Ausnahmezustand im Wartesaal

Foto: epd-bild/Christian Ditsch
Ausnahmezustand im Wartesaal
Die Erstaufnahme für Asylbewerber in Berlin-Moabit ist seit Wochen überfüllt. Die Mitarbeiter arbeiten an der Grenze ihrer Belastbarkeit. Und die Flüchtlinge hoffen endlich auf ein besseres Leben.
04.10.2014
epd
Anne Onken

Wenn Claudia Schütz in der kommenden Woche ihren Resturlaub aus dem Jahr 2013 nimmt, geht sie nicht ohne schlechtes Gewissen. Schütz ist Leiterin des Bereichs Soziales beim Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales, in ihrer Behörde herrscht seit einigen Wochen Ausnahmezustand. Kein Tag vergeht, an dem nicht weit über hundert Menschen in das graue Hochhaus im Stadtteil Moabit strömen, um einen Antrag auf Asyl zu stellen. All diese Flüchtlinge benötigen dann auch vorerst eine Unterkunft in Berlin. "Unsere Mitarbeiter wissen kaum, wie sie der Flut an Anträgen Herr werden sollen", sagt Claudia Schütz. "Wir arbeiten am Limit." Deshalb habe ihre Behörde Anfang September kurzfristig schließen müssen, als mehr als 1.000 Flüchtlinge innerhalb von zwei Tagen in der Behörde vorsprachen. Dies hatte für Empörung gesorgt.  

Notunterkünfte in Containerdörfern

Die Zahl der "Zugänge", wie die Behörde es nennt, hat sich in diesem Jahr im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt: Allein im August dieses Jahres wurden Asylanträge von 1.145 Flüchtlingen in Berlin bearbeitet, 2013 waren es im gleichen Monat 573 gewesen. Laut Landesamt lebten Ende September 10.876 Asylsuchende in 46 Berliner Flüchtlingsunterkünften. Hinzu kamen 375 Flüchtlinge in Hostels und Pensionen. Die Unterkünfte reichen bei weitem nicht aus: Das Land Berlin will bis zum Beginn des Winters 2.200 zusätzliche Notunterkünfte in Containerdörfern schaffen. Eine eigens eingerichtete Taskforce sucht nach geeigneten landeseigenen Grundstücken.

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Die Flüchtlinge, die an diesem Tag Ende September in der Schlange der Erstaufnahmestelle stehen, bekommen von diesen Planungen hinter den Kulissen wenig mit. Für sie zählt, dass der fensterlose Wartesaal mit den Neonröhren an den Decken fast bis auf den letzten Platz gefüllt ist. Bis zum frühen Nachmittag haben bereits 110 Asylsuchende eine Wartenummer gezogen. Kinder hocken neben ihren Eltern, ältere Menschen wirken orientierungslos, hier und da zieht sich jemand mit einem Gebetsteppich in eine Ecke zurück. Einen extra Gebetsraum gibt es nicht, dafür aber Buntstifte für die Kinder von der Pressesprecherin des Landesamtes, Silvia Kostner. "Eigentlich müssten wir den Kindern hier ein Kinderprogramm bieten." Zeitweilig habe es zwar eine Spielecke mit Ikea-Möbeln gegeben, die sei aber schnell kaputt gewesen und wieder weggeräumt worden.

Rana, eine 36-jährige Frau aus Syrien, die ihren vollen Namen nicht nennen möchte, hätte sich für ihre Tochter Mara (7) durchaus eine Ablenkung gewünscht. Die beiden sind mit Verwandten auf abenteuerliche Weise in die EU gelangt - über Ägypten mit einem Boot nach Sizilien. 641 Menschen waren an Bord. "In Ägypten hätte meine Tochter keinen Zugang zu Bildung bekommen", sagt Rana. Freunde hätten ihr deshalb geraten, nach Deutschland zu gehen. Ihr Mann und drei weitere Kinder seien allerdings noch in Syrien. 

"Ich will hier jedenfalls nicht sinnlos herumsitzen"

Den meisten ergeht es wahrscheinlich ähnlich. Viele Flüchtlinge in der Berliner Erstaufnahmestelle sehen müde aus, angespannt. Sie warten darauf, endlich aufgerufen zu werden. Wohin sie nach einem ersten Vorsprechen geschickt werden, ist völlig unklar. Je nach Herkunftsland werden die Asylsuchenden gleich am darauffolgenden Tag in andere Bundesländer weitergeschickt. Weil dort Migrationsexperten arbeiten, die sich mit ihren Herkunftsländern auskennen. Experten, die im Anhörungsverfahren besser beurteilen können, ob jemand zu einer verfolgten Minderheit gehört - etwa als Angehöriger einer religiösen Minderheit oder als Homosexueller.

So dürften auch Vida Razavis Angaben geprüft werden. Sie spricht zwar perfekt Englisch und braucht keinen der 30 Sprachmittler, die hier rund um die Uhr im Einsatz sind. Die 31-Jährige kann selbst erklären, dass sie aus dem Iran kommt und der religiösen Minderheit der Bahai angehört, die dort Repressalien ausgesetzt ist. Die vergangenen fünf Jahre hat Vida Razavi im Ausland verbracht, zuletzt hat sie in Belgien einen Master in Development Evaluation und Management gemacht. Jetzt ist ihre Aufenthaltsgenehmigung ausgelaufen und Razani hofft auf Asyl in Deutschland - und auf weitere Betätigung. "Ich will hier jedenfalls nicht sinnlos herumsitzen."

Den Wartenden das Gefühl geben, willkommen zu sein, will Christiane Vorländer von der Berliner Stadtmission. "Wir reden mit den Leuten, spenden ein bisschen menschliche Wärme." Vor dem Hochhaus schenken sie und ihre Mitarbeiter in einem Zelt Kaffee und Tee aus, hin und wieder ziehen sie auch mit Thermoskannen durch den Wartesaal. Sie kümmern sich mitunter um die Kinder und vermitteln die Menschen bei Bedarf an Notübernachtungen. "Wir haben das Gefühl, zu tun, was dran ist und was den Menschen in dieser Situation erst mal gut tut", sagt Vorländer.