Von Boxern und Katern: Die Kultur der Roma

Nedjo Osman (vorn) und Arno Kempf im Stück "Rukeli" des Kölner Theaters TKO
Foto: Klaus Dilger/TANZweb.org
Nedjo Osman (vorn) und Arno Kempf im Stück "Rukeli" des Kölner Theaters TKO
Von Boxern und Katern: Die Kultur der Roma
Die undifferenzierte Debatte um "Armutseinwanderung" trifft das schwächste Glied in der Kette am stärksten: die Roma im EU-Europa. Dabei wäre die Vermittlung der reichen Kultur der Sinti und Roma ein Weg, den Negativklischees eine andere Sichtweise entgegenzusetzen. Die Kultur der Roma zu erschließen ist ein Stück Bringschuld der Minderheit und eine Holschuld der Mehrheit.

Lidija Mirkovic weiß nur zu gut, wovon sie redet. Die in Deutschland lebende Filmemacherin hat für ihre Dokumentation "Slum" neun Monate in einem Belgrader Romaquartier gelebt. Die junge Frau – Mutter Roma, Vater Serbe – nennt sich selbst "Zigeunerin". In Interviews hierauf angesprochen, sagt sie: "Ich halte den Begriff nicht für rassistisch." Er sei eine Bezeichnung "für jene Menschen, die vor etwa 1000 Jahren Indien verlassen haben."

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Mirkovic ist ein Beispiel für junge Künstler, die der Diskriminierung von Roma offensiv entgegentreten, radikal, von den sprachlichen Wurzeln aus. Ihr Konzept: "Ich plädiere dafür, den Begriff Zigeuner beizubehalten, ihn von Klischees befreien und ins Positive wenden."

Das ist gewiss nicht leicht gesagt, erst recht nicht leicht getan. Klischees, vor allem negative, zementieren sich rasch. Ein Klischee zu ändern ist eine Sisyphusarbeit. Um die öffentliche Wahrnehmung zu beeinflussen, braucht es authentische Inhalte. In drei Bereichen der menschlichen Kultur, schreibt der Roma-Experte Werner Heil, beriefen sich die Sinti und Roma auf eine eigene Tradition: im Handwerk, in der Musik und in der Erzählkunst. "Diese weiterzupflegen ist ihr Anliegen." Wer sich allerdings auf die Suche nach diesen Traditionen macht, sieht sich unweigerlich mit einem Dilemma konfrontiert. Wäre die Kultur der Roma ein Schatz, so müsste dieser erst geborgen und sichtbar gemacht werden.

Boxer auf der Bühne

Der aus Skopje/Mazedonien stammende, in Köln lebende Regisseur und Schauspieler Nedjo Osman erlebt Sympathien regelmäßig dann, wenn er im Theater TKO/Choreodrama Romano Stoffe für interkulturelle Begegnungen auf die Bühne bringt. Im letzten Herbst war dies "Rukeli", ein in der Romasprache und in Deutsch inszeniertes Stück über den Sinto Johann Wilhelm Trollmann. "Ruki", wie dieser sich auf Romanes nannte, ist anfangs der 1930er Jahre ein populärer Boxer, verehrt von der Jugend, vergöttert von den Frauen. 1933 wird Trollmann Deutscher Meister im Halbschwergewicht. Die Nazis verunglimpfen den Champion, entziehen ihm den Titel und ermorden ihn im KZ.

Schauspieler Nedjo Osman im Stück "Rukeli" des Kölner Theaters TKO

Ist "Ruki" ein "Held" und damit ein Korrektiv zum Negativimage von Roma heute? Ist "Rukeli" ein idealer Stoff, das Selbstbewusstsein von Sinti und Roma zu fördern und uns eine positive Identität von Sinti und Roma zu vermitteln? "Wir boxen uns durch! Vorbilder - Champions - Idole" heißt plakativ die Integrationsreihe für junge Roma und Nicht-Roma, die mit dem Projekt verknüpft ist. Gut, dass es solche Projekte – bescheiden gefördert von Stadt und Land – überhaupt gibt. Ebenso gut, dass von der Mehrheit positiv empfundene Prototypen unter Sinti und Roma wieder entdeckt werden, deren Biographien imponieren. Ob sie vom Theater aus Wirkung erzielen können, ist dagegen zu bezweifeln. Klein ist der Saal im TKO, äußerst bescheiden der Aufwand für Bühne und Ausstattung, gering das Interesse der etablierten Medien.

Einfache Wirkungsmuster verbieten sich für Osman ohnehin: "Ich verfolge mit dem Stück keine politische Botschaft. Vielmehr möchte ich Zuschauern Ansätze vermitteln, über menschliche Beziehungen nachzudenken, Freundschaft zum Beispiel." Dies ist exakt auch die Intention der in Berlin lebende Autorin Rike Reiniger. Auf ihrem Stück "Zigeuner-Boxer" von 2011 beruht die Kölner Fassung weitgehend. Reiniger möchte ihr Stück nicht als Lehrstück für Integration verstanden wissen: "Mir geht es nicht um politisches Engagement. Wenn aber meine Stücke als Anstoß zu politischem Handeln begriffen werden, begrüße ich dies."

Kultur ohne Schrift

In Frankfurt erlebt derzeit Riccardo M. Sahiti, Gründer und Dirigent der Roma und Sinti Philharmoniker, Tage zwischen Hoffen und Bangen. Seit Monaten verfolgt der 52-jährige das bislang ehrgeizigste Vorhaben des Projektorchesters: eine Aufführung des "Requiems für Auschwitz" am 27. April in der "Israeli Opera" in Tel Aviv zum Gedenken an alle Opfer des Holocaust. Seit der Uraufführung 2012 in Amsterdam haben es die Roma und Sinti Philharmoniker in mehreren europäischen Metropolen aufgeführt.

Die Roma und Sinti Philharmoniker mit Dirigent Riccardo M. Sahiti

"Für das Orchester", schwärmt Sahiti, "wäre die Aufführung in Israel die Chance, ein historisches Zeichen gegen Diskriminierung und Verfolgung von Minderheiten jedweder Herkunft zu setzen." Und, wäre hinzufügen, der Durchbruch für die Philharmoniker als Kulturbotschafter. Wenige Wochen vor dem ersehnten "Go" hängt jedoch das Unterfangen an einem seidenen Faden. Die Finanzierung ist ungesichert.

Mehr als 600 Jahre umfasst die Geschichte der Minderheit in Kerneuropa. Damit auch ihre Kulturgeschichte, die sich in einem vielfältigen Repertoire an Märchen und Geschichten erhalten hat. Womit wir bei einem weiteren Dilemma wären: dem Problem ihrer Aufzeichnung. Über lange Zeit war der Way of life der Roma eine Kultur ohne Schrift. Die Regeln des Zusammenlebens, die Lieder und Geschichten, berichtet Heil, wurden mündlich weitergegeben. So auch ihre hoch entwickelte Kunst des Geschichtenerzählens. Diese Praxis wirkt sich bis heute aus, als Hindernis für eine Kulturoffensive. Zahlreiche Romamärchen gehören zum Kernbestand der europäischen Märchenkultur. Sie sind aber in früheren Zeiten unzureichend oder nicht authentisch aufgeschrieben und nicht systematisch erfasst worden.

Reden über Unsichtbare

Hat der "Gestiefelte Kater" Romawurzeln? Und gibt es nicht weit mehr Herzstücke der Operngeschichte "à la zingara" als Bizets "Carmen" und Verdis "Troubadour"? Um solche Fragen aufzuarbeiten, hat es bisher an Initiativen gefehlt. 

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Einen gewissen Ausweg aus dem Dilemma verspricht neuerdings der Staatsvertrag, den das Land Baden-Württemberg mit dem in Mannheim ansässigen Landesverband Deutscher Sinti und Roma im November abgeschlossen hat. Die grün-rote Regierung in Stuttgart gehört damit zu den Pionieren einer substanzielleren Unterstützung dieser Organisationen auf Länderebene. Ab 2014 soll die Förderung für den Verband auf 500.000 Euro erhöht werden. Einer der Schwerpunkte wird die Intensivierung der kulturellen Arbeit sein.

Sichtbar, sagt die Filmemacherin Mirkovic, seien immer nur die Armen, Anderen, Fremden. "Über all die integrierten, bildungsbeflissenen Sinti und Roma in Deutschland, Italien, Spanien oder der Schweiz, die unsichtbar sind, reden wir nicht." Auch nicht über die "vielen Zigeuner, die sich nicht als solche zu erkennen geben wollen". Wie kaum eine Gruppe sind daher Sinti und Roma gefordert, mit ihrem kulturellen Erbe als ein Pfund gegen negative Wahrnehmung zu wuchern. Es wird ein langer steiniger Weg sein. Aber er wird sich lohnen.