Die selbst ernannten Gotteskrieger Nigerias

Der Screenshot aus einem Video vom Oktober 2014 zeigt den Anführer der Terrorgruppe Boko Haram (Mitte).
Foto: picture alliance/AP Photo
Der Screenshot aus einem Video vom Oktober 2014 zeigt den Anführer der Terrorgruppe Boko Haram (Mitte).
Die selbst ernannten Gotteskrieger Nigerias
Entführungen, Schutzgelder, Banküberfälle und Mord: Die Terrorgruppe Boko Haram in Nordnigeria hat den Profit im Auge, auch wenn sie mit islamistischen Parolen ihre Terroranschläge rechtfertigt. Ein Machtgeflecht verbindet sie mit Politik, Armee und Polizei.

Die grausamen Anschläge der Terrorgruppe Boko Haram sind bisher nicht zu stoppen. Innerhalb weniger Tage wurden die Menschen in der nordnigerianische Grenzstadt Baga zweimal brutal angegriffen. Boko Haram habe die Stadt am Mittwoch mit einem Brandanschlag verwüstet, berichtete die BBC. Nach Augenzeugenberichten seien die Straßen mit Leichen übersäht gewesen.

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Bereits am 3. Januar waren in Baga stationierte Armee-Einheiten vor den Terroristen geflohen und hatten die Bevölkerung schutzlos zurückgelassen. Baga und 16 benachbarte Städte sollen unter der Herrschaft der Terrorgruppe stehen. Die Zahl der Opfer ist nicht klar. Nach Angaben eines Regierungsbeamten seien bis zu 2.000 Menschen gestorben. Andere Quellen sprechen von mehreren hundert Toten. Es sind nur einige unter den tausenden Opfern, die die selbst ernannten Gotteskrieger getötet oder entführt haben.

Auch von den meisten der etwa 240 Mädchen, die Mitte April im Norden Nigerias aus ihrem Internat verschleppt wurden, fehlt jede Spur. In sozialen Medien hatte die Weltöffentlichkeit erfolglos die Freilassung der Mädchen unter #bringbackourgirls gefordert. Auch die Verhandlungen der nigerianischen Regierung blieben ohne Ergebnis.

Der Staat ist hilflos - trotz internationaler Unterstützung durch Spezialisten und Drohnen. Den Spezialkräften der nigerianischen Armee, die Dörfer in der Region durchkämmen, wird von Bewohnern ähnlich viel Willkür und Brutalität vorgeworfen wie den Terroristen. Manche helfen den Terroristen gar.

Verwicklungen in kriminelle Geschäfte

Boko Haram, deren Name sich am ehesten mit "Westliche Erziehung ist Sünde" übersetzen lässt, hatte schon immer mit kriminellen Geschäften zu tun. Schon kurz nach ihrer Gründung vor zwölf Jahren verlieh die Gruppe Schlägertrupps an jeden, der dafür bezahlte. Man nahm Geld von Al-Kaida an, aber auch von Politikern jeglicher Couleur, die unliebsame Konkurrenten loswerden wollten.

So entstand ein Machtgeflecht im Schatten des Staates, in dem Politik, Polizei, Geschäftsleute und angebliche Islamisten bis heute eng miteinander verbandelt sind. Im Mittelpunkt steht dabei stets der Profit. Während die Anführer mit dem Ziel eines islamischen Gottesstaats immer neue Anhänger anlockten, nutzten sie die Mitglieder für krumme Geschäfte. Alleine 2011 wurde die Gruppe für 100 Banküberfälle verantwortlich gemacht, mehr als 4,3 Millionen Euro wurden dabei erbeutet.

"Daraufhin haben sie ein Blutbad angerichtet"

Seit die Terrorgruppe ganze Regionen im Norden Nigerias kontrolliert, sind neue kriminelle Geschäfte hinzugekommen. Die Terroristen pressen Muslimen ebenso Schutzgelder ab, wie Andersgläbigen. In der Region um Chibok, wo wie im ganzen Süden der Provinz Borno mehrheitlich Christen und Anhänger traditioneller Religionen leben, wird die "Dschizya" genannte Christensteuer eingetrieben.

"Ende März tauchten zum ersten Mal Boko-Haram-Kämpfer in unserem Dorf auf - sie waren bewaffnet und haben uns gesagt: wir haben zwei Monate, um 250.000 Naira Steuer zu sammeln", sagt Bukar Umar aus Kamuyya, einem knapp 50 Kilometer entfernten Nachbardorf von Chibok. Umgerechnet sind das knapp 1.150 Euro.

Als die Terroristen wieder auftauchten, hatten die Bauern, Kleinhändler und Tagelöhner von Kamuyya das Geld nicht zusammen. "Daraufhin haben sie ein Blutbad angerichtet", berichtet Umar. Zwanzig Menschen starben, als die Terroristen auf dem Markt das Feuer eröffneten, Dutzende wurden verletzt. Ein brutales Exempel. Die Entführung der Mädchen von Chibok soll einen ähnlichen Hintergrund haben.

Die meisten Opfer sind Nigerianer

Im Februar 2014 verschleppten Mitglieder von Boko Haram sieben Franzosen aus einem kamerunischen Nationalpark. Das Lösegeld für den Ingenieur und sechs Familienangehörige soll 2,3 Millionen Euro betragen haben. Am 1. Juni dieses Jahres entließ Boko Haram zwei Italiener und eine Kanadierin aus ihrer Gewalt, angeblich auch für Millionen. Die im Juli verschleppte Frau des stellvertretenden Regierungschefs von Kamerun kam schließlich im Oktober wieder frei.

Am meisten trifft die Entführungswelle aber Nigerianer. Die meisten Entführten stammen aus mittleren Einkommensklassen, die sich keine Leibwächter leisten, aber dennoch Lösegelder von rund 10.000 Euro aufbringen können. Der bislang prominenteste Entführte: Der 92-jährige Vater eines hochrangigen Generals der nigerianischen Armee, der vor einer Moschee entführt und nach drei Tagen gegen ein Lösegeld von mehr als 230.000 Euro freigelassen wurde.

Ein Ende ist nicht in Sicht. Die Entführungen sind Teil eines skrupellosen Geschäfts, für das Boko Haram zunehmend ein ganzes Land in Geiselhaft nimmt. Laut UN sind bisland eine Million Nigerianer von Boko Haram vertrieben worden.