Experte: Amokläufe an Schulen sind verhinderbar

Experte: Amokläufe an Schulen sind verhinderbar
In einem neuen Buch erforscht der amerikanische Psychologe Peter Langman die Gründe für Anokläufe an Schulen. Auch das Land Baden-Württemberg hatte nach dem Amoklauf von Winnenden eine Kommission beauftragt, nach Möglichkeiten der Prävention zu suchen. Beide kommen zu dem Schluss: Amokläufe haben vielschichte Gründe, sind aber verhinderbar - wenn man die Signale beachtet.
09.10.2009
Von Hanno Terbuyken

Viele Amokläufe an Schulen könnten nach Ansicht des Soziologen Klaus Hurrelmann verhindert werden. "Alle bisherigen Täter haben ihre Taten lange vorbereitet, manchmal über Jahre, meist über Monate", sagte Hurrelmann am Freitag in Berlin anlässlich der Präsentation des Buches "Amok im Kopf - Warum Schüler töten" des US-Psychologen Peter Langman. "Dabei hinterlassen sie Spuren, die wir erkennen und richtig deuten müssen." Auch die Täter in Deutschland hätten Spuren hinterlassen. Es werde zwar noch dauern, bis ein Frühwarnsystem mit den Schulen, Familien und Therapeuten effektiv greife. "Amokläufe sind aber schon jetzt potenziell vorhersehbar."

In seinem Buch stützt sich Langman auf Ergebnisse von Amokläufen an Schulen in den USA. Diese Erkenntnisse seien aber grundsätzlich auch auf die Taten in Deutschland übertragbar, sagte Hurrelmann, der selber zum Thema Gewalt an Schulen forscht. Gerade die Bezüge zum Innenleben der meist männlichen Täter spiegelten sich bei uns wider.

Bessere Kommunikation und mehr Vertrauen

"Wir müssen auf sensible Suche nach Frühwarnsignalen gehen", sagte Hurrelmann. Dazu könnten zum Beispiel Selbstmordgedanken, konkrete Morddrohungen oder ein übersteigertes Interesse an früheren Schulamokläufen gehören. "Eine einzelne Auffälligkeit reicht aber nicht für eine Gefährdung aus, bei einem Amoklauf kommen viele verschiedene Aspekte zusammen."

Es gehe auch nicht darum, jeden Schüler, der auf irgendeine Weise auffalle, als potenziellen Amokläufer abzustempeln. "Wir dürfen keine Verdächtigungskultur schaffen, sondern müssen im Gegenteil für bessere Kommunikation und mehr Vertrauen sorgen."

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Experten sprechen laut Hurrelmann von rund 100 Schulamokläufen seit 1974 in den USA, Deutschland und anderen Ländern. Dabei sei die Zahl in den vergangenen fünf Jahren deutlich schneller gestiegen. Erst vor wenigen Wochen stürmte ein 18-Jähriger im mittelfränkischen Ansbach in sein Gymnasium und warf Molotow-Cocktails auf seine Mitschüler. Im März erschoss der 17-jährige Tim K. an seiner ehemaligen Schule in Winnenden (Baden-Württemberg) und auf seiner anschließenden Flucht nach Wendlingen 15 Menschen und sich selbst.

Es gibt keine absolute Sicherheit

Nach dem Amoklauf von Winnenden hatte das Land Baden-Württemberg eine Kommission beauftragt, ebenfalls Empfehlungen zur Vermeidung von Amokläufen zu erstellen. Die Kommission beschäftigte sich weniger mit der Psychologie der Täter als vielmehr mit konkreten Maßnahmen, Amokläufe zu vermeiden. Dabei standen die Aspekte Prävention und Früherkennung, Sicherheitsmaßnahmen an Schulen, Wirksamkeit des Waffenrechts und die Rolle der Medien im Mittelpunkt. "Der Bericht des Expertenkreises macht deutlich, dass es keine absolute Sicherheit vor Amokläufen an Schulen gibt", sagte Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech.

Nach Auffassung des Expertenkreises gelte es, erkennbare Risikofaktoren für Amokläufe an Schulen zu reduzieren und die Schutzfaktoren gegen Amok an Schulen zu stärken. Im Hinblick auf die Weiterarbeit mit den Ergebnissen warnt der Expertenkreis vor „einfachen und schnellen Schlussfolgerungen". Konkrete Maßnahmen müssten verantwortungsvoll beschlossen und auf deren Wirkung hin überprüft werden. Aber auch die Kommission kam zu dem Schluss, dass Amokläufe früher erkannt werden könnten: "Amokläufer senden im Vorfeld Signale aus, die auf ihre Pläne und Absichten hindeuten. Es wird daher eine der wichtigsten Aufgaben sein, ein wirksames System der Früherkennung an den Schulen und im schulischen Umfeld zu etablieren", sagte Baden-Württembergs Kultusminister Helmut Rau.

Amokläufer von Ansbach will nicht reden

Hinweise und Erkenntnisse, wie Amokläufe zukünfitg besser verhindert werden könnten, erhoffen sich Behörden auch von der Vernehmung des Attentäters von Ansbach. Der 18-Jährige, der Mitte September das Gymnasium in Ansbach mit Molotow-Cocktails und einem Beil gestürmt hatte, will jedoch nicht aussagen. Der bei der Tat niedergeschossene 18-Jährige sei zwar inzwischen vernehmungsfähig, berichtete der ermittelnde Staatsanwalt Jürgen Krach am Freitag. Aber: "Sein Anwalt hat uns mitgeteilt, dass sein Mandant vorläufig keine Aussage machen will." Die beiden bei dem Amoklauf schwer verletzten 15-jährigen Mädchen sind inzwischen wohlauf.

In einem tagebuchähnlichen Schriftstück, das die Ermittler nach der Tat auf dem Laptop des 18-Jährigen gefunden hatten, nannte er Hass auf die Institution Schule und die Gesellschaft als Motiv für seinen Amoklauf. In den Aufzeichnungen ist auch von Furcht vor einer schweren Krankheit und der Sorge die Rede, er könnte bei der Abiturprüfung durchfallen, obwohl dafür nach Angaben der Schule keine Gefahr bestand. Das deckt sich mit den Thesen des US-Forschers Peter Langmann, der in seinem Buch schreibt, dass sich viele Amokläufer für Versager hielten, auch wenn sie dafür eigentlich keinen Grund hätten.

mit Material von dpa