TV-Tipp des Tages: "Tatort: Zwischen den Ohren" (ARD)

TV-Tipp des Tages: "Tatort: Zwischen den Ohren" (ARD)
Thiels Vater holt beim nächtlichen Angeln einen Stiefel samt Fuß aus dem Wasser. Anhand der auffällig abgespreizten großen Zehe erkennt Boerne, dass der Fuß einer einstigen Schulfreundin gehört.
16.09.2011
Von Tilmann P. Gangloff

"Tatort: Zwischen den Ohren", 18. September, 20.15 Uhr im Ersten

Zuschauerzahlen in zweistelliger Millionenhöhe sind selbst für eine erfolgsverwöhnte Reihe wie den "Tatort" außergewöhnlich. Die Herren Thiel und Boerne aber erreichen diese magische Marke mittlerweile mindestens einmal im Jahr. Auch der Film "Zwischen den Ohren" hat das Zeug für einen Quotenknüller: weil Axel Prahl und Jan Josef Liefers wieder mal zu Hochform auflaufen. Für viele Fans dieses unterschiedlichen Duos aus Münster ist der jeweilige Fall völlig zweitrangig; Hauptsache, die Hauptfiguren dürfen ihre gewohnt bissigen Dialogduelle führen.

Trotzdem gelingt es den Autoren regelmäßig, den Hauptkommissar und den Rechtsmediziner mit reizvollen Herausforderungen zu konfrontieren. Diesmal suchen sie den Mörder einer Frau, die sich, als Mann verkleidet, bei einem chauvinistischen Motorradclub eingeschlichen hatte. Da die Clique Kontakte zum organisierten Verbrechen und auch schon allerlei auf dem Kerbholz hat, ist den markigen Gestalten ein Mord ohne weiteres zuzutrauen.

Brisantes Geständnis des lokalen Tennis-Stars

Während ein "Tatort" anderswo mit einem schlichten Leichenfund beginnt, hatten die Autoren Thorsten Wettcke und Christoph Silber, Schöpfer des Hamburger "Tatort"-Ermittlers Cenk Batu, eine spezielle Idee: Thiels Vater (Claus D. Clausnitzer) holt beim nächtlichen Angeln einen Stiefel samt Fuß aus dem Wasser. Anhand der auffällig abgespreizten großen Zehe erkennt Boerne, dass der Fuß einer einstigen Schulfreundin gehört. Später entdeckt Vater Thiel auch noch den Rest der Leiche. Sie ist übersät mit Hämatomen. Tatsächlich gestehen die Rocker, der Frau eine Abreibung verpasst zu haben, als sie entdeckten, wer hinter dem angeklebten Schnauzbart steckte; aber mehr auch nicht.

In der Werkstatt der Toten findet Thiel eine DVD, die ein brisantes Geständnis des lokalen Tennis-Stars dokumentiert: Nadine Petri (Anna Bullard) gesteht, intersexuell zu sein. Wenn rauskäme, dass die junge Frau ein "Zwitter" ist, wäre dies das Ende ihrer Karriere; jedenfalls im Damentennis. Und so erreicht der Film unversehens eine ganz andere Ebene, als Boerne darüber philosophiert, dass sich geschlechtliche Identität nicht zwischen den Beinen, sondern zwischen den Ohren entwickelt.

Thiel und Boerne trinken Brüderschaft

Nach einem turbulenten ersten Drittel kommt der Krimi etwas zur Ruhe, die Ermittlungen rücken stärker in den Vordergrund (Regie: Franziska Meletzky). Prahl und Liefers aber sorgen weiterhin für darstellerisches Feuerwerk. Sehr schön ist schon allein die Idee, St.Pauli-Fan Thiel mehrfach daran scheitern zu lassen, ein aufgezeichnetes Pokalspiel seines Clubs gegen Bayern München anzuschauen. Und so berichtet "Sportschau"-Chef Steffen Simon wie im Kinofilm "Und täglich grüßt das Murmeltier" immer wieder vom Klassiker zwischen dem Weltpokalsieger-Besieger und den Bayern, aber jedes Mal muss Thiel die Aufnahme stoppen.

Auch Liefers hat sein Solo, bei dem man Tränen lacht, wenn Boerne vor dem Spiegel seine Dankesrede für die Verleihung eines Wissenschaftspreises einübt. Noch witziger ist allein die Szene, in der der weinselige Pathologe dem Polizisten das Du anbietet und die beiden Nachbarn endlich Brüderschaft trinken. Meistens wirkt es peinlich, wenn nüchterne Schauspieler Betrunkene spielen; davon kann bei diesen beiden Ausnahmekönnern keine Rede sein.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).