Filmkritik der Woche: "Eine offene Rechnung"

Filmkritik der Woche: "Eine offene Rechnung"
In seinem neuen Film "Eine offene Rechnung" entwirft Madden einen geradlinigen, konventionellen Politthriller, der sich in der Tradition von John Schlesingers "Marathon Man" (1976) sieht.
21.09.2011
Von Martin Schwickert

Trotz des Oscar-Regens für "Shakespeare in Love" (1998) hat der britische Regisseur John Madden in Hollywood nie richtig den Fuß auf den Boden bekommen. Seine Weltkriegsschmonzette "Corellis Mandoline" (2001) spielte kaum mehr als die Produktionskosten ein. Das Mathematikerdrama "Der Beweis" (2005) floppte an der Kinokasse genauso wie die Elmore-Leonard-Verfilmung "Killshot".

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Auch hier geht es um einen ehemaligen Lagerarzt, der im KZ Auschwitz-Birkenau für grausame Menschenversuche verantwortlich war und Mitte der 60er Jahre in Ostberlin von einem dreiköpfigen Kommando des israelischen Geheimdienstes aufgespürt wird. Die Geschichte wird in Rückblenden aus der jüngsten Vergangenheit heraus erzählt.

Ende der 90er Jahre werden die drei früheren Mossad-Agenten Rachel (Helen Mirren), Stefan (Tom Wilkinson) und David (Ciarán Hinds) in Israel immer noch als Helden gefeiert, weil sie den berüchtigten KZ-Arzt Dieter Vogel (Jesper Christensen) in der DDR gefangen genommen und nach eigenem Bekunden bei einem Fluchtversuch erschossen haben.

Von dort aus spult der Film zurück in die 60er Jahre, wo die drei Agenten in einer Ostberliner Altbauwohnung die Entführung Vogels vorbereiten, der unbehelligt in einer Arztpraxis als Gynäkologe arbeitet. Die junge Rachel, gespielt von Jessica Chastain, begibt sich als Patientin in die Hände des Mediziners, um die Örtlichkeiten auszukundschaften.

Die Gefangennahme des Arztes gelingt, allerdings scheitert der Versuch, nach Westberlin zu gelangen, von wo aus Vogel nach Israel gebracht werden soll. So kehren die Entführer zurück in die konspirative Wohnung, wo zermürbende Auseinandersetzungen zwischen den Kidnappern und dem Gefangenen beginnen.

Grundsolides Stück Unterhaltungskino

John Madden erzählt seine Thrillerstory schnörkellos und konzentriert vor der bewährten Kulisse des Kalten Krieges und erweist sich hier als souveräner Genreregisseur. Der gelernte Theatermann findet eine gute Balance zwischen den kammerspielartigen Sequenzen innerhalb der Wohnung und den dynamisch geschnittenen Actionszenen.

Die in Rückblenden aufgebaute Dramaturgie nervt hier nicht durch unmotivierte, anstrengende Zeitsprünge, sondern wechselt vielmehr ebenso sparsam wie elegant zwischen den Zeitebenen. Die erzählte Gegenwart wird nicht nur als Rahmenhandlung genutzt, sondern entwickelt sich zum selbstständigen Spannungsträger.

Abgerundet wird dieses grundsolide Stück Unterhaltungskino durch die interessante Besetzung. Im Jungagenten-Trio zeigt Sam Worthington, dass er auch abseits von "Avatar" schauspielerisch handlungsfähig ist, und Jessica Chastain findet den richtigen Gegenpol zur zarten Mutterrolle, in der sie noch kürzlich in "The Tree of Life" zu bewundern war. Als ihr älterer Charakter führt Helen Mirren das Publikum souverän zum etwas zu blutig geratenen Finale. Der dänische Schauspielveteran Jesper Christensen ("Eine Familie") ringt dem Stereotyp des bösen Nazis noch einige durchaus interessante Facetten ab.

USA 2010. R: John Madden. B: Matthew Vaughn, Jane Goldman, Peter Straughan. Mit: Helen Mirren, Sam Worthington, Jessica Chastain, Jesper Christensen, Marton Csokas, Ciarán Hinds, Tom Wilkinson. L: 113 Min. FSK: ab 16, ff.

epd