TV-Tipp: "Tatort: Der Weg ins Paradies" (ARD)

TV-Tipp: "Tatort: Der Weg ins Paradies" (ARD)
Weil Hauptfigur Cenk Batu als verdeckter Ermittler arbeitet, steht ihm praktisch die ganze Unterwelt offen. Diesmal führt ihn seine Arbeit ins Herz einer islamistischen Terrorzelle, die einen Anschlag plant.
17.12.2011
Von Tilmann P. Gangloff

"Tatort: Der Weg ins Paradies", 18. Dezember, 20.15 Uhr im Ersten

Es hätte des Beweises nicht bedurft, aber dieser Film ist erneut ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, welches Potenzial die Hamburger "Tatort"-Krimis haben: Weil Hauptfigur Cenk Batu als verdeckter Ermittler arbeitet, steht ihm praktisch die ganze Unterwelt offen. Diesmal führt ihn seine Arbeit ins Herz einer islamistischen Terrorzelle, die einen Anschlag plant. Natürlich können sich auch andere Sonntagskrimis mit religiösem Fanatismus befassen, aber eben immer nur von außen.

Durch Batus Verwandlung erlebt man jedoch hautnah, was in den Islamisten vorgeht. Hochgradig spannend ist die Konstellation ohnehin, denn der zum Islam konvertierte Anführer, Christian Marschall (Ken Duken), ist in höchstem Maße misstrauisch. Der LKA-Kommissar lebt also nicht nur in der ständigen Furcht davor, aufzufliegen, er ist sich bis zum Schluss nicht sicher, ob er Marschall glauben kann: Die Terroristen haben es auf ein Hotel abgesehen, in dem sich die Angehörigen deutscher Afghanistan-Soldaten treffen. Aber womöglich hat der charismatische und hochintelligente Konvertit dieses Attentat nur als Ablenkungsmanöver geplant.

Geschrieben und inszeniert wurde der Film von Lars Becker ("Nachtschicht"), der ohnehin dafür bekannt ist, keine gewöhnlichen Krimis zu drehen. Zusätzlichen Zündstoff bekommt seine Geschichte durch die Beteiligung des Bundeskriminalamts. Martin Brambach versieht den zuständigen Beamten mit jener schnöseligen Arroganz, die er wie kaum ein zweiter verkörpern kann: Das Schicksal des verdeckten Ermittlers ist ihm völlig egal; er will die Terroristen in flagranti überführen. Dass Batu einen Sender tragen muss, führt prompt zu einer lebensgefährlichen Situation, als er nur wie durch ein Wunder eine Leibesvisitation übersteht.

Kurtulus geht, Schweiger kommt

Aber nicht nur die Reihe "Tatort", auch Hauptdarsteller Mehmet Kurtulus profitiert enorm von der Konstellation; umso bedauerlicher ist es, dass sich der NDR nach nur sechs Filmen schon wieder einen neuen Hamburger "Tatort"-Kommissar suchen musste (gefunden wurde schließlich Til Schweiger). Kurtulus darf jedes Mal in eine neue Rolle schlüpfen. Der Fundamentalismus der jüngsten Figur mag sich vor allem in furchteinflößend grimmigen Blicken und einem finsteren Bart zeigen, aber es gibt ja auch noch das andere Extrem.

Kaum über sein Himmelfahrtskommando instruiert, verliebt sich Batu in die hübsche Designerin Gloria (Anna Bederke), die nach einer zwar platonisch, aber immerhin gemeinsam verbrachten Nacht vor einer ausgeräumten Wohnung steht: Der Polizist hat alle Brücken hinter sich abgebrochen. Nur ein letzter kleiner Steg verbindet ihn mit seinem alten Leben: Einmal noch hat er Gloria mit seinem mobilen Telefon angerufen. Als der fast schon paranoid vorsichtige Marschall das Handy einkassiert, kreuzt er kurz drauf prompt in Glorias Boutique auf.

Kurtulus, als Batu betont cool, bietet sich dank der Liebelei die Möglichkeit, dem verhärteten Islamisten seiner "Under Cover"-Rolle eine völlig andere Gefühlswelt entgegenzusetzen. Auf diese Weise entsteht über die Krimidramatik hinaus auch eine emotionale Spannung. Vor allem aber lebt der Film vom Kontrast der beiden Gegenspieler: Ken Duken, zumeist als Sympathieträger besetzt, ist als Antagonist eine ausgezeichnete Wahl, denn hinter Marschalls scheinbar sanftem Wesen verbirgt sich ein Monster. Gemessen daran ist Batu ein Schaf im Wolfspelz.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).