Wer sind die Aleviten?

Alevitentum in Deutschland: Religionsgemeinschaft der Aleviten beim Gottesdienst im Cem-Haus in Duisburg.
© epd-bild / Hans-Jürgen Bauer
Alevitentum in Deutschland: Gläubige Aleviten feiern ihren Gottesdienst im Cem-Haus in Duisburg-Rheinhausen. Sie rufen im Gebet Allah, den islamischen Propheten Mohammed sowie dessen Schwiegersohn Ali an.
Wer sind die Aleviten?
Antworten auf die Fragen zum Alevitentum in Deutschland
Ungefähr 800.000 Aleviten leben in Deutschland. Sie sind hier offiziell als Religionsgemeinschaft anerkannt. Aber wer sind eigentlich die Aleviten? Wie und wo beten sie? Woran glauben sie? Wie sehen ihre Gotteshäuser aus? Sind Aleviten Muslime? evangelisch.de gibt den Überblick.

Wie lange gibt es das Alevitentum schon?

In der Wissenschaft gibt es mehrere Auffassungen über die Entstehungszeit des Alevitentums und auch die Aleviten selbst diskutieren über die Entstehung ihrer Glaubensgemeinschaft. Eine Position lautet wie folgt: Ursprünglich seien die Aleviten Muslime gewesen, die im Gegensatz zu den Sunniten die Auffassung vertraten, der Prophet Mohammed habe kurz vor seinem Tod im Jahr 632 seinen Vetter und Schwiegersohn Ali zu seinem rechtmäßigen Nachfolger auserkoren. Andere vertreten die Auffassung, dass der alevitische Glaube älter ist als der Islam.

Im 13. Jahrhundert reiste dann der alevitische Großgelehrte Hacı Bektaş Veli, der nach alevitischem Sicht in der 17. Generation aus der Familie vom Mohammed-Ali abstammte, ins heutige Anatolien. Dort verbreitete er den alevitischen Glauben. Auch heute noch existiert die größte alevitische Gemeinde in der Türkei. Dort leiden sie jedoch zunehmend unter Verfolgung und Diskriminierung.

Woran glauben Aleviten?

Aleviten glauben an Hak. Hak ist die Wahrheit oder das Göttliche, das in allem und  jedem steckt. "Suche Gott nicht in der Fremde! Gott ist in dir selbst, wenn du des reinen Herzens bist", so ein Leitsatz von Hacı Bektaş Veli. Da das Gesicht des Menschen das Gesicht Haks ist, sitzen sich die Gläubigen bei Cem-Zeremonien (alevitisches Pendant zum christlichen Gottesdienst) auch von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Und weil alle Lebewesen etwas "Göttliches" in sich tragen, muss man ihnen der alevitischen Lehre zufolge mit Achtung und Respekt begegnen – unabhängig von ihrer Religion, Ethnie, Sexualität etc.. Die alevitische Glaubenslehre basiert auf der Entscheidungs- und Glaubensfreiheit des Menschen. Niemand hat eine Verpflichtung, etwas tun oder glauben zu müssen. Deswegen missionieren Aleviten auch nicht.

Mahsuni Ime ist der Dede der alevitischen Gemeinde in Hamburg. Im Alenvitentum ist der Dede der Geistliche. Hier steht der Alevit Mahsuni Ime vorm alevitischen Cem-Haus auf der Reeperbahn.

So wie Christen die Zehn Gebote als Richtschnur ihres Handelns haben, so weist im alevitischen Glauben der Grundsatz "eline beline diline sahip ol" den Gläubigen den Weg. Übersetzt bedeutet er: "Beherrsche deine Hände. Beherrsche deine Lende. Beherrsche deine Zunge." Damit ist gemeint, dass man nicht stehlen und niemandem Leid zufügen, dass man nicht Ehebrechen und dass man nicht Lügen und niemanden verleugnen soll. Ein Verhalten, das sich an diesen Grundpfeilern orientiert und gleichzeitig noch durch Bescheidenheit, Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe geprägt ist, soll dafür sorgen, dass alle Menschen friedlich zusammenleben können.

Das Einvernehmen der Menschen untereinander ("Rızalık") ist für die Aleviten allgemein unheimlich wichtig: im Idealfall wird zum Beispiel auf Versammlungen solange geredet und diskutiert, bis Konflikte und Probleme überwunden sind und man Einvernehmen hergestellt hat.

Wie leben Aleviten ihren Glauben?

Es kommt nicht so häufig vor, dass Aleviten ihren Glauben öffentlich zur Schau stellen, da der Glaube von einer großen Innerlichkeit geprägt ist. Der Fokus des Glaubens liegt auf der Beziehung jedes Individuums mit dem Göttlichen.

Im Alevitentum hat jeder Gläubige die Freiheit, zu beten wie und wann er will – es gibt keine festen Gebetszeiten und auch keine Pflichtgebet. Einige Aleviten nutzen jedoch gerne den Donnerstagabend für ein Gebet, das sogenannte Muhabbet: dann zünden sie eine Kerze als Symbol für das göttliche Licht an und beten.

Aleviten verteilen zum Ende ihrer Fasten- und Trauerzeit im Januar vor dem Kö†lner Dom eine traditionelle Süßspeise. Während der Trauerzeit wird im Alevitentum des gewaltsamen Todes von Hussein, dem Enkel des islamischen Propheten Mohammed, gedacht.

Im Alevitentum gibt es Fastenzeiten und mehrere Gedenk- und Feiertage, an denen sich Aleviten zu Andacht-Gebeten treffen. Zusätzlich kommen die Gemeindemitglieder ungefähr fünf bis zehn Mal im Jahr im Cem-Haus für ihre Gottesdienste zusammen. Der alevitische Gottesdienst bezeichnet man als Cem, bedeutet so gut wie Zusammenkunft Dabei werden Gebete, so genannte Gülbenks, und Gedichte alevitischer Heiliger rezitiert, es werden Rituale, die so genannten Semahs, aufgeführt und die Gemeinde bespricht Fragen und Probleme der Gemeindemitglieder und das Einvernehmen (rızalık) herzustellen.

 

Sind Aleviten Muslime?

In Deutschland ist das Alevitentum offiziell als eigenständige Religionsgemeinschaft anerkannt. Als was sich die Gläubigen selbst betrachten, ist nicht einheitlich geregelt: Es gibt Aleviten, die sich als "wahre" Muslime sehen, es gibt solche, die das Alevitentum als eigenständige Konfession außerhalb des Islams ansehen.

Folgen Aleviten muslimischen Regeln und Traditionen?

Kaum. Sie pilgern nicht nach Mekka, sie fasten nicht im Monat Ramadan, sie beten keine fünf Mal am Tag und in ihren Gotteshäusern, dem Cem-Häusern, gibt es auch keine Trennung zwischen Männern und Frauen – alle Gemeindemitglieder beten gemeinsam von Angesicht zu Angesicht. Der Genuss von Alkohol ist nicht verboten. Außerdem sind für Aleviten weder die Korantexte noch die Hadithe (Sammlung über die Taten und Sprüche Mohammeds) als heilige Schriften relevant.

Ismail Kaplan, Mitbegründer der ersten alevitischen Gemeinde in Deutschland, über die Grundsätze, Quellen und Rituale des Alevitentums. Und der Dede Mahsuni Ime spricht das Gebet für ein Lokma.

Wie in allen Weltreligionen gefordert, pflegen auch die Aleviten die Tradition der Barmherzigkeit und Unterstützung der Bedürftigen. "Betet nicht mit den Knien, sondern mit den Herzen", soll Hacı Bektaş Veli von den Gläubigen gefordert haben. Und so verteilen Aleviten während ihres Gottesdienstes das "Lokma", das gesegnete Essen, auch an Arme und Bedürftige. Der Dienst am Mitmenschen gilt für Aleviten allgemein als "Gottesdienst".

Worin unterscheidet sich das Alevitentum grundlegend vom Christentum, Judentum und dem Islam?

Das Alevitentum hat im Vergleich zum Christentum, Judentum und Islam keinen Absolutheitsanspruch. Ihrer religiösen Auffassung nach gibt es keine "einzig wahre Religion", sondern viele Religionen, die alle gleichwertig sind. Deswegen haben Tora, Bibel, Koran und die Psalmen auch alle den gleichen Stellenwert bei Aleviten. Kein religiöser Glaube erhebt sich über den anderen. Auch der Atheismus wird von den Aleviten nicht abgelehnt, sondern mit dem gleichen Stellenwert versehen wie die anderen Religionen auch.

Dieser Artikel erschien erstmals am 5. Januar 2019 auf evangelisch.de.