Warnschuss aus Brüssel gegen Ungarns Premier

Warnschuss aus Brüssel gegen Ungarns Premier
Die ungarische Regierung hat Korrekturen an ihrem heftig kritisierten Mediengesetz vorgenommen, die EU-Kommission zeigt sich zufrieden. Doch entspricht es nun wirklich europäischen Standards? Das Europaparlament hat bereits eine erneute Prüfung gefordert. Der deutsche Medienrechtler Alexander Scheuer zieht eine kritische Zwischenbilanz.
17.01.2012
Von Gregor Mayer

Nach wochenlangen Auseinandersetzungen entscheidet die EU-Kommission am heutigen Dienstag über ein Verfahren gegen Ungarn wegen Verletzung von EU-Recht. Die Kommission wird voraussichtlich drei Verfahren eröffnen. Dabei geht es um die Unabhängigkeit der ungarischen Zentralbank und der Justiz sowie um Fragen des Datenschutzes. Die rechtskonservative ungarische Regierung unter Premier Viktor Orban steht international in der Kritik, unter anderem wegen Beschränkungen der Medienfreiheit.

Besonders das neue Gesetz zur Zentralbank verärgert die EU-Behörde. Das schwer verschuldete Ungarn hofft auf Hilfskredite von EU und Internationalem Währungsfonds (IWF). Um Druck auf das Land auszuüben, will Brüssel den Geldhahn zudrehen: Erst wenn die ungarische Regierung das Gesetz überarbeite oder eine Änderung zusage, würden die formellen Gespräche über internationale Finanzhilfen für Budapest wieder aufgenommen, bekräftigte die EU-Kommission am Montag in Brüssel. In letzter Konsequenz droht dem Land ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof und möglicherweise eine Geldstrafe.

Orban wartet auf "Argumente"

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban ist es nicht gewohnt, klein beizugeben. Als die EU-Kommission in der vergangenen Woche seinem Land wegen des möglichen Verstoßes gegen das EU-Recht mehrere Vertragsverletzungsverfahren androhte, zuckte er mit den Schultern. Er habe bislang nur "politische Meinungen" und keine "Argumente" gehört, erklärte er vor Journalisten. Doch an diesem Dienstag soll es ernst werden: die Kommission könnte die angedrohten Verfahren auch tatsächlich einleiten.

Der Konflikt zwischen Budapest und Brüssel dreht sich um das neue ungarische Notenbankgesetz, das die Unabhängigkeit der Ungarischen Nationalbank einschränken könnte. Auch die plötzliche Senkung des Rentenalters der Richter, hinter der die Absicht zur unstatthaften Einflussnahme auf die Justiz vermutet wird, und die Abschaffung des unabhängigen Datenschutzbeauftragten riefen die EU-Kommission auf den Plan.

In Budapest geht niemand mehr davon aus, dass Orban noch bis zum Dienstag einlenkt. In einem Rundfunk-Interview am Freitag machte der rechts-konservative Regierungschef darüber hinaus auch deutlich, dass er etliche Kritikpunkte der Kommission nicht teilt. In der am heißesten umstrittenen Frage des Notenbankgesetzes würden die Positionen in einzelnen Punkten "weit auseinanderliegen".

EU wartet auf "greifbare Schritte"

Offenbar geht Orban davon aus, dass sich Verfahren wegen Vertragsverletzungen in der EU in der Regel über Jahre hinziehen. Doch das schwer verschuldete Ungarn braucht dringend einen neuen Kredit von der EU und vom Internationalen Währungsfonds (IWF). Brüssel hat aber klargemacht: Verhandlungen darüber würden erst beginnen, wenn sich Budapest zur Rücknahme oder Änderung der beanstandeten Gesetze bereit zeigt. Orbans Sondergesandter Tamas Fellegi bekam in der Vorwoche von IWF-Chefin Christine Lagarde zu hören: Die Finanzinstitution wird mit Ungarn erst dann über einen Kredit reden, wenn dies die EU unterstützt. Budapest müsse zunächst einmal "greifbare Schritte" setzen.

Denn die beanstandeten Rechtsakte sehen nicht nur die EU, sondern auch in- und ausländische Kritiker der Regierung Orban in einem weiteren Zusammenhang. Ihrer Ansicht nach fügen sie sich in eine ganze Reihe von Maßnahmen - vom restriktiven Mediengesetz bis zur neuen, autoritäre Tendenzen aufweisenden Verfassung - ein, die die Demokratie und den Rechtsstaat in Ungarn aushöhlen.

Wahrscheinlich wird Orban früher oder später beim Notenbank-Gesetz nachgeben. Die wirklichen Abstriche wird er aber bei den Kreditverhandlungen mit IWF und EU machen müssen. Die beiden Institutionen werden ihm voraussichtlich neue Sparprogramme und die Beendigung investitionsfeindlicher Maßnahmen wie etwa die Sonderbesteuerung für ausländische Konzerne vorschreiben.

"Plan B" in petto

Orban führt seit seinem Amtsantritt 2010 einen "wirtschaftlichen Unabhängigkeitskampf" gegen das angeblich ausbeuterische Ausland. Jede Konzession in etwaigen Verhandlungen fügt der Glaubwürdigkeit seiner populistischen Politik eine Delle zu. Die Hälfte seiner Wähler von 2010 hat sich nach Meinungsumfragen schon von ihm abgewandt. Zwar sind sie noch nicht der parlamentarischen Opposition zugelaufen. Doch neue soziale und andere Protestbewegungen brachten in den vergangenen Monaten beträchtliche Menschenmengen auf die Straße.

Gleichzeitig scheint Orban auch einen "Plan B" für den Fall des Scheiterns der IWF-EU-Verhandlungen vorzubereiten. Dieser dürfte vorsehen, dass die Regierung auf die stattlichen Devisenreserven der Nationalbank zugreift. Langfristig würde dies aber das Vertrauen der Investoren vollends zerstören und das Verhältnis zu den westlichen Partnern in eine Eiszeit führen. Jedenfalls heizen die Orban-nahen Medien jetzt schon die Stimmung gegen die EU und gegen die ausländische Presse an.

So titelte jüngst die Tageszeitung "Magyar Nemzet" in dicken Schlagzeilen: EU-Kommission verlangt Legalisierung der Schwulen-Ehe und Einstellung der Ermittlungen gegen Ferenc Gyurcsany als Vorbedingung für Kreditverhandlungen. Der ehemalige sozialistische Ministerpräsident wird des Machtmissbrauchs verdächtigt. Die Behauptung des Blattes war natürlich völlig aus der Luft gegriffen.

dpa