"Als würde es den Tod nicht geben"

Erste ständige "Körperwelten"-Ausstellung in Berlin
Foto: epd-bild/Christian Ditsch
Plastinierte Leiche in der ersten ständigen "Körperwelten"-Ausstellung in Berlin.
"Als würde es den Tod nicht geben"
"Körperwelten" darf dauerhaft ausstellen - doch die Kritik bleibt
Leichenplastinator Gunther von Hagens eröffnet am Mittwoch in Berlin seine erste ständige Ausstellung im sogenannten Menschen Museum am Alexanderplatz. Im Vorfeld gab es Streit und einen Gerichtsprozess. Auch die angrenzende Gemeinde St. Marien übt Kritik. Im Gespräch erzählt Pfarrerin Cordula Machoni, warum.

Warum kritisieren Sie die "Körperwelten"- Ausstellung? 

Cordula Machoni: Vor dem Hintergrund meiner christlichen Überzeugung, dass hierbei die Würde von toten Menschen verletzt wird. Sie werden in einer Art und Weise ausgestellt, die suggeriert, dass das Leben durch den Tod nicht begrenzt ist, sondern irgendwie weitergeht. Zudem kritisiere ich, dass dies unter dem Mäntelchen der medizinischen Aufklärung, des anatomischen Studiums, passiert. Was meines Erachtens an vielen guten Stellen der Fall ist, für die ich erstens keinen Eintritt bezahlen muss, und für die nicht ein so prominenter Ort, wie im Falle von Körperwelten gesucht wird. Deswegen ist die medizinische Aufklärung für mich nur ein vorgeschobenes Argument für eine Zurschaustellung und die Befriedigung von Sensationslust. 

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Warum kritisieren Sie die Wahl des Ortes der Ausstellung? 

Machoni: Der Alexanderplatz findet eine große internationale Aufmerksamkeit. Menschen, die nun auf diesen Platz kommen, sehen sich konfrontiert mit einer Gesellschaft, die toleriert, dass so mit Menschen umgegangen wird. Das finde ich fatal. Das ist eine grausige Entwicklung, dass das dort an diesem öffentlichen Platz sein darf. Und da sehe ich eben auch den Widerspruch zur Argumentation der Ausstellungsmacher, die sagen, es sei ein Ort der Selbsterkenntnis. Erstens: warum muss ich dafür Geld bezahlen? Und zweitens: wie soll Selbsterkenntnis stattfinden, in einem öffentlich inszenierten Raum? 

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Löst der Pathos, den die Macher ihrer Ausstellung verleihen, den Widerstand in Ihnen aus? 

Machoni: Zumindest möchte ich gerne erklärt haben, wo das der Fall ist und wie das passieren soll. Ich habe die Wahrheit nicht gepachtet und will mich auch nicht als Moralinstanz aufspielen. Ich will einfach deutlich machen: ich habe da eine christliche Haltung zum Thema Tod: der Tod wird ausgelagert aus unserer Gesellschaft. Es wird an irgendwelchen Plätzen gestorben, die die Lebenden möglichst nichts angeht. In Gunther von Hagens' Ausstellung wird der Tod in einer Weise ästhetisiert und mit einer Schönheit versehen, die mit dem realen Tod überhaupt nicht übereinstimmt. Der Tod hat nichts Schönes. Er ist hässlich, er ist ein Abbruch, er ist zerstörerisch. Und all das sehe ich in dieser Ausstellung überhaupt nicht thematisiert. 

"Es geht um den Menschen und die Fülle seines Lebens"

Welches Verständnis liegt dahinter, dass man nach dem Tod nicht alles mit dem Körper machen kann? 

Machoni: Nach dem christlichen Verständnis ist der Tod erstmal eine natürliche Grenze. Wenn sie von der Gottesebenbildlichkeit sprechen, dann reden wir von der Schöpfung. Und die Schöpfung verbindet sich mit dem Leben, mit lebendigen Menschen, die Körperfunktionen haben. Wir wissen, dass wir am Übergang vom Leben zum Tod an eine Grenze kommen, die wir selbst nicht mehr steuern können. Die ganze Bibel ist voll mit Zitaten davon, dass das Leben begrenzt ist. Was wir tun können, ist den Übergang vom Leben zum Tod zu gestalten. Einmal in der würdigen Beachtung des Lebens, das gelebt wurde. Zum anderen auch für die Angehörigen, die mit dem Abschied umgehen müssen. Mit diesem Schnitt haben wir eine Hoffnung auf die Auferstehung, auf ein Leben, das nach dem Tod auch geschieht. Aber nicht in körperlicher Art und Weise, nicht in der körperlichen Hülle, die wir hier auf Erden sind. Wir haben schon 2009 mit einer großen Zahl von Pfarrern und Bestattern gegen diese Art des Umgangs mit Toten demonstriert. Diesmal ist es für uns virulent, weil die Ausstellung direkt vor der Kirche ist.

Deswegen veranstalten sie heute um 18:30 Uhr eine Trauerprozession? 

Machoni: Als Erweiterung des Aschermittwochs veranstalten wir einen Gottesdienst mit einer Trauerprozession. Wir werden für die Toten in unserem Kirchhof und für die Toten in der Ausstellung beten.

Sie beten für die Seelen der Menschen, weil mit ihren Überresten nicht würdig umgegangen worden ist? 

Machoni: Natürlich für ihre Seelen, aber Seele ist ein abstraktes Wort. In erster Linie geht es um den Menschen und die Fülle seines Lebens. Die Fragen danach wer diese Menschen waren, wie sie hießen, wie sie gelebt haben, wie sie gestorben sind? Das sind alles Fragen, die die Ausstellung nicht beantwortet. Und wenn die Macher argumentieren, dass ihre Ausstellung zu einer Enttabuisierung des Todes beiträgt, dann finde ich nicht den Anknüpfungspunkt, an dem ich das ablesen kann. Im Gegenteil: die Ausstellung tut so, als würde es den Tod nicht geben und als könnte ein toter Mensch Haltungen wie Sie und ich einnehmen. Ob als Skatspieler oder auf dem Skateboard: als würde der Mensch auf irgendeine Weise weiterexistieren. 

Die Identität ist völlig abgetrennt. Aber bleibt das Bild des Menschen nicht bei den Angehörigen und Freunden? 

Machoni: Der Mensch wird eben nicht abgetrennt, weil er in einer bestimmten Situation dargestellt wird. Und deswegen ist es so wie ein im Leben sein, ein Fortleben, ein Fortbestehen. Und wir wissen überhaupt nicht, ob es mit dieser Person verbunden ist oder nicht. 

"Wenn die Macher sagen würden: 'das ist für uns Kunst mit Leichen', dann wäre es für mich tatsächlich sehr viel glaubwürdiger."

Sie kritisieren die Darstellung.

Machoni: Ich glaube nicht, dass man die Toten in Posen darstellen muss, die mit dem übereinstimmen, was wir in unserem Leben erleben. Man kann die Toten auch wie in Berlin in der medizinhistorischen Ausstellung, darstellen. Die medizinische Aufklärung passiert an vielen Stellen in guter Weise. Zum Beispiel auch in Fachbüchern. Aber wenn so getan wird, als würde das Leben weitergehen, hat das mit Aufklärung nichts zu tun. 

Wie heilig sind die Reste eines Menschen? 

Machoni: Die Frage ist: wo hören wir auf Mensch zu sein? Und wenn ein Urteil gesprochen wird, in dem es heißt, hier handelt es sich nicht um menschliche Überreste, sondern um Sondermüll, den man nicht bestatten kann, weil er anders zu behandeln ist als irgendwelche Müllreste, dann kann ich darüber nur den Kopf schütteln. Für mich sind das immer noch Menschen und die gehören auf eine Weise behandelt, wie es ihnen als Menschen auch gebührt. Das sehe ich in dieser Art der Ausstellung nicht eingelöst. 

Vor allem für die Angehörigen und Freunde müsste das ein Problem sein?

Machoni: Ich weiß nicht, ob es Angehörige gibt, die in die Ausstellung gehen und ich möchte mir auch nicht vorstellen, wie das für sie ist. Ich finde es einen grausigen Gedanken. 

Würden Sie anders über die Ausstellung denken, wenn die Macher den spirituellen Pathos ablegen würden und ehrlich sagen: wir wollen damit Geld verdienen und finden, es sieht super aus? 

Machoni: Das wäre für mich ein ehrlicherer Umgang damit und darüber könnten wir im Gespräch sein und diskutieren. Wenn die Macher sagen würden: "das ist für uns Kunst mit Leichen" und diesen kommerziellen Aspekt einfach zugeben, dann wäre es für mich tatsächlich sehr viel glaubwürdiger.