber sehr lieb zu mir und lassen mir einen Gnadenpunkt. Vielleicht, weil ich anmerke, dass sie ohnehin gewinnen - ich mich aber mit ein paar Punkten besser fühlen würde. Vielleicht ist es aber auch einfach so, dass Mariella gut gelaunt ist, weil sie froh ist, dass sie jetzt spielen kann und die Hausaufgaben geschafft hat.

Die Kinder des Hafen 17.

Die machen die sieben hauptamtlichen Mitarbeiter des Hafens mit den Grundschülern gemeinsam, wobei sie von acht Ehrenamtlichen unterstützt werden, die an verschiedenen Tagen in der Woche helfen. Gemeinsam ermöglichen sie es, dass die Jungs und Mädchen im Hafen 17 gefördert werden und einen geschützten Raum finden, in dem sie spielen und sich entfalten können. An zwei Tagen in der Woche können die Kinder an einem Nachmittagsangebot teilnehmen, das sie sich selbst aussuchen. Mariella hat sich für Tanzen entschieden. Es gibt aber auch Ballspiele und einen Kochkurs, in dem die Kinder ihren Ernährungsführerschein machen. Dabei probieren sie verschiedene Lebensmittel aus und lernen, wie man sich in einer Küche richtig verhält. "Wir kochen zusammen kleine Gerichte wie Spinat und Kartoffelbrei mit selbstgemachten Fischstäbchen", sagt Ingeborg Bourdon. Sie ist Hauswirtschafterin beim Hafen. Auch einen Garten hat sie mit ihren Schülern angelegt, in dem Obst und Gemüse wachsen.

Fast alle Kinder, die nach der Schule zum Hafen 17 kommen, gehen in die Grundschule um die Ecke. Für sie sind die Hafen-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter nicht nur "Alltagsunterstützer", sondern auch Trösterinnen und Schlichter, wenn es mal Streit gibt. Das schafft Vertrauen. "Einige Familien haben drei oder vier ihrer Kinder zu uns kommen lassen", erzählt Olga Galjan. Das ist teilweise zehn Jahre her. So alt ist der Hafen schon. Einige der früheren Kinder fühlen sich bis heute so mit dem Hafen verbunden, dass sie ihre Schulpraktika dort machen oder das Nachmittagsangebot bereichern. "Das ist nachhaltig und es freut uns", sagt die Pädagogin. Es ist aber auch wichtig, weil der Hafen ohne Unterstützung und Spenden nicht existieren könnte und schließen müsste. Ein paar Mal bereits war das fast so.

Magdalena und Sahana (von links) sind echte Weihnachtskünstler.

Unser Weihnachtsbild ist fast fertig. Sahana malt noch Zauber an das Ende des Schlittens. "Den braucht man, damit man schneller fahren kann", erklärt mir die Erstklässlerin. Das scheint mir logisch zu sein. Wie sollte ein Schlitten auch sonst durch den Himmel fahren? Eben. Ich will den Zauber gelb ausmalen. Sahana findet aber nicht, dass ein Zauber nur gelb sein sollte, weshalb wir uns auf bunt einigen und ich nur ein bisschen gelb male. Dazu kommen noch ein Schneemann und ein Einhorn, das im Dunkeln leuchtet. Warum sollte man auch in einer Zeit, in der ein alter Mann mit rotem Samtmantel in einem Rentierschlitten durch den Himmel fährt, mit Zauber geizen? Eben. Und weil wir echte Künstler sind, schreiben wir unsere Namen vorne auf das Bild.

Dann müssen wir auch schon zur Kinderkonferenz. Hier können die Jungs und Mädchen ansprechen, was ihnen wichtig ist. An diesem Tag dient sie aber eher dazu, gemeinsam das nächste Geschenk des Adventskalenders zu öffnen. Und während aus dem Papier schwarze Kopfhörer zum Vorschein kommen, fühle ich mich in der familiären Atmosphäre schon sehr gut aufgenommen und habe großen Respekt vor den Menschen, die sie ermöglichen. Diese Atmosphäre ist mindestens so zauberhaft wie das Einhorn auf unserem Weihnachtsbild.