Filmkritik: "Selma"

David Oyelowo spielt Martin Luther King im Kinofilm "Selma".
Foto: epd-bild/Atsushi Nishijima
David Oyelowo spielt Martin Luther King im Kinofilm "Selma".
Filmkritik: "Selma"
Der kämpferische Pastor: Mit "Selma" ist der afroamerikanischen Regisseurin Ava DuVernay ein konzentrierter, sensibler biografischer Film über den Bürgerrechtler Martin Luther King gelungen. Dafür gab es eine "Oscar"-Nominierung in der Kategorie "Bester Film".
18.02.2015
epd
Andreas Busche

Die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung hat in den 1960er Jahren ihre Marken auf der Landkarte der USA hinterlassen, vor allem in den Südstaaten. Greensboro, Birmingham, Montgomery, Jackson, der Marsch auf Washington: Die Namen der Orte, an denen die schwarze Bevölkerung für ihre Rechte auf die Straße ging, sind so tief verankert wie die Namen der Menschen, die ihr Leben für diesen Kampf ließen. Es ist daher nur folgerichtig, dass die erste große Filmbiographie über Martin Luther King (1929-1968) nach jenem Ort benannt ist, an dem er und die Bürgerrechtsbewegung ihren wichtigsten Triumph feierten. Im kleinen Städtchen Selma nahe Montgomery in Alabama eskalierte im Frühjahr 1965 der Streit um das uneingeschränkte Wahlrecht für die schwarze Bevölkerung.

Anders als in Spike Lees "Malcolm X" oder Lee Daniels' "The Butler" geht es in "Selma" nicht um eine Chronik von Ereignissen, sondern um eine konzentrierte Situation. Ein Regisseur fand sich nicht sofort, was unter anderem an dem niedrigen Budget von 20 Millionen Dollar lag. Es ist bezeichnend für die US-Filmindustrie, dass die erste große Verfilmung des Lebens einer der bedeutendsten Persönlichkeiten der amerikanischen Geschichte im 20. Jahrhundert als Independent-Produktion kalkuliert wurde. Im Nachhinein jedoch war es ein Glücksfall: Die Regie übernahm die noch wenig bekannte Filmemacherin Ava DuVernay, die mit ihrem Spielfilmdebüt "Middle of Nowhere" vor drei Jahren den Sundance-Regiepreis gewonnen hatte.

Reflexion im Vordergrund

Ihre Sensibilität für zwischenmenschliche Dynamiken zeichnet auch "Selma" aus, der mit einem kurzen Dialog zwischen King (David Oyelowo) und seiner Ehefrau Coretta (Carmen Ejogo) beginnt, in dem King seinen Anzug für die Verleihung des Friedensnobelpreises skeptisch kommentiert. Dann erzählt er von seinem Traum, Pastor einer kleinen Gemeinde zu sein. Solch beiläufige Dialoge sind wesentlich für DuVernays Inszenierung, die nie die große Aktion, sondern immer die Reflexion in den Vordergrund stellt. Man könnte "Selma" etwas abfällig als "Redefilm" abtun, doch die Regisseurin beschreibt fundiert und dabei leidenschaftlich die Strategien und die Politik innerhalb der Bürgerrechtsbewegung in Diskussionen, Auseinandersetzungen und Selbstzweifeln.

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Sehr schön wird dieses Anliegen in der zentralen Szene des Films deutlich, dem zweiten Marsch von Selma nach Montgomery. DuVernay filmt ihn wie einen Showdown, erzählt diesen bedeutsamen gemeinschaftlichen Moment aber zugleich ohne Pathos: durch die Nähe der Menschen, wie sie nebeneinander marschieren; durch die Ruhe, mit der die Kamera ihre ernsten Gesichter registriert; im Verhältnis von Individuum und Kollektiv, das für das Selbstverständnis der Bürgerrechtsbewegung so grundlegend war. Ein grandioses Ensemble von afroamerikanischen und afrobritischen Schauspielern trägt maßgeblich dazu bei, dass "Selma" tatsächlich sehr viel mehr ist als bebilderte Geschichte.

GB/USA 2014. Regie: Ava DuVernay. Buch: Paul Webb. Mit: David Oyelowo, Wendell Pierce, Tom Wilkinson, Carmen Ejogo, Oprah Winfrey, André Holland, Colman Domingo, Stephan James, Keith Stanfield, Common. Länge: 127 Minuten.