Psychologie des Schenkens: Wer bekommt, will geben

Psychologie des Schenkens: Wer bekommt, will geben
"Erlöst genug? Den Glauben als Geschenk annehmen", so lautet das letzte Wochenthema dieser Passionszeit bei der evangelischen Fastenaktion "7 Wochen ohne falschen Ehrgeiz". Das Geschenk der Erlösung kann man sich nach Martin Luther nicht erarbeiten. Doch es fällt Menschen schwer, Geschenke ohne Gegenleistung anzunehmen, sagt der Religionspsychologe Sebastian Murken.
04.04.2012
Das Gespräch führte Markus Bechtold

Nach Martin Luther ist die Erlösung ein Geschenk Gottes, das dem Menschen unverdient zukommt. Was bewirkt das Angebot eines unverdienten Geschenks im Menschen?

Sebastian Murken: Man muss hier zwei Aspekte unterscheiden. Nach Martin Luther kann man sich die Erlösung nicht verdienen, erarbeiten oder gar erkaufen. Insofern wirkt hier die Idee der Gnade hinein. Grundsätzlich ist jedes Geschenk ein unverdientes Geschenk, weil die Vorstellung des Schenkens ist, dass man gerade nichts dafür leisten muss. Jedes Geschenk ist ein Stück weit unverdient, weil eben letztlich keine Vorleistung dafür erbracht wurde. Wenn man sich etwas verdient, wird es ein Lohn oder eine Bezahlung. Die Grundidee des Geschenks ist, etwas ohne Gegenleistung zu erhalten, aus dem Wunsch des Schenkenden heraus dem Beschenkten eine Freude zu machen. Sozialpsychologisch betrachtet lässt sich sagen, dass der Beschenkte sich oftmals in der Schuld des anderen fühlt. In der Regel kriegt man Geschenke nämlich nicht umsonst. Ein Geschenk kann also in gewisser Weise auch verpflichten. Das wird manchmal weniger, manchmal stärker deutlich.

Fällt es Menschen generell schwer Geschenke anzunehmen, ohne etwas zurückgeben zu müssen?

Murken: Ja, das ist so! Wenn zum Beispiel einer überlegt, was er dem anderen zum Geburtstag schenken soll, schwingt im Hintergrund auch immer die Überlegung mit, was habe ich eigentlich von ihm bekommen. Menschen versuchen gleichwertig zu schenken. Manche Werbekampagnen beruhen darauf, dass man beispielsweise ein Set Postkarten mit einem Spendenbeleg geschickt bekommt. Im Menschen löst dies das Gefühl aus etwas zurückgeben zu wollen, weil man selbst etwas erhalten hat. Auch Mitglieder der Hare-Krishna-Bewegung haben eine zeitlang Menschen auf der Straße mit "Darf ich Ihnen ein Geschenk machen?" angesprochen, dann eine Heilige Schrift überreicht und schließlich um eine Spende gebeten. Das hat funktioniert. Oder blicken Sie in die Politik: Wenn Sie eingeladen werden in der Ferienwohnung eines Bekannten auf Mallorca Urlaub zu machen, ist das ein Geschenk, das unter Umständen mit dem Wunsch nach Gegenleistung verbunden sein kann. Dadurch kann man schnell in den Bereich der Korruption schlittern.

"Heute gibt es

mehr Anlässe

mit Schenkzwang"

 

Welche Bedeutung hatte das Schenken in der Gesellschaft früher und welche Bedeutung kommt dem heute zu?

Murken: Ich bin da kein Experte. Ich denke, dass es das Prinzip des Schenkens schon immer als Austausch von Freundlichkeiten oder Wertschätzung sowohl im Sinne kollektiver Gebräuche als auch im Sinne individueller Wertschätzung gegeben hat. Heute gibt es jedoch zunehmend mehr Anlässe, bei denen eine Art Schenkzwang besteht. In Familien wird über Weihnachten hinaus erwartet, dass man zum Nikolaus, zum Schulzeugnis oder zur Konfirmation beschenkt wird. Von meinen Kindern höre ich, dass das Beschenktwerden bei der Konfirmation eine zentrale Motivation ist. Früher war das einmal anders.

Über welche Geschenke freuen sich Menschen in der Regel?

Murken: Menschen freuen sich über jene Geschenke, die ihnen das Gefühl geben, dass tatsächlich sie gemeint sind. Wichtig ist, dass sie in ihren Bedürfnissen gesehen werden, dass der andere sich Gedanken z. B. über den Musik- oder Lesegeschmack gemacht hat. Man freut sich hingegen nicht, wenn man Ladenhüter aus dem Keller geschenkt bekommt oder das Gefühl hat, etwas erhalten zu haben, das nichts mit der eigenen Person zu tun hat; wenn es also nur darum ging, überhaupt etwas geschenkt zu haben.

Sollte man sich Ihrer Ansicht nach zu Ostern beschenken?

Murken: Meiner persönlichen Ansicht nach ist Ostern kein Zeitpunkt, zu dem man sich Geschenke machen sollte. Es gibt die österliche Sitte der Ostereier und der Osternester. Für Kinder ist das sicher sehr wichtig. Das sollte kultiviert werden, das ist tief in der christlichen Kultur verankert. Darüber hinaus ist Ostern ein religiöses Fest und als solches sollte es unabhängig von individuellen Geschenken wahrgenommen und gefeiert werden.


Prof. Dr. Sebastian Murken ist Religionswissenschaftler und Psychologischer Psychotherapeut mit Schwerpunkt Religionspsychologie. Er unterrichtet als Honorarprofessor am Fachgebiet Religionswissenschaft der Philipps-Universität Marburg und arbeitet als Leitender Psychologe an der Psychosomatischen Fachklinik St. Franziska Stift in Bad Kreuznach.