Altes Korn soll auferstehen

Foto: ZDF/Alexander Hein
Altes Korn soll auferstehen
Wenige Großkonzerne beherrschen die Landwirtschaft in Europa und verbreiten ihr Einheits-Saatgut, von Brüssel gefördert. Alte Pflanzensorten gehen verloren. Doch kleine Initiativen zum Beispiel in Frankreich und Deutschland leisten Widerstand - und züchten ihr eigenes Gemüse. Darüber berichtet Arte an diesem Freitagabend in der Dokumentation "Die Saatgut-Retter".

Wenn wir heute beim Abendmahl gemeinsam das Brot brechen, so tun wir dies zum Gedächtnis daran, dass Jesus selbst einst mit seinen Jüngern zusammensaß und den Laib teilte. Darin sind wir unserem Herrn nah. Wie das biblische Brot aber vor 2000 Jahren schmeckte, wissen wir heute nicht mehr. Das Korn im biblischen Israel hat mit den modernen Hybrid-Saaten des 21. Jahrhunderts kaum noch etwas gemein. Während der kanaaitische Bauer die besten Körner seines Getreides im nächsten Jahr wieder aussäen konnte, auf dass es gute Frucht brächte, muss der moderne Landwirt heute sein Saatgut Jahr für Jahr immer wieder neu dazu kaufen, um überhaupt säen zu können.

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Die Wissenschaftsdokumentation "Die Saatgut-Retter" von der Autorin Anja Glücklich weist bei aller Fülle der Einkaufsregale auf einen wenig beachteten Mangel moderner Ernährung hin: In nur 100 Jahren werden rund dreiviertel der ursprünglichen Sortenvielfalt verloren gegangen sein. Auch die Kammer für nachhaltige Entwicklung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) warnte erst im vorletzten Jahr vor einer drastischen Beschneidung der Biodiversität. Längst dominieren wenige Großkonzerne wie Monsanto, Dupont, Syngenta, Bayer CropScience oder BASF die Nahrungsmittelproduktion in Europa. Im Jahr 2009 hatten am internationalen Saatgutmarkt die 10 führenden Unternehmen bereits einen Weltmarktanteil von 73 Prozent.

Dadurch gibt es immer weniger frei zugängliches Saatgut. Die Menschen essen heute in der Regel nur noch Standard-Mehl und Norm-Gemüse. Es wird allein homogenes Saatgut zugelassen, das dann in der gesamten EU zur Anwendung kommen soll. Die kleinen ökologisch orientierten Saatguthersteller dagegen werden in der Brüsseler Agrarbürokratie kaum berücksichtigt.

Mehr Vitamine und Resistenz gegen Schädlinge

Das französische Prüfungsamt GEVES etwa achtet auf Einheitlichkeit für die industrielle Produktion. Es geht um Einheitsmaße, zurecht gezüchtet für einen effektiven Transport und Standard-Verpackungen. Kaum ein Wunder, dass Gurken, Tomaten oder Wirsing in München, Madrid oder Marseille identisch aussehen. Die Bewahrung von Genvielfalt scheint der EU-Bürokratie dagegen nicht wichtig zu sein. Gegen die Uniformität des Essens wehren sich allerdings Züchterinitiativen. Allein in Frankreich haben sich mehr als 60 kleine Betriebe zu einer bäuerlichen Selbsthilfeorganisation zusammengeschlossen. Wenn sie schon ihre alten Sorten nach EU-Recht nicht verkaufen dürfen, da sie nicht zertifiziert werden, so verschenken sie diese eben in Tauschringen und -börsen.

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Nicht nur die fehlende Sorten-Vielfalt ist ein Problem. Auch die landwirtschaftliche Produktion wird monopolisiert. Von der EU werden vor allem große Einheiten und Betriebe gefördert, die die steigenden Preise für neue Pacht-Flächen noch aufbringen können. Kleine Betriebe können sich da kaum behaupten, geschweige denn vergrößern. "In Europa verschwindet alle zwei Minuten ein Bauernhof. Es ist eine stille Erosion", warnt etwa der Pflanzengenetiker Bob Brac de la Perrière.

Doch um alte Biosorten zu hegen, zu pflegen und zu züchten braucht es gerade kleine Landwirtschaftseinheiten. Öko-Saatzüchter weisen darauf hin, dass ihr Saatgut besser und widerstandsfähiger ist, dabei aber gleichzeitig guten Ertrag bringt. Ihre Pflanzen bilden etwa mehr Vitamine und haben eine höhere Resistenz gegen Schädlinge. Sogar das Gedeihen bei Wasserknappheit ist für alte Sorten möglich. Es sind Züchtungen, die drohenden Klimakatastrophen vielleicht sogar eher Stand halten als die anfälligeren Hochleistungssorten der Agroindustrie.

Öko-David gegen Agrarmulti-Goliath

Aber nur rund 10 Prozent der EU-Zulassungen sind Biosamen. So wird etwa die Produktion von Zuckermais nahezu komplett von Hybrid-Mais made in USA beherrscht. Resistente saatgutfeste, also wieder aussaatfähige Maiskörner gibt es weltweit fast gar nicht mehr. In der Schweiz existiert zwar noch eine solche Sorte, hergestellt von der Firma Sativa, doch dieser eidgenössische Bio-Mais ist in der EU nicht zugelassen. In Brüssel wird derzeit zwar das Saatgut-Gesetz reformiert, aber wohl kaum im Sinne der Biobauern. Mittelständische Bio-Saatguthersteller fühlen sich in ihrer Existenz bedroht.

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"Wir suchen und züchten unsere Möhren nach Geschmack, nicht nach Einheits-Optik. Denn jedes Gemüse für sich hat einen Eigengeschmack", sagt Züchter Thomas Heinze aus dem hessischen Bingenheim. Der Bedarf nach alten Sorten und schmackhaftem Biogemüse und -Obst wächst. Doch Vorsicht, längst sind auch die Saatgut-Multis auf die Öko-Welle aufgesprungen und in Öko-Märkte eingedrungen. Da wird bereits vieles verkauft, was alt und ökologisch klingt, dann aber doch wieder nur hybrid und allein für eine Ein-Jahres-Saat zu verwenden ist. "Oft wird zwar die männliche Sterilität bei der Prüfung erfasst, dann aber gegenüber dem Käufer nicht veröffentlicht. Wir wissen also nicht von den Sorten, ob sie männlich steril sind oder nicht. Es ist nicht nachvollziehbar, warum das geheim gehalten wird. Wenn die Sorten aber steril sind, dann ist das eine Sackgasse. Das ist wie eine Terminator-Technik", warnt Arne von Schulz vom Demeter-Betrieb Fredeburg in Schleswig-Holstein.

Die Saatgut-Retter treten für Transparenz ein. Die Gärtner und Bauern sollen genau informiert werden, was in der Saattüte drin ist. Und sie versuchen Jahr um Jahr alte Sorten zurück zu züchten. Wie ein Öko-David gegen den Agrarmulti-Goliath setzen sie sich für die Bewahrung alter Sortenvielfalt ein. Und vielleicht schaffen sie es in einigen Jahrzehnten sogar, die alten Korn-Sorten durch Rückzüchtung wieder zur Saatreife zu bringen, damit wir wieder eine Ahnung davon haben, wie das Brot zu Jesu Zeiten geschmeckt haben könnte.