Gott fürchten - Den Herrn fürchten?

Susanne
Gott fürchten
© Greg Rakozy/Unsplash

Hallo Frau Erichsen-Wendt,

in der Bibel lese ich des öfteren die Worte "Gott fürchten," "Den Herrn fürchten" oder ähnliches. Was ist damit gemeint? Fürchten verbinde ich mit Angst. Aber warum soll ich vor Gott Angst haben? Wenn ich vor jemandem Angst habe, dann verstecke ich mich vor ihm oder laufe weg. Vor Gott Angst haben, sich vor ihm verstecken oder weglaufen, das ist doch in der Bibel sicher nicht gemeint wenn dort steht "Gott fürchten," "Den Herrn fürchten" u.s.w. Ich bin gespannt auf Ihre Antwort.

Viele Grüße Susanne

Liebe Susanne, 

Sie stellen eine interessante Frage: Vor wem ich mich fürchte, vor dem laufe ich für gewöhnlich weg. Zu Ihrem Bild des Gott-Mensch-Verhältnisses gehört so ein Bild nicht und Sie haben damit intuitiv etwas Richtiges gesehen. 

In der Bibel ist "Furcht" zunächst die Reaktion auf die Erstbegegnung eines Menschen mit Gott (Ex 34, 10; 2 Sam 7, 23; Ps 66,3; Hi 3,25f.). Denn Menschen nehmen Gott als den "ganz Anderen" wahr, als ein Gegenüber, dass die Macht hat zu heilen und zu zerstören. Dass "niemand Gott sehen und leben kann", ist Ausdruck davon, mit der Wirkmächtigkeit Gottes konfrontiert zu sein. Diese Situation wird dadurch verstärkt, dass der Mensch dadurch auch zu einer vertieften Erkenntnis seiner selbst gelangt: Er wird sich bewusst, wo er gegen Gott gefehlt hat, wo er an anderen Menschen schuldig geworden ist.

Das Spannende ist nun, dass diese Furcht nicht zu einer Trennung von Gott führt. Im Gegenteil: Wer von Furcht ergriffen ist, flüchtet sich gerade zu Gott. In diesem Bei-Gott-Sein verwandelt sich die Furcht in Ehrfurcht, indem der Mensch erkennt, dass es Ausdruck von Gottes Wesen ist, zum Menschen zu sagen: "Fürchte Dich nicht!" (Jes 41,10f). Gott (als den, der alles wirkt) anzuerkennen, bedeutet dann auch, keinerlei Furcht mehr vor geschaffenen Dingen haben zu müssen.  Die Situation der Furcht, die sich aus der Konfrontation mit Gott ergibt, wird also durch eine vertiefte Kenntnis Gottes in Furchtlosigkeit gegenüber den Dingen in der Welt verwandelt. 

Martin Luther hat dies in seinen Katechismen als Grundhaltung des Christenmenschen beschrieben, die uns handlungsfähig macht: "Wir sollen Gott fürchten und lieben, auf dass wir..." formuliert die Grundlogik der Katechismen (http://www.ekd.de/glauben/bekenntnisse/kleiner_katechismus.html). 

Dieser biblisch-reformatorische Begriff von Furcht hat mit der gegenwärtigen Alltagslogik des Begriffes nichts zu tun. Deshalb  wird er auch zuweilen missverstanden. Ein prominenter Satz aus der biblischen Weisheitsliteratur lautet: "Furcht vor Gott ist der Weisheit Anfang." (Ps 111, 10). Hier ist "Furcht Gottes" sogar eine Umschreibung für die Frömmigkeit des Menschen, nämlich dass er sich der Gegenwart Gottes bewusst ist und dass er sein Denken und Handeln im Bewusstsein dieser Präsenz Gottes gestalten möge. "Furcht Gottes" meint also keinen Affekt, wie man sich vor diesem oder jenem fürchtet, sondern die Bindung an Gott, die sich in alltäglichen Handlungen und Entscheidungen lebensbestimmend auswirkt. 

Viele Grüße

Friederike Erichsen-Wendt

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