Europa fliegt: Chaos löst sich langsam auf

Europa fliegt: Chaos löst sich langsam auf
Start frei im Flugverkehr: Europas Luftraum ist praktisch wieder ohne Einschränkungen offen. An den Airports wird es aber noch tagelang Chaos geben. Die Kritik am historischen Flugverbot hält an.
21.04.2010
Von Gregor Tholl

Die bislang einmalige Sperrung des europäischen Luftraums wegen der Aschewolke eines isländischen Vulkans ist am Mittwoch aufgehoben worden. Das wohl größte und teuerste Verkehrschaos der Geschichte löste sich nach gut sechs Tagen ganz langsam auf. Die Deutsche Flugsicherung erlaubte ab Mittwochvormittag wieder flächendeckend Luftverkehr nach Instrumentenflugregeln. Zuvor war das Fliegen lediglich mit Sondergenehmigungen oder im Sichtflug erlaubt gewesen. Es dauert noch Tage, bis die Flugpläne ganz eingehalten werden können. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) verteidigte sein umstrittenes Krisenmanagement.

Nach Angaben der Flugsicherheitsbehörde Eurocontrol sollten am Mittwoch etwa 75 Prozent der normalerweise 28 000 Flüge starten und landen. Auf dem Höhepunkt des Flug-Chaos am Sonntag waren gut 80 Prozent der Flüge ausgefallen. Innerhalb von fast einer Woche wurde an Europas Himmel mehr als jeder zweite Flug gestrichen - etwa 100 000 Verbindungen fielen aus. Normalerweise hätte es in der Zeit 190 000 Flüge gegeben.

1,26 Milliarden Euro Einnahmeausfälle

Nach Schätzungen des Internationalen Flugverbandes IATA belaufen sich die Einnahmeausfälle der Airlines auf mindestens 1,7 Milliarden Dollar (1,26 Milliarden Euro). Auch andere Unternehmen litten oder leiden unter den ausgesetzten Fliegern. Autohersteller Opel sieht sich am Donnerstag zu einer eintägigen Produktionspause im Stammwerk Rüsselsheim gezwungen, weil Teile fehlen. Bei Daimler und BMW hatte es schon zuvor Lieferengpässe gegeben.

"Die Wolke hat sich verzogen", sagte indes Axel Raab, der Sprecher der Deutschen Flugsicherung (DFS) zur Nachrichtenagentur dpa. Die Entscheidung, wieder uneingeschränkt fliegen zu lassen, stützte sich demnach auf den Deutschen Wetterdienst (DWD). Es habe keine gefährliche Konzentration von Asche mehr nachgewiesen werden können. "Das war keine politische Entscheidung", sagte Raab. Zuvor hatten mehrere Airlines die Sperrungen als überzogen kritisiert, darunter Lufthansa und Air Berlin.

Lufthansa will ab Donnerstag Plan einhalten

Die Lufthansa ging davon aus, am Mittwoch 500 von sonst 1.800 Flügen anbieten zu können. Schon am Donnerstag sollte wieder das komplette Programm geflogen werden. Lufthansa-Chef Wolfgang Mayrhuber kritisierte im ZDF erneut den DWD, der sich "sehr stark auf ein Prognosemodell aus England kapriziert" habe. Dieses Modell sei "nicht in Ordnung" gewesen, denn es war keine Wolke zu sehen.

Nach Angaben von Eurocontrol in Brüssel gab es in Europa am Mittwochvormittag nur noch im Norden Frankreichs, in einem kleinen Bereich zwischen Belgien und den Niederlanden sowie über Österreich Einschränkungen für den Flugverkehr. In Nordeuropa blieb der Luftraum über dem Norden Großbritanniens sowie in Schweden gesperrt.

Der volkswirtschaftliche Schaden für Deutschland wird sich nach Einschätzung der Bundesregierung "in Grenzen halten", wie Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) in Berlin sagte.

Sicherheit an erster Stelle

"Die Sicherheit steht an allererster Stelle", sagte Bundesverkehrsminister Ramsauer (CSU) in seiner Regierungserklärung im Bundestag. Dieser Grundsatz habe bei allen Entscheidungen gegolten. Sofort nach Bekanntwerden der heranziehenden Wolke habe er den Krisenstab bei der DFS zusammengerufen. Man habe auch die international zuständige Luftsicherheitsbehörde ICAO einbezogen.

Ramsauer sagte weiter, er habe spezielle Vorsichtsmaßnahmen für die Fluggesellschaften erlassen. Beim Luftfahrtbundesamt werde jetzt ein Meldezentrum für Vorfälle eingerichtet, die mit Vulkanasche zusammenhängen könnten. Zudem habe er angewiesen, die Inspektions- und Wartungsintervalle aller Flugzeuge zu verkürzen.

Die Sperrungen hatten vergangenen Donnerstag begonnen. Teilchen aus Vulkanasche können nach Expertenmeinung die Triebwerke und Sensoren von Flugzeugen beschädigen und Piloten die Sicht nehmen.

Der Wind dreht sich

In den kommenden Tagen wird die Vulkanasche über den Atlantik nach Nord-Nordost getrieben, weil sich der Wind dreht. "Mitteleuropa wird nicht mehr betroffen sein", sagte DWD-Wetterexperte Ansgar Engel in Offenbach.

Ein Sprecher des Meteorologischen Institutes in Reykjavik sagte, der Gletschervulkan schleudere nur noch wenig Asche in die Atmosphäre. Die Rauchsäule aus dem Vulkan unter dem Eyjafjalla- Gletscher erreiche nur noch maximal drei Kilometer Höhe.

Nach Einschätzung des Deutschen Reiseverbands warteten zunächst noch 20.000 gestrandete Urlauber aus Deutschland auf ihre Rückreise in die Heimat. Es sei davon auszugehen, dass die meisten von ihnen am Mittwochabend wieder daheim seien. In den vergangenen Tagen hatte der Verband die Rückreise von tausenden Deutschen koordiniert - mit Sondermaschinen, Schiffen, Bahn oder Bus.

dpa