Wertvolle "Kröten": Kleingeldmangel in Südamerika

Wertvolle "Kröten": Kleingeldmangel in Südamerika
In vielen lateinamerikanischen Städten gehören sie zum Alltag: Lange Menschenschlangen, die morgens vor den Banken warten. Wer mehr vom raren Kleingeld hat, kann ein gutes Geschäft machen.
26.02.2010
Von Friederike Rüll

In vielen lateinamerikanischen Städten gehören sie zum Alltag: lange Menschenschlangen, die morgens zwischen 8.00 und 9.00 Uhr vor den Banken warten. Es sind Besitzer von Restaurants oder Straßenständen, die Wechselgeld für ihr Geschäft eintauschen wollen. Für ein paar kleine Scheine oder Münzen warten sie manchmal Stunden. Denn viel geben ihnen die Banken nicht, und so werden die Händler später jeden Kunden fragen, ob er nicht bitte mit Kleingeld bezahlen kann. Wer etwas mehr von dem raren Kleingeld hat, kann damit sogar ein gutes Geschäft machen.

Busfahrt nur mit Münzen möglich

Kleine Läden und Kioske sind die Stütze des Einzelhandels in Ecuador, Peru und Bolivien. Alle Dinge des täglichen Gebrauchs werden hier angeboten - gegen Kleingeld. Wer beispielsweise in der bolivianischen Hauptstadt La Paz etwas mit einem Schein zu 100 Bolivianos (knapp 10 Euro) bezahlen will, muss lange suchen, bis ein Händler ihn annimmt. Ein frisch gepresster "Zumo", ein Saft, kostet schließlich nur drei Bolivianos. Doch die Geldautomaten zahlen meist nur große Scheine aus. Wer etwas kaufen will, muss sich also in die Schlange der Wartenden vor einer Bank einreihen und Kleingeld eintauschen.

In der argentinischen Metropole Buenos Aires werden zwar überall fast alle Geldscheine akzeptiert; die Stadtbewohner klagen aber über zu wenige Münzen. Sie brauchen sie, um die Busse zu benutzen, "Colectivos" genannt, die das wichtigste Verkehrsmittel sind. Rund 300 Linien verbinden die 48 Stadtviertel miteinander. Tickets gibt es in den "Colectivos" nur an Automaten, und die schlucken nur Münzen.

Die Busgesellschaften sollen die Münzen sammeln und sie den Banken geben, die sie dann über die Händler in den Geldkreislauf zurückführen. Soweit die Theorie. Doch die Händler gestalten ihre Preise oft so, dass sie Papiergeld herausgeben können, wie die Tageszeitung "La Gaceta" kürzlich berichtete. Und die Passagiere hüten ihre Münzen wie einen Schatz, für die nächste Busfahrt.

"Münzen sind ein gutes Geschäft"

Nur zwanzig Pesos (knapp vier Euro) pro Person geben die Banken in Münzen aus, so steht es im Gesetz. Renan Oropeza hat in Buenos Aires ein "Locutorio", einen Laden mit Telefonkabinen. Für den braucht er mindestens 100 Pesos Wechselgeld am Tag. Deshalb wartet Renan morgens nicht vor einer Bank, sondern auch noch in einer anderen Menschenschlange vor dem Busbahnhof, um Hartgeld zu kaufen. "Münzen sind in Argentinien ein gutes Geschäft" sagt er. "Händler bekommen sie von den Busgesellschaften und verkaufen sie an uns. Für 110 Pesos in Scheinen bekommt man 100 Pesos Kleingeld."

Jeder weiß, dass es diesen Schwarzmarkt für Münzen gibt, auch Ignacio Duelo von der Zentralbank Argentiniens. Warum er existiert, kann er sich nicht recht erklären. "Wir haben keine Münzknappheit in Argentinien" sagt er. Und rechnet vor: 658 Millionen Münzen sind im Land in Umlauf, für jeden Einwohner 16 Geldstücke (zum Vergleich: In der Eurozone sind es pro Person 26 Münzen). 2009 waren es 846 Millionen, mehr als jemals zuvor in Argentinien. "Vor zwei Jahren hatten wir nur halb so viele Münzen, da gab es eine Kleingeldknappheit, aber heute nicht mehr", sagt Duelo.

Materialwert der Münzen höher als ihr Nennwert

Warum aber klagen die Argentinier dann über fehlende Münzen, warum schreiben dann die Zeitungen darüber, warum runden die Händler ihre Preise? Renan Oropeza glaubt, es gebe "eine Mafia, die mit den Münzen Handel treibt und sie sammelt, damit sie knapp und wertvoll bleiben". Vielleicht, so fügt er hinzu, "verkaufen sie sie sogar nach Chile, wo sie eingeschmolzen werden. Das lohnt sich, weil der Materialwert der Münzen viel höher ist als ihr Nennwert." Wieviel genau das ist, weiß Ignacio Duelo nicht genau. Oropeza hat eine andere Erklärung: "Die Leute sammeln ihre Münzen, weil sie es aus den Mangelzeiten so gewohnt sind."

Ab März werden in den "Colectivos" in Buenos Aires Magnetstreifenkarten eingeführt. Dann ist es nicht mehr notwendig, die Fahrt mit Münzen zu bezahlen - und ein Heer von Kleingeldhändlern wird sich eine neue Geschäftsidee ausdenken müssen. Oder sie werden im Ausland ihr Gewerbe weiter betreiben, etwa in Ecuador, Peru oder Bolivien.

dpa