"Für mich da": Fußballspiele und Schneeballschlachten

"Für mich da": Fußballspiele und Schneeballschlachten
Wegbereiter, Lebensbegleiter, Impulsgeber oder wichtige Stütze in schwerer Zeit: Für viele Menschen sind Pfarrerinnen und Pfarrer mehr als einfach nur Prediger. In unserer Pfarrerserie "Für mich da" erzählen wir von besonderen, prägenden oder einfach guten Beziehungen zwischen "Hirten" und ihren "Schäfchen". Christian Fischer ist 27 Jahre alt und kommt aus Oberweimar bei Marburg. Er hat BWL studiert. Sein Herz schlägt aber auch für die Kirche, da engagiert er sich schon lange. Jetzt wird er Prädikant. Er erzählt, wie ihn die Pfarrer, die er in seiner Jugend kennengelernt hat, dazu gebracht haben. Aufgezeichnet von Magdalena Dräger.

Wieso bist du nicht Pfarrer geworden? Das fragen mich in letzter Zeit viele Leute. Es ist eine gute Frage. Ich wollte Astronaut und Staatsanwalt werden. Als Kind hat man da so seine Wünsche, aber Pfarrer war nicht dabei. Mit 16 hatte ich nur im Kopf, dass man als Pfarrer irgendwo in Deutschland hingesteckt wird, man kann nicht mit entscheiden. Das wollte ich nicht. Ich möchte aussuchen, wo ich lebe, im Norden lieber als im Süden. Außerdem dachte ich, dass ein Gemeindepfarrer immer da und erreichbar sein muss. Auch das wollte ich nicht. Damals waren mir die Aufgaben eines Pfarrers einfach nicht bewusst.

Ein Pfarrer ist immer da, wo es brennt. Er ist aber auch immer da, wo es schön ist, wie bei Taufen und Hochzeiten. Diese beiden Feste sowie Abendmahl und Beerdigungen darf ich bald mit der Gemeinde feiern. Als Lektor geht das noch nicht, aber als Prädikant. Dafür mache ich jetzt die Ausbildung. Auch einen Talar darf ich dann tragen. Der sieht aber anders aus, als der eines Pfarrers. Gerade promovierte ich in der empirischen Kapitalmarktforschung, habe ein Abitur gemacht, das einen Schwerpunkt auf Mathe und Datenverarbeitung hatte. Danach habe ich angefangen, Betriebswirtschaftslehre zu studieren.  

Die Kirche und ihre Pfarrer haben für mich immer dazugehört. Ich komme aus einem evangelischen Haus. Meine Familie besetzt seit Jahrzehnten die Küsterstelle im Ort. Schon mein Urgroßvater war Küster. Jetzt ist es meine Mutter. Dadurch hatte ich immer einen Bezug zum Bauwerk Kirche, bin mit in die Gottesdienste gegangen. Da lernt man auch die Pfarrer kennen. Drei haben mein Leben mitgestaltet. Aber der Pfarrer, der mich für die Kirche begeistert hat, war der Pfarrer, der mich konfirmiert hat, Dr. Stephan Goldschmidt. Jetzt ist er Oberkirchenrat bei der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Ein Pfarrer in Sandalen und T-Shirt

Es war im Sommer 2000, da saßen wir neuen Konfirmanden alle auf der Treppe des Pfarrhauses und waren gespannt, was auf uns zukommt. Ein Vertretungspfarrer sollte uns konfirmieren. Dann kam Stephan Goldschmidt in Sandalen und T-Shirt um die Ecke. Das war ansprechend. Für einen Jungen in meinem Alter war er das ideale Pfarrerbild. Man denkt ja immer, dass Pfarrer trocken sind, aber Goldschmidt war das Gegenteil. Er hat uns nicht nur inhaltlich viel beigebracht, sondern auch mit uns Fußball gespielt und im Winter mit uns Schneeballschlachten veranstaltet. Da war so viel Leben drin. Das war cool.

Aber wir haben auch viel geredet. Gerade im Alter von Konfirmanden ist diese Zeit prägend. Es ist das Alter, in dem junge Menschen der Kirche den Rücken zukehren, aber Stephan Goldschmidt hat es geschafft, eine Verbindung zu mir aufzubauen. Er war innovativ, hat einen Gottesdienst zum Buß- und Bettag meditativ mit Gitarre gestaltet, einen andern hat er mit Musik von Marius Müller-Westernhangen aufgelockert. Stephan Goldschmidt hat nicht nur viel von Glaube und Kirche erzählt, ich habe auch viel erlebt mit ihm. Für mich war diese Zeit zu prägend, um mich von der Kirche zu entfernen. Ich fand spannend, was sich im Raum Kirche so alles abspielte, habe mir meine Gedanken gemacht. Für mich bedeutet "Glauben" das ganze Paket: Glauben, hoffen und zweifeln. Das alles sollte abgebildet werden. Deshalb mag ich auch die Texte von Dietrich Bonhoeffer.

Mittendrin, nicht nur dabei

Nach meiner Konfirmation hat Stephan Goldschmidt die Gemeinde verlassen. Er war ja nur Vertretungspfarrer. Es war die Zeit, in der ich mir meinen ersten Computer gekauft habe. So konnten Stephan Goldschmidt und ich über E-Mails in Kontakt bleiben. Ein paar Mal im Jahr haben wir uns ausgetauscht und uns auf den neuesten Stand gebracht. Ich war 2004 bei seinem Abschiedsgottesdienst in der Christuskirche, als er nach Hannover wechselte.

So kam der zweite Pfarrer, Burkhard zur Nieden, in die Gemeinde und in mein Leben. Zusammen mit ihm habe ich die ersten Ideen umgesetzt. Wir haben die Internetseite der Gemeinde neu gestaltet. Ich habe mich etwas um die Öffentlichkeitsarbeit gekümmert, war aber auch im kirchlichen Raum dabei und habe Adventsandachten mitgemacht. Wenn man sich in der Kirche engagiert, ist man einfach mittendrin, nicht nur dabei. Das hat mir gefallen. Burkhard zur Nieden hat damit die Pflanze gepflegt, die Stephan Goldschmidt gesät hat. Nach sechs Jahren wurde er Dekan in Marburg.

Meine drei Pfarrer waren da

2010 trat mit Dirk Wilbert der dritte Pfarrer in mein Leben. Ich arbeite gern mit ihm zusammen.  Er war es auch, der mich fragte, ob ich nicht Interesse an einer Lektorenausbildung hätte. Das hat mich gefreut. Knapp ein Jahr lang habe ich mit 15 Leuten einen Lektorenkurs besucht. Als ich fertig war und meine Einführung als Lektor anstand, habe ich Stephan Goldschmidt dazu eingeladen. Lektoren werden ja einzeln, nicht zentral eingeführt. Er hat angeboten, die Predigt für meinen Einführungsgottesdienst zu halten. Er ist mit dem Zug aus Hannover nach Oberweimar gekommen. Und als er mit seinem Trolley in die Kirche kam, hatte ich das Gefühl, als hätten wir uns zehn Wochen nicht mehr gesehen, statt zehn Jahre.

Auch Burkhard zur Nieden und Dirk Wilbert waren da. Das fand ich schön. Meine drei Pfarrer waren da. Mit jedem habe ich meine eigene Geschichte.