"Wir leben in einer Zeit der Angst"

"Wir leben in einer Zeit der Angst"
Fukushima, London, Finanzmarktkrise: Die schlimmen Nachrichten häufen sich. Und ständig beschleicht einen dieses Gefühl der Angst. Was kommt als nächstes?, fragt man sich. Der Psychologe und Autor Wolfgang Schmidbaur im Interview mit evangelisch.de über Angst, Geld und unsererm Wunsch nach absoluter Sicherheit.
11.08.2011
Die Fragen stellte Maike Freund

Wohin man schaut, überall nur Katastrophen: Fukushima, Norwegen, Finanzmarktkrise…

Wolfgang Schmidbauer: Ja, wir leben in einer Zeit der Angst. In der Moderne wird uns sehr viel mehr Angst gemacht, als unsere Kräfte gewachsen sind, diese Ängste zu neutralisieren.

Welche Ängste sind das?

Schmidbauer: Zum Beispiel waren Menschen früher durch Unwissenheit vor vielen Ängsten geschützt, die ihnen heute drohen. Nehmen wir die Vorsorgeuntersuchungen in der Medizin. Durch die Reklame für diese Untersuchungen wird man auf Gefahren aufmerksam gemacht, die noch gar nicht drohen. Das steigert die Angst. Und je mehr die Medizin über die Gefahren für die Gesundheit weiß, desto mehr haben sich die Ängste multipliziert. So ähnlich ist es auch mit der globalisierten Wirtschaft. Wenn ich meine Altersvorsorge in Aktien angelegt habe und jetzt zur Kenntnis nehmen muss, dass ich von heute auf morgen erheblich weniger Geld habe, wie das gegenwärtig der Fall ist, schürt das Ängste.

Was ist überhaupt Angst?

Schmidbauer: Angst ist eine angeborene Affekt-Disposition, ähnlich wie der Schmerz. Ein biologisch sehr nützliches Gefühl, mit dem wir auf Neues reagieren, das uns überwältigen könnte. Das kann man schon bei kleinen Kindern beobachten. Schlägt man ein Glöckchen an, wendet sich das Kind dem leisen Klang interessiert zu. Ist die Glocke aber groß und ihr Ton schmerzlich laut, haben Kinder Angst und versuchen, sich zu verstecken und wegzulaufen.

Wenn Angst uns hilft, uns zu orientieren, warum herrscht dann diese ängstliche Grundstimmung?

Schmidbauer: Die Angstverarbeitung, also die Fähigkeit, Ängste zu neutralisieren und zu unterscheiden, was wirklich gefährlich und was nur eine Fantasie ist, wird in der Kindheit erworben - und zwar primär von Eltern, die selber weniger Ängste haben als das Kind. In unserer Gesellschaft haben die meisten Eltern jedoch heftige Ängste. Vor allem vor dem Versagen ihrer Kinder. Ist das Kind in der Schule schlecht, bekommen Eltern Angst, dass aus dem Kind nichts wird. Die Angst vor dem Leistungsversagen wird uns also schon sehr früh beigebracht - und nicht nur anerzogen. Sie wird erworben, weil sich das Kind mit den ängstlichen Eltern identifiziert. Und so verinnerlicht es die Ängste der Eltern.

Warum fürchten sich Eltern?

Schmidbauer: Die Eltern haben es zu etwas gebracht. Heute besteht aber die Gefahr, dass viele Kinder aus der Mittelschicht nicht mehr das sozioökonomische Niveau der Eltern erreichen werden. Das erfüllt die Eltern mit Angst. Sie möchten, dass die Kinder mindestens mit derselben Sicherheit, mit der sozialen Anerkennung und demselben Status leben wie sie selbst. In einer globalisierten Gesellschaft gibt es dafür aber keine Garantie mehr. Die Konkurrenz ist größer, die sicheren Arbeitsplätze sind weniger geworden. Und somit verschärfen sich die Ängste.

Sind unserer Ansprüche einfach zu hoch?

Schmidbauer: Wenn wir etwas erreicht haben, nehmen wir das sehr schnell als selbstverständlich hin. Und weil wir Angst haben, fühlen wir uns dazu gezwungen, das festzuhalten, was wir erreicht haben. Es ist die Angst des kleinen Kindes, das fürchtet, den Schutz der Eltern zu verlieren. Diese Verlustangst überträgt sich auf alles, was jemand getan oder angehäuft hat, um sich Sicherheit zu verschaffen.

Wären wir beim Thema Geld ...

Schmidbauer: Ja, Ansprüche, Angst und Geld hängen eng zusammen. Wir wollen das festhalten, was wir erreicht haben, weil es uns Sicherheit bietet. Gleichzeitig vermehrt sich die Angst, das Erworbene wieder zu verlieren. Diese Angst vor dem Verlust des Geldes kann Menschen kaltherzig machen. Bei Patienten erlebe ich es häufig, dass reiche Eltern Angst davor haben, dass die Kinder das Geld verschwenden. Kinder aus reichen Familien werden sehr viel mehr kontrolliert und sind so sehr viel ängstlicher, als Kinder, deren Eltern nicht so viel haben und somit auch nicht so viel zu verlieren zu haben. Und so bestimmt Geld und somit die Angst, es zu verlieren, einen großen Teil des Lebens.

Warum ist uns Geld so wichtig?

Schmidbauer: In einer Geldwirtschaft ist Geld die manifeste Sicherheit. Wenn ich Geld habe, kann ich mir in der Fantasie alles kaufen. Wenn ich irgendwann in Not bin, kann ich mir Hilfe kaufen. Habe ich kein Geld, bin ich in der Not abhängig von anderen und es geht mir schlecht. Das führt sogar dazu, dass mancher so idiotisch ist, eine angenehme Arbeit aufzugeben, weil man mit einer unangenehmen Arbeit mehr verdient. Das Motto lautet dann: Das Geld macht alles wett. Arthur Schopenhauer hat sehr schön gesagt: Geld ist Glückseligkeit in abstracto.

Welche Angst ist es, die mit Geld bekämpft wird?

Schmidbauer: Bei Patienten zeigt sich: Die Angst, die mit Geld am meisten bekämpft wird, ist die Angst, die sich in der Adoleszenz bemerkbar macht - nämlich der Verlust der Autonomie. Vor dieser Angst, wieder wie ein Kind von der Gnade anderer abhängig zu sein, schützt das Geld vermeintlich.

Wie entkommt man dann dem ständigen Gefühl der Angst?

Schmidbauer: Ich würde gar nicht versuchen, der Angst zu entkommen, denn es kann nicht gelingen. Stattdessen sollte man lernen, mit ihr umzugehen. In der Theorie ist das sehr einfach, in der Praxis aber sehr hindernisreich. Theoretisch muss man unterscheiden, ob die Angst wirklich vor einer realen Gefahr warnt. Tut sie dies nicht, soll man sie ignorieren, also so tun, als ob die Angst gar nicht da wäre. Auf Dauer ist das eine Strategie, bei der das Ich die Erfahrung macht, dass es stärker ist als die Angst. Lasse ich mich von der Angst bestimmen – beispielsweise indem ich nicht in das Flugzeug steige, nicht zum Examen gehe, nicht die Auseinandersetzung mit meinem Chef suche - wird die Fähigkeit, die Ängste zu neutralisieren, geschwächt. Dann hat sich die Angst als stärker erwiesen. 


Wolfgang Schmidbauer ist Psychologe und Autor und beschäftigt sich schon viele Jahre mit dem Thema Angst. (Foto: dpa)

Literatur von Wolfgang Schmidbauer zum Thema Angst und Geld:

Wolfgang Schmidbauer: Das kalte Herz. Von der Macht des Geldes und dem Verlust der Gefühle, Murmann Verlag 2011, 214 S., 19,90 Euro

Wolfgang Schmidbauer: Ein Land – drei Generationen. Psychogramm der Bundesrepublik, Herder 2009, 260 S., 19,95 Euro.