Kirchliche Wiedervereinigung?

Tobias Radwan

Sehr geehrter Herr Muchlinsky,

mich würde interessieren, ob Sie es für möglich halten, dass die katholische und die evangelische Kirche irgendwann wieder zu einer Kirche verschmelzen?

Mit freundlichen Grüßen

Tobias Radwan

Lieber Herr Radwan,

 

Ihre Frage finde ich spannend, und ich will gern ein wenig spekulieren, denn mehr ist mir nicht möglich. Meine erste Antwort lautet: Nein, ich halte es für ausgeschlossen, dass aus katholischer und evangelischer Kirche irgendwann wieder eine wird. Meine Begründung dafür ist eine recht pragmatische: Es mag "die katholische Kirche" geben, aber "die evangelische Kirche" gibt es nicht. Stattdessen haben sich im Zuge der Reformation unzählig viele evangelische Kirchen von der katholischen Kirche getrennt. Es ist mir nicht vorstellbar, dass all diese Kirchen sich darauf einigen könnten, sich wieder einer gemeinsamen Ordnung zu unterstellen. Es ist gerade die Autonomie, die die evangelischen Kirchen ausmacht, und die sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht wieder aufgeben möchten. Das aber müsste ja geschehen, wenn man sozusagen "in den Schoß der römisch-katholischen Kirche zurückkehren" wollte.

Bliebe also als einzige Möglichkeit für eine "Wiedervereinigung", dass sich die katholische Kirche in dem Sinne veränderte, dass sie ihren Alleinvertretungsanspruch aufgäbe und die Rolle eines Raumes innerhalb des gemeinsamen Hauses einnähme anstelle der Rolle des Daches. Das aber widerspricht dem Selbstverständnis der römischen Kirche vollständig, wie ja schon der Name "katholisch", also "allumfassend" ausdrückt.

Darum halte ich es nicht für möglich, dass es zu einer Verschmelzung der Konfessionen kommen wird.

 

Nun bleibt aber noch die Frage offen, die in der Ihren ja auch mitschwingt: Wäre es denn wünschenswert, dass die Kirchen wieder "verschmelzen"? Lassen Sie mich auch dazu kurz etwas ausführen. Es gibt diverse Menschen, die unter den Unterschieden der Konfessionen leiden. Denken Sie nur an die Gewalttaten, die tatsächlich aus diesen Unterschieden geschehen. Aber auch konfessionsunterschiedliche Paare haben durchaus Probleme durch die Trennung der Kirchen. Insofern wäre es durchaus wünschenswert, dass die Konfessionen sich einander zumindest in Freundschaft zuwenden, wenn nicht gar wieder zu einer einzigen Kirche verbinden. Das würde dann aber möglichst auch für die Ostkirchen gelten, also wirklich für alle.

Ich bin nicht der Meinung, dass die Kirche als die "Gemeinschaft der Heiligen" sozusagen "verwundet" ist, weil es innerhalb der Weltkirche viele verschiedene Richtungen und Gruppierungen gibt. Letztlich kann nur eine Vielfalt uns Nachfolgerinnen und Nachfolger Christi davor bewahren, einer einzigen vermeintlich richtigen Autorität zu folgen, die eben nicht Christus selbst ist, sondern von menschlicher Autorität. Der dauernde Streit ist eine gute Sache, solange er nicht zu Verletzungen führt. Darum lautet mein Votum: Gehen wir miteinander freundschaftlich um. Suchen wir die Gemeinschaft, wo es nur geht. Teilen wir unsere Bibel und ihre Interpretationen, teilen wir möglichst gemeinsam Brot und Wein. Das, so finde ich, sollten wir noch hinbekommen, dass wir gemeinsam Abendmahl feiern. Das halte ich auch sowohl für möglich als auch für dringend geboten. Und über all dies: Niemand möge sich über den anderen erheben und jemals behaupten, seine Weise Christus nachzufolgen sei die einzig selig Machende!

 

Ich grüße Sie herzlich!

Frank Muchlinsky

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