Rentnerin: "Ich möchte mir die Zukunft nicht vorstellen"

Rentnerin: "Ich möchte mir die Zukunft nicht vorstellen"
Wenn Christa Färber schlecht haushaltet, muss sie die letzte Woche des Monats hungern - weil die Rente zum Leben nicht reicht. "Die Mütter werden im Alter vergessen", sagt sie.
04.04.2012
Von Ulrich Jonas

"Gott sei Dank haben wir das Wirtschaften noch gelernt", sagt die 75-jährige Rentnerin und lacht. Die Fröhlichkeit der Frau, die in einer Zwei-Zimmer-Wohnung im Hamburger Stadtteil Bahrenfeld lebt, ist bemerkenswert: Sie hat nicht mehr als 950 Euro im Monat zum Leben. Fast die Hälfte davon geht für die Miete drauf.

Um wenigstens ab und zu mal mit einer Freundin im Café sitzen zu können, geht die rüstige Dame zweimal die Woche in einem Privathaushalt bügeln. Zehn Euro die Stunde bekommt sie dafür - Geld, das für sie überlebenswichtig ist: "Wenn ich nicht mehr arbeiten gehe, kann ich nirgends mehr hin. Dann bin ich von der Außenwelt abgeschnitten! Ich bin keine, die sich aushalten lässt?"

Millionen von Deutschen droht eine Rente auf Hartz-IV-Niveau

Laut Bundesagentur für Arbeit (BA) waren den aktuellsten Zahlen zufolge im Juni 2011 bundesweit knapp 145.000 Menschen ab 65 Jahren sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Gut 735.000 Frauen und Männer dieser Altersgruppe bessern mit einem Minijob ihr schmales Budget auf. Sie füllen Supermarktregale auf, verdingen sich als Pförtner, tragen Zeitungen aus oder arbeiten in Privathaushalten.

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Nicht alle machen das aus blanker Not heraus. Doch dass Altersarmut ein Problem ist, das längst nicht nur sie betrifft, erfährt Christa Färber immer wieder bei den Treffen des Sozialverbands Deutschland, für den sie ehrenamtlich eine Ortsgruppe leitet. "Ich schäme mich nicht. Aber vielen, die ich kenne, ist das peinlich."

Und die Zahl der Betroffenen wird wachsen. Laut einer Studie von Expertinnen der Freien Universität Berlin können Frauen, die heute Mitte 40 und berufstätig sind, längst nicht davon ausgehen, später von ihrer Rente leben zu können. Annähernd jede zweite Westdeutsche aus dieser Gruppe werde voraussichtlich weniger als 680 Euro monatlich ausgezahlt bekommen, in Ostdeutschland immerhin jede Fünfte. Fazit: Arbeit schütze Frauen nicht unbedingt vor Altersarmut. Immer mehr von ihnen würden in Teilzeit- oder 400-Euro-Jobs arbeiten, das jedoch mindere ihre Rentenansprüche massiv.

Hinzu kommt: Jeder fünfte Vollzeitarbeitnehmer, so Berechnungen der BA, ist heute ein Niedriglöhner. Ihr Einkommen liegt in der Regel unter zehn Euro die Stunde - die rechnerisch laut Bundesregierung nötig sind, um nach langjähriger sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung mit der Rente über dem Niveau der Grundsicherung zu liegen. Mit anderen Worten: Millionen von Deutschen droht eine Rente auf Hartz-IV-Niveau.

"Die Mütter werden im Alter vergessen"

Frauen wie Christa Färber soll die sogenannte Zuschussrente helfen, durch die kleine Ruhegelder unter bestimmten Bedingungen auf bis zu 850 Euro monatlich aufgestockt werden sollen. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) will so Altersarmut bekämpfen. Sie sagte, von der Zuschussrente würden insbesondere Frauen profitieren, die wegen der Kindererziehung nur Teilzeit arbeiten konnten, weil Beruf und Familie in Deutschland lange kaum vereinbar gewesen seien. Die Lebensleistung dieser Frauen müsse anerkannt werden. Das sei eine Frage der Gerechtigkeit.

Christa Färber hat gearbeitet - allerdings meist zu Hause und nie sozialversicherungspflichtig. Acht Kinder hat sie groß gezogen, vier eigene und vier aus der ersten Ehe ihres Mannes. Als der 1980 an einem Herzinfarkt starb, stand sie alleine da, mit 44 Jahren. Sie ging auf Jobsuche - und handelte sich dumme Sprüche ein. "Bleiben Sie mal zu Hause mit Ihren Gören!", hat man ihr gesagt. Also putzte Färber in Privathaushalten, wenn die Kinder in der Schule waren. "Ich habe das Beste draus gemacht", sagt sie heute. Betrogen fühlt sie sich dennoch: "Die Mütter werden im Alter vergessen."

441,06 Euro Witwenrente, 151,63 Euro Altersrente, 196 Euro Grundsicherung und 160 Euro Verdienst: Das ist das Geld, mit dem Christa Färber rechnen kann. Von ihren Kindern würde sie trotzdem "nur im äußersten Notfall" etwas annehmen, an Krankheiten will sie lieber nicht denken. "Ich möchte mir die Zukunft nicht vorstellen", sagt sie. "Ich lebe im Jetzt und heute. Anders geht es nicht." 

epd