Flucht ins Kloster: Nicht alles anders, aber vieles besser

Flüchtlinge im Kloster
Foto: Brigitte Geiselhart
Im vertrauensvollen Gespräch: Schwester Regina Starzmann zusammen mit einem Flüchtling aus Kamerun, der im ehemaligen Gästehaus des Klosters Weingarten ein vorübergehendes Zuhause gefunden hat.
Flucht ins Kloster: Nicht alles anders, aber vieles besser
39 Flüchtlinge leben im ehemaligen Gästehaus des Klosters Weingarten. Die Initiative des katholischen Bischofs Gebhard Fürst trägt Früchte. Alle Flüchtlinge fühlen sich gut aufgehoben, im Alltag und auch im interreligiösen Dialog. Unsere Autorin Brigitte Geiselhart beschreibt das Flüchtlingsleben hinter Klostermauern.

Tafari, 23 Jahre, Simba, 33 Jahre und Taio, 28 Jahre (Namen von der Redaktion geändert) stammen aus Eritrea, aus Nigeria, aus Kamerun. Dass sie im ehemaligen Gästehaus eines Benediktinerklosters im oberschwäbischen Weingarten zusammen mit rund 40 anderen Flüchtlingen leben sollten, das hätten sie sich vor Jahren vermutlich nicht vorstellen können. Und doch sind sie mittlerweile seit rund einem Dreivierteljahr hier – weil sie es in ihren Heimatländern nicht mehr ausgehalten haben, weil sie vor der Politik fliehen mussten oder weil es ums nackte Überleben ging. Und sie fühlen sich wohl – so gut es geht, wenn man von seiner Familie getrennt ist, wenn man froh sein muss, in sicherer Obhut zu sein und einen zarten Lichtschein am Ende eines langen Tunnels zu erkennen glaubt. Doch die Unsicherheit steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Viele wissen nicht, was der morgige Tag bringen wird, ob sie bleiben dürfen, oder ob ihr Asylverfahren gemäß der "Dublin-Verordnung" letztlich in einem anderen europäischen Land geregelt wird.

###mehr-artikel### Reden? Das fällt Tafari, Simba, Taio und den anderen schwer. "An meine Flucht möchte ich nicht erinnert werden", erzählt Tafari mit gebrochener Stimme in leidlichem Englisch. Zu Fuß sei er nach Äthiopien gelaufen, dann ging es mit einem kleinen Auto durch die Wüste Sudans nach Libyen. In einem winzigen Boot hat er das Meer in Richtung Italien überquert, in ständiger Angst, zu kentern und zu ertrinken. Dann die vorerst letzte Etappe wieder mit dem Auto von Italien nach Deutschland. "Insgesamt war ich fast drei Jahre unterwegs", sagt der junge Mann. Ob er jetzt im Land seiner Träume angekommen ist? "Ja", ist sich Tafari sicher. "Deutschland ist das Land der Freiheit. Ich möchte hier leben. Und ich werde jede Art von Job annehmen, den ich bekommen kann. Toll wäre es auch, wenn ich hier einen Beruf lernen könnte." Wie seine Tage hier verlaufen? "Morgens um 7.30 Uhr gehe ich in die Schule nach Ravensburg. Ich will die deutsche Sprache lernen", sagt er stolz. "Danach habe ich frei. Wir spielen gerne zusammen Fußball, kochen auch mal gemeinsam. Eigentlich können wir machen, was wir wollen. Und wenn wir Probleme haben, ist jemand da, den wir fragen können oder der uns hilft. Auch mit dem Verständnis der unterschiedlichen Nationalitäten klappt es ganz gut."

Füreinander da und auf dem richtigen Weg sein

###mehr-links###" Martinsberg Weingarten, Gemeinschaftsunterkunft Kirchplatz 9". Die bemerkenswerte Initiative von Bischof Gebhard Fürst, der schon vor Jahresfrist anregte, ungenutzte kirchliche Gebäude als Flüchtlingsunterkünfte zu nutzen, trägt Früchte. Hier scheint nicht alles anders, aber vieles besser zu sein als in anderen Einrichtungen für Asylbewerber und Flüchtlinge. Dass man der Überzeugung sei, auf dem richtigen Weg zu sein, bestätigt auch Thomas Broch, bischöflicher Beauftragter für Flüchtlingsfragen. Durchweg gute Erfahrungen habe man gemacht – nicht nur in Weingarten, sondern auch in anderen Flüchtlingseinrichtungen unter kirchlichem Dach wie den ehemaligen Klöstern in Kirchheim am Ries und Oggelsbeuren, ebenso in kleineren Gemeinde- oder Pfarrhäusern, sagt Broch. "Weitere Potentiale" seitens der Diözese Rottenburg-Stuttgart sollen demnach ernsthaft und zeitnah geprüft werden.

Ein gutes Miteinander: Sozialarbeiter Dieter Haag, Schwester Regina, Schwester Ines zusammen mit einem Asylbewerber aus Nigeria. Bild: Geiselhart
" Unsere 39 Bewohner sind junge Männer, die aus Nigeria, Eritrea, Kamerun und Pakistan kommen. Bis auf die zwei Pakistani bringen alle einen christlichen Hintergrund mit", erzählt Dieter Haag, Sozialarbeiter bei der Caritas Bodensee-Oberschwaben, der im Auftrag des Landkreises und der Diözese für die Flüchtlingsarbeit in Weingarten zuständig ist. "Untergebracht sind sie in Zwei- und Dreibettzimmern. Die gesetzliche Regelung, den Anspruch von 4,5 Quadratmetern Wohnfläche pro Asylbewerber auf sieben Quadratmeter zu erhöhen, gilt erst ab 1. Januar 2016 – hier findet sie auf persönlichen Wunsch des Bischofs bereits jetzt Anwendung", wie Haag betont. Das von der Landesregierung zur Verfügung gestellte Geld für Sprachkurse reiche allerdings meist nicht für alle Flüchtlinge – dennoch sei die Situation in Weingarten auch in dieser Hinsicht relativ gut. Und so dürfen neun Bewohner der Einrichtung eine internationale Vollzeitklasse der Edith Stein Schule besuchen, die dem B1-Niveau von Integrationskursen vergleichbare Sprachkenntnisse vermittelt. 30 weitere Plätze gibt es für zwei Sprachkurse an je zwei Nachmittagen pro Woche. Vier zusätzliche Sprachkurse werden von Ehrenamtlichen angeboten. Und für 39 Flüchtlinge gibt es derzeit 20 Ein-Euro-Jobs – eine erstaunliche Zahl, die weit über dem Durchschnitt liegt.

Mit einem Abschiebungsbescheid kommt die Ohnmacht

"Das hängt sicher damit zusammen, dass wir durch den bischöflichen Vorstoß in den Öffentlichkeit verstärkt präsent sind", sagt Dieter Haag, "ist aber auch dem Engagement der Schwestern zu verdanken". Allein drei solcher Stellen gibt es an der benachbarten Schule. Eine beim Hausmeister, zwei in den internationalen Vorbereitungsklassen zur Unterstützung der Lehrer bei den Kindern. Einer der Ein-Euro-Jobber hat einen Master in Sozialwissenschaften, ein anderer war in seinem Heimatland Lehrer.

"Schwester, hast du Pumpe?" – "I look." Immer ein offenes Ohr zu finden, selbst bei solch banalen Problemen wie einem platten Fußball, auch das ist auf dem Martinsberg möglich. Schwester Regine Starzmann, die außerdem noch in ihrem Beruf als Altenpflegerin arbeitet, gehört zusammen mit Schwester Ines Wellhäusser, einer pensionierten Sonderschullehrerin, und Schwester Junia Funk, Pastoralreferentin im Max-Kolbe-Werk des Bildungshaus Reute, zu den drei Franziskanerinnen des Klosters Reute, die hier seit einigen Monaten einen kleinen Konvent gebildet haben und mit Rat und Tat zur Seite stehen. Wo kann man einkaufen? Wer begleitet mich zum Arzt? Woher bekomme ich eine wärmende Jacke? Auch bei solchen Fragen sind die Schwestern erste Ansprechpartnerinnen. "Die einen sind schneller selbständig, die anderen langsamer, wie eben andere Leute auch. Wir wohnen gegenüber. Wenn ich morgens mein Licht anmache, wissen sie schon, ich bin wach", sagt Schwester Regina. Man habe nach und nach Vertrauen gewinnen können, könne innere Not teilen, gebe im urchristlichen Sinne das, was man geben könne und sei doch oft selbst ohnmächtig und überfragt, erzählt sie weiter. "Etwa, wenn Betroffene den Bescheid der Abschiebung bekommen."

Großes Miteinander der Religionen

"Ich empfinde diese Aufgabe auch als Bereicherung für mich". Martha Schmidt gehört zur Gruppe von Ehrenamtlichen, die sich in der Flüchtlingsarbeit engagieren. Bild: Geiselhart
Können religiöse Auseinandersetzungen in diesem trotz allem beengten Umfeld zur Belastung werden? "Davon spüre ich nichts", berichtet die Katholikin Martha Schmidt, die als pensionierte Realschullehrerin seit gut eineinhalb Jahren ehrenamtlich in der Flüchtlingsarbeit tätig ist und derzeit einen Muslim aus Pakistan betreut. "Er bat mich, vor der Geburt seines Kindes für ihn und seine Familie zu beten. Im Gegenzug dazu schließt er mich ebenfalls in seine Gebete ein. Religion ist für uns keine Hürde – im Gegenteil", sagt sie. Weitermachen zu dürfen, nicht müde zu werden im Bemühen, bisher Perspektivlosen zu einer Perspektive zu verhelfen und zu versuchen, mit ihnen Schritt für Schritt in eine bessere Zukunft zu gehen, dafür ist Martha Schmidt dankbar.

Von den Gesprächen mit einem Sozialarbeiter, einer Ordensschwester und einer Ehrenamtlichen haben Tafari, Simba, Taio und ihre Kumpels nichts mitbekommen. Sie tun das, was sie in ihrer Freizeit am liebsten tun – Fußball spielen. Die benötigte Luftpumpe ist natürlich längst angekommen. Es ist ein freundlicher Herbsttag. Die Sonne lacht am Weingartener Martinsberg. Die Aussichten, dass morgen auch wieder ein schöner Tag wird, stehen gut.