TV-Tipp: "Jürgen - Heute wird gelebt"

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TV-Tipp: "Jürgen - Heute wird gelebt"
22.11., One, 21.00 Uhr
Wenn Männer jenseits der vierzig immer noch unbeweibt sind, hat das womöglich einen guten Grund: weil sie nicht für die Liebe, sondern für die Freundschaft geschaffen sind. Deshalb erinnert die Geschichte von Jürgen und Bernd an den Janosch-Klassiker "Oh, wie schön ist Panama": Die beiden unzertrennlichen Freunde reisen nach Polen, um dort das Glück suchen, dabei haben sie es längst gefunden; aber manchmal muss man eben erst mal in die Ferne schweifen, um das zu verstehen.

"Jürgen - Heute wird gelebt" basiert auf einem Roman von Multitalent und Kultfigur Heinz Strunk (alias Mathias Halfpape), der nicht nur das Drehbuch geschrieben hat, sondern auch die Titelrolle spielt; eine andere Besetzung wäre vielleicht denkbar, aber nicht machbar gewesen. Parkhauswächter Jürgen ist eine jener verkrachten Existenzen, wie sie in jedem von uns lauern: Die besten Jahre, wenn er je welche erlebt hat, liegen eindeutig hinter ihm; die einzige Frau in seinem Leben ist seine bettlägerige Mutter. Weil alle Versuche, was fürs Herz zu finden, fruchtlos endeten, lassen sich Jürgen und sein Kumpel Bernd (Charly Hübner), der nach einem Unfall seit einigen Jahren im Rollstuhl sitzt, von einem windigen Partnerschaftsvermittler (Peter Heinrich Brix) zu einer Fahrt nach Polen überreden. Also macht sich schließlich eine Handvoll voller trauriger Gestalten auf den Weg nach Stettin, wo angeblich viele attraktive heiratswillige Frauen auf einen deutschen Ehegatten warten, weil ihre Landsmänner arbeitsscheu und ständig betrunken sind.

Wie "Fleisch ist mein Gemüse" (2008), der ersten Verfilmung eines Strunk-Romans, ist auch "Jürgen" allenfalls oberflächlich komisch; im Grunde handelt die Geschichte der beiden verkrachten Existenzen von zwei tragischen Figuren. Zu Sentimentalitäten lässt es der Kieler Lars Jessen ("Fraktus"), dank seiner Herkunft und Komödien wie "Butter bei die Fische" oder "Fischer fischt Frau" als Regisseur für Strunks trockenen norddeutschen Humor gerade prädestiniert, jedoch nur selten kommen; meist rettet Jürgen, ein ähnlich begnadeter Alltagsphilosoph wie Olli Dittrichs Dittsche, die Situation, indem er mit todernstem Gesicht über Gott und die Welt monologisiert. Viele der gemeinsamen Szenen mit Charly Hübner wirken auf beste Weise improvisiert. Lässt sich der triste Alltag trotzdem nicht schönreden, flüchtet sich Jürgen in einen Tagtraum, in dem er Hahn im Korb unter einem Dutzend sexy Polinnen ist.

Nicht minder sehenswert sind die weiteren Mitwirkenden; Brix ist famos als halbseidener Betreiber von "Europ Love", der seine Kunden mit einem klapprigen Minibus über die Grenze karrt und seine Mitarbeiterin und Dolmetscherin (Friederike Kempter) feuert, als sie seine zwielichtigen Arrangements allzu kritisch kommentiert. Jürgen ist tief beeindruckt von dieser fragilen Person mit dem starken Willen, weshalb sich Strunk und Jessen im letzten Akt einen bösen Streich auf Kosten des Publikums erlauben. Klaas Heufer-Umlauf, Olli Schulz, Rocko Schamoni und Rike Schmied haben zudem amüsante Kurzauftritte. Originell ist auch die Idee, Jürgens nerviger Mutter eine ausschließlich akustische Präsenz zu gewähren.

Unbedingt sehenswert aber ist "Jürgen" wegen der meist skurrilen Gespräche der hoffnungsvollen Polenfahrer. Besonders schräg ist die Rolle von David Bredin, der seine Mitreisenden wahlweise mit unnützem Wissen verblüfft - weil der Mensch mit der Nahrung so viele Konservierungsstoffe zu sich nimmt, verrotten die Leichen nicht mehr richtig - oder mit absurden Fragen piesackt: Würdest du dich für fünf Millionen Euro einer Geschlechtsumwandlung unterziehen? Nebenbei hat Strunk auch noch all jene Sprüche und Kalauer eingebaut, mit denen schlichte Gemüter ganze Gespräche bestreiten können, vom Trinkspruch "Prostata" über die Aufforderung "Mach Bier leer, sonst wird der Schaum hart" bis zur Verabschiedung "Ciao-Cescu". Der Humor des Films ist ohnehin recht speziell, zumal Sprüche wie "Ladies first, James Last" modern waren, als Heinz Strunk (Jahrgang 1962) vermutlich noch keinen Gedanken daran verschwendet hat, später mal eine Karriere als Entertainer und Autor zu machen. Allzu empathische Gemüter werden aus dem Fremdschämen gar nicht mehr rauskommen. Andererseits verblüfft Jürgen immer wieder auch mit Sätzen wie diesen: "Da fliegt das Kartenhaus in sich zusammen wie eine Schachtel Schmetterlinge." Am schönsten sind dennoch die Momente, in denen Strunk und Hübner dem Kind im Manne freien Lauf lassen und beispielsweise völlig losgelöst durch eine U-Bahn-Station kaspern.