Der Welfenschatz: Streit um Deutschlands wertvollstes Kunstgut

Foto: dpa/Stephanie Pilick
Diese Figur der Mutter Gottes stammt aus dem Jahr 1482 und gehört zum Welfenschatz. Sie ist derzeit im Bode-Museum in Berlin zu sehen.
Der Welfenschatz: Streit um Deutschlands wertvollstes Kunstgut
Die Erben jüdischer Kunsthändler begehren den Welfenschatz zurück, der zu der NS-Zeit an Berliner Museen verkauft worden war. Sein Wert wird auf über 100 Millionen Dollar geschätzt. Damit hat die so genannte Limbach-Kommission am Mittwoch ihren wohl bisher schwersten Fall auf dem Tisch. Zu klären gilt, ob es ein Zwangsverkauf war.
15.01.2014
mit Material von epd

Der Welfenschatz, einst Kirchenschatz der Stiftskirche St. Blasius in Braunschweig, wurde über Jahrhunderte zusammengetragen. Seit dem 17. Jahrhundert gehörte er dem Welfenhaus. In der Weimarer Republik versuchten die Herzöge, den Schatz zu Geld zu machen, zunächst ohne Erfolg. Erst 1929, kurz vor dem Börsenkrach, übernahm ein Konsortium Frankfurter Kunsthändler den Schatz. Auch sie hatten Mühe, den Bestand von 82 Objekten zu veräußern. Die Verkaufsbemühungen zogen sich über mehrere Jahre hin, 40 Stücke konnten schließlich an verschiedene Museen und Privatleute vor allem in den USA veräußert werden.

Der Schatz sei 1935 "unter Wert" verkauft worden - für 4,25 Millionen Reichsmark waren die Stücke nach Berlin gegangen. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) hingegen glaubt, diese Kaufsumme sei angemessen gewesen, das Geschäft rechtmäßig abgeschlossen.

Welfenschatz hat eine lange Vergangenheit

Seit 2008 streiten die Erben jüdischer Kunsthändler mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die die größte deutsche Kulturinstitution und Trägerin zahlreicher Berliner Kultureinrichtungen ist. Beide Seiten reklamieren den weltweit größten Schatz mittelalterlicher liturgischer Heiligtümer für sich. Bereits im September 2013 sollte der Fall verhandelt werden. Doch weil die Anwälte der Erben kurz zuvor neue Gutachten einreichten, wurde der Termin verschoben.

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Das Schlichtungsgremium unter dem Vorsitz von Jutta Limbach, ehemals oberste Verfassungsrichterin der Bundesrepublik, kümmert sich um Streitfälle im Zusammenhang mit NS-Raubkunst und spricht Empfehlungen aus. Allerdings müssen beide Seiten zustimmen. Angerufen wurde die Limbach-Kommission in diesem Fall von der Erbenseite. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz willigte ein, obwohl sie für erwiesen hält, dass es sich nicht um NS-Raubgut handelt.

Die 900-jährige Geschichte dieser christlichen Kunststücke ist so verzwickt wie der juristische Zwist über ihre Rückgabe. Ende 2013 schaltete sich sogar die israelische Kulturministerin Limor Livnat ein und bat den damaligen Kulturstaatsminister Bernd Neumann um eine "faire und gerechte Lösung". Sie erinnerte an das Washingtoner Abkommen, das Deutschland unterschrieben hat. Danach müssen Kunstgegenstände, die Juden in der Nazizeit unter Zwang ("verfolgungsbedingt") verkaufen mussten, zurückgegeben werden.

Käufer für den Schatz sind schwer zu finden

Einig sind sich beide Parteien über die Geschichte der Kunststücke: Die Sammlung wurde 1172 von Heinrich den Löwen, dem Herzog von Sachsen und Bayern, begonnen. Aus seiner Pilgerfahrt ins Heilige Land brachte er Körperteile von Aposteln und christlichen Märtyrern mit, die er in einem vergoldeten Tragaltar in Braunschweig aufbewahrte, bevor sie in eine extra dafür errichtete gegenüber liegende Basilika wanderte. Ab 1651 war die Sammlung, die inzwischen auch goldene Kreuze, Reliquienbehälter und Tragaltare umfasste, Eigentum der Welfenherzöge von Hannover. 

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Die 82 Reliquiare wanderten mit ihnen 1869 ins Wiener Exil. Der letzte regierende Welfe, Herzog Ernst August von Braunschweig-Lüneburg, verkaufte sie Anfang Oktober 1929 an ein Konsortium aus vier deutsch-jüdischen Kunsthändlern für acht Millionen Dollar (siebeneinhalb Millionen Reichsmark). Diese nahmen dafür große Kredite auf und planten die Sammlung rasch mit Gewinn zu verkaufen. Doch nur drei Wochen später stürzte die New Yorker Börse am "Schwarzen Freitag" ab, die Weltwirtschaftskrise begann und machte den Verkauf unmöglich.

In ihrer Not organisierten die neuen Besitzer 1931 eine umfangreiche Ausstellungstour in den USA, konnten jedoch nur 40 der preisgünstigeren Werke für zweieinhalb Millionen Reichsmark verkaufen. Nach langen Verhandlungen verkauften sie im Juni 1935 die restlichen 40 Kleinodien an den Staat Preußen für viereinhalb Millionen Reichsmark. In Archivalien ist nachgewiesen, dass die Verkäufer über die gezahlte Summe frei verfügen konnten. "Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Kunsthändler (von den Nationalsozialisten) erpresst wurden", sagt SPK-Präsident Hermann Parzinger. "Sie gerieten in finanzielle Not aufgrund des Erwerbs des Welfenschatzes drei Wochen vor dem Börsencrash. Der Verkaufspreis war angemessen und wurde tatsächlich ausgezahlt". Die Kunstwerke lagerten zudem damals in Amsterdam, nicht in Nazi-Deutschland. "Der Verhandlungspartner Saemy Rosenberg, der zudem Kunstwerke aus Berliner Museen im Wert von knapp 700.000 Reichsmark ausführen durfte, war offenbar zufrieden mit dem Geschäft. Er schenkte dem Schlossmuseum kurz nach Abwicklung des Verkaufs einen wertvollen Glaspokal."

Geschäft von 1935 soll ungültig werden

Ganz anders sieht es Restitutionsanwalt Markus Stötzel, der die Erben vertritt. Die Vorfahren seiner Mandanten, so der Anwalt, hätten den Schatz 1935 wegen ihrer Verfolgung durch die Nazis verkauft und keineswegs den Marktpreis bekommen. Um den Preis herunter zu drücken, setzten die Käufer, unter ihnen der damalige Preußische Ministerpräsident Hermann Göring zwei deutsche Banker als "Strohmänner" ein, um die wahre Identität der Käufer zu verschleiern. Stötzel sagt, dass die jüdischen Kunsthändler, die damals den Welfenschatz besaßen, zwar unter der Weltwirtschaftskrise gelitten hätten, dass aber erst die Nazi-Verfolgung ab 1933 sie wirtschaftlich ruinierte. Ihr Jahresumsatz sank dann binnen zwei Jahren um 90 Prozent, das beweisen die Steuerbescheide.

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Deutsche Museen und auch viele private Kunstsammler hatten keine Werke mehr von jüdischen Kunsthändlern gekauft, noch bevor die Reichskulturkammer im Juli 1935 Juden den Kunsthandel verbot. Laut Stötzel schätzten Kunstexperten den Wert der restlichen Sammlung 1935 auf elf Millionen Reichsmark, mehr als Doppelte der Summe, die die Händler erhielten (3,3 Millionen). Allein das Kuppelreliquiar, das wertvollste Stück, wurde auf vier Millionen geschätzt. Zudem mussten die Händler für den Restbetrag von 780.000 Reichsmark zwanzig Kunstgegenstände nehmen, die wohl minderwertiger waren als diejenigen, die sie ursprünglich ausgesucht hatten.

Stötzel hofft, dass die Kommission das unmoralische Geschäft von 1935 annulliert. Ihm ist die historische und kulturelle Bedeutung des Schatzes bewusst und darüber würde er gern mit der SPK eine faire Lösung finden, aber erst nachdem die Kommission die historische Ungerechtigkeit revidiert habe.

Die SPK hat bisher in 50 Verfahren 390 Kunstwerke an ihre rechtmäßigen Besitzer zurückerstattet, immer in Einigung mit den jeweiligen Erben. Die Limbach-Kommission steht nun vor ihrer bislang größten Herausforderung: Vor dem Hintergrund des Münchner Kunstfundes Gurlitt und einer international aufgeheizten Stimmung ist die Bundesrepublik unter hohem moralischen Druck. Der Schiedsspruch soll einer fairen und gerechten Lösung dienen - auch im Sinne des Museums. Dies ist unter den gegebenen Umständen aber nur schwer vorstellbar.