Zweite Chance mit 72: Gauck soll Präsident werden

Zweite Chance mit 72: Gauck soll Präsident werden
"Die Idee der Freiheit in Verantwortung": Der evangelische Theologe Joachim Gauck wird der erste Bundespräsident mit DDR-Biografie. Das wird auch seine Agenda als Präsident prägen.
20.02.2012
Von Barbara Schneider und Karsten Frerichs

Die zweite Chance zum Einzug in Schloss Bellevue hatte Joachim Gauck kaum mehr erwartet. Er hatte am Sonntag Termine in Wien. "Ich bin noch nicht einmal gewaschen", bekundete der 72-Jährige am Sonntagabend freimütig bei der Pressekonferenz im Bundeskanzleramt in Berlin. Im Taxi von der Fahrt zum Flughafen habe ihn der Anruf von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erreicht.

Dort präsentierten ihn die Parteivorsitzenden von Union, FDP, SPD und Grünen zwei Tage nach dem Rücktritt von Bundespräsident Christian Wulff als ihren gemeinsamen Kandidaten für die Nachfolge. Nachdem der ehemalige Stasi-Beauftragte Gauck im Sommer 2010 als Oppositionskandidat dem rund 20 Jahre jüngeren Wulff in der Bundesversammlung unterlegen war, gilt nun als sicher, dass der 72-Jährige zum elften Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland gewählt wird.

Erster Bundespräsident mit DDR-Biografie

Der evangelische Theologe Gauck wird der erste Bundespräsident mit DDR-Biografie. Dass dies auch seine Agenda als Präsident prägen wird, machte er schon bei der Vorstellung am Sonntagabend deutlich. Ihm sei wichtig, dass die Menschen in Deutschland wieder lernen, dass sie "in einem guten Land" leben. Die Freiheit gebe ihnen "wunderbare Möglichkeiten" zu einem erfüllten Leben, sagte Gauck sichtlich bewegt. "Die Idee der Freiheit in Verantwortung" - das sei Gaucks Thema, sagte Merkel, die trotz ihrer Entscheidung für Wulff vor zwei Jahren aus ihrer Sympathie für Gauck nie einen Hehl gemacht hat.

Biografie und deutsche Geschichte gehen bei Gauck, der das Ende des Zweiten Weltkrieges als Fünfjähriger erlebt hat, Hand in Hand. Der Kandidat für das höchste Amt im Staat hat die Einschränkung persönlicher Freiheit am eigenen Leib erlebt. 1951 wird sein Vater vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet und für vier Jahre in ein Arbeitslager nach Sibirien verschleppt. Das Erlebnis prägt Gaucks Haltung zur DDR. Er wird Pastor und wählt damit einen Beruf, der ihn in Distanz zur staatlichen Doktrin leben lässt. In seiner Geburtsstadt Rostock wird er, der nie einer oppositionellen Gruppe angehört hat, im Herbst 1989 zu einem der Köpfe des kirchlichen Protests.

Die Leute mögen den parteilosen Gauck

Der parteilose Gauck ist kein eingefleischter Politiker. Zwar kandidiert er 1990 für das "Bündnis 90" bei der ersten freien DDR-Volkskammerwahl. Als Abgeordneter leitet er später den Parlamentsausschuss zur Kontrolle der Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, schließlich wird er zum ersten Beauftragten für die Stasi-Unterlagen berufen - und leitet die quasi nach ihm benannte Gauck-Behörde bis 2000.

In den vergangenen Jahren war Gauck, der seit 1991 getrennt von seiner Frau lebt und vier erwachsene Kinder hat, vor allem als Vortragsreisender in Deutschland unterwegs. Er referierte beispielsweise über die deutschen Verhältnisse in Ost und West. Themen für den Vorsitzenden des Vereins "Gegen das Vergessen - Für Demokratie" sind allerdings immer wieder auch die Verbrechen der NS-Diktatur und das Demokratiebewusstsein in Deutschland.

Bei seiner nur vier Wochen währenden Kandidatur gegen Wulff im Sommer 2010 habe ihn der Zuspruch aus der Bevölkerung überrascht, sagte er danach. Umfragen zufolge ist die Zustimmung ungebrochen. Und im zweiten Anlauf hat er nun auch Schwarz-Gelb von sich überzeugt.

epd