Nikolaus Schneider kritisiert Grass wegen Israelgedicht

Nikolaus Schneider kritisiert Grass wegen Israelgedicht
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, hat dem Schriftsteller Günter Grass überzogene Israel-Kritik vorgehalten.

In der Karwoche und unmittelbar vor dem jüdischen Pessachfest habe der Literaturnobelpreisträger in dem umstrittenen Gedicht "Was gesagt werden muss" der Politik Israels den Willen zum "Auslöschen" des iranischen Volkes unterstellt, heißt es in einer Stellungnahme des EKD-Repräsentanten, die am Donnerstag bekannt wurde. Dagegen werde in dem Grass-Gedicht die Bedrohung der Existenz des Staates Israel und der vom iranischen Präsidenten ausgesprochener Vernichtungswille "verharmlost und ignoriert", kritisiert Schneider, der auch rheinischer Präses ist.

Die Karwoche sei für die christlichen Kirchen bestimmt vom Nachdenken über den Weg des Juden Jesus von Nazareth in dessen Kreuzestod. Die Fragen nach dem Sinn des Leidens und Sterbens Christi und die Deutung des Karfreitaggeschehens seien eine der schwierigsten Aufgaben christlicher Theologie. Nicht selten habe sich die christliche Theologie dabei "verrannt" und hätten missverständliche theologische Antworten zu Angriffen und Ausschreitungen gegen Juden geführt", gibt der Theologe zu bedenken. "Die Schuldgeschichte unserer christlichen Kirchen wirkt - Gott sei es geklagt - bis in heutige Positionen und Auseinandersetzungen fort."

Gerade in dieser Perspektive finde er das Gedicht von Grass sowohl hinsichtlich des Inhalts als auch des Zeitpunkts der Veröffentlichung bedauerlich, ergänzte Schneider, der im März mit der "Buber-Rosenzweig-Medaille" der christlich-jüdischen Gesellschaften geehrt wurde.

Hoffnung, um für den Frieden zu beten

"Mit der Auferstehung Jesu Christi bekennen die christlichen Kirchen, dass die Lebensmacht Gottes sich als stärker erwiesen hat als die Macht des Todes", erklärt der Ratsvorsitzende. Sie sei auch stärker als Ängste und Todesdrohungen, die das Zusammenleben weltweit, vor allem aber im Nahen Osten prägten. Daraus gewönnen Menschen die Kraft und die Hoffnung, auch in aussichtslos erscheinenden Situationen für den Frieden zu beten. "Das soll und muss gesagt werden - gerade im Blick auf Israel, Palästina und den Iran", schreibt Schneider.

[listbox:title=Mehr im Netz[Fernseh-Interview der Tagesschau mit Günter Grass##Grass trägt sein Gedicht vor (Tagesschau.de)]]

Bereits am Mittwoch hatte der evangelische Landesbischof Ralf Meister das politische Gedicht von Günter Grass zum Konflikt zwischen Israel und dem Iran kritisiert. Der Bischof aus Hannover wandte ein, der Aufruf des Literaturnobelpreisträgers gehe "an der Sache vorbei". Kritik an Israel müsse das Existenzrecht des Staates im Auge behalten. Dieses werde Israel von anderen Staaten bestritten. Auch zahlreiche Politiker aller Parteien sowie Vertreter des Judentums kritisierten Grass. Unterstützung erhielt der 84-Jährige unterdessen von dem Leipziger Schriftsteller Clemens Meyer.

In dem Gedicht "Was gesagt werden muss" warnt Grass vor einem Angriff Israels auf den Iran und übt dabei scharfe Kritik an der israelischen Politik: Die Atommacht Israel gefährde den ohnehin brüchigen Weltfrieden, indem sie das Recht auf einen atomaren Erstschlag behaupte. Der Text erschien am Mittwoch in der "Süddeutschen Zeitung" und zwei weiteren Blättern.

Broder kritisiert Grass als "gebildeten Antisemit"

Grass schreibt darin, ein atomarer Erstschlag könne das iranische Volk auslöschen, nur weil dort der Bau einer Atombombe vermutet werde. Die Existenz einer solchen Bombe sei unbewiesen. Zugleich kritisierte er die Lieferung eines deutschen U-Bootes an Israel. Deutsche könnten so "Zulieferer eines Verbrechens" werden. Israelische und iranische Atomanlagen müssten durch eine internationale Instanz kontrolliert werden.

Der jüdische Publizist Henryk M. Broder bezeichnete den Schriftsteller wegen des Gedichtes laut "Welt online" als "Prototyp des gebildeten Antisemiten". Der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, sprach von einem "Hasspamphlet", seine Vorgängerin Charlotte Knobloch aus München von einem "Schmierentheater". Auch der Grünen-Politiker Volker Beck sieht in dem Gedicht ein "antisemitisches Stereotyp".

Der Schriftsteller Clemens Meyer verteidigte seinen Kollegen Grass dagegen. Mit seiner Kritik an den Waffenlieferungen an Israel habe Grass recht. "Mir ist es lieber, wenn Grass mal was sagt, als dass es keiner tut", sagte er der "Leipziger Volkszeitung".

Bischof Meister will diffizilere Kritik

Bischof Meister aus Hannover sagte dagegen, seit vielen Jahren gebe es aus Deutschland differenzierte Kritik an der atomaren Bewaffnung Israels. "Diese Kritik versteckt sich nicht hinter einem lyrischen Ich, das Vermutungen anstellt." Meister lebte während seines Studiums ein Jahr in Jerusalem.

Meister kritisierte auch, dass das Gedicht unmittelbar vor Karfreitag und Ostern erschien. In dieser Zeit erinnerten Christen an das Leiden Jesu. In früheren Zeiten sei die Schuld für die Kreuzigung Jesu den Juden zur Last gelegt worden. Dies habe zur Vernichtung des europäischen Judentums beigetragen.

Der CDU-Politiker Philipp Missfelder bewertete den Text gegenüber dem "Kölner Stadt-Anzeiger" als "geschmacklos". Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz (CDU), sagte der "Mitteldeutschen Zeitung", Grass verwechsele Ursache und Wirkung. Der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich und CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe warfen dem Schriftsteller vor, die iranische Politik zu verharmlosen.

Kampagne gegen den Schriftsteller? 

Günter Grass fühlt sich von den Kritikern seines Gedichts zum Konflikt zwischen Israel und dem Iran missverstanden. Diese ließen sich nicht auf den Inhalt des Textes ein, sondern führten eine Kampagne gegen ihn und behaupteten "mein Ruf sei für alle Zeit geschädigt", sagte der 84-Jährige Literaturnobelpreisträger dem NDR in Hamburg. Er empfinde die Kritik zum Teil auch als verletzend.

"Es ist mir aufgefallen, dass in einem demokratischen Land, in dem Pressefreiheit herrscht, eine gewisse Gleichschaltung der Meinung im Vordergrund steht und eine Weigerung, auf den Inhalt, die Fragestellungen, die ich hier anführe, überhaupt einzugehen", beklagte Grass. Ihm zufolge werden "alte Klischees bemüht". Grass kritisierte in diesem Zusammenhang, dass mit dem "Begriff Antisemitismus gearbeitet" werde.

epd