Dawit Shanko: Von einem, der weiß, wovon er spricht

Der Blick auf Afrika soll sich ändern. Dafür kämpft Dawit Shanko.
Foto: Valeska Achenbach / Isabela Paci
Der Blick auf Afrika soll sich ändern. Dafür kämpft Dawit Shanko.
Dawit Shanko: Von einem, der weiß, wovon er spricht
Wie kann man jugendlichen jungen Schuhputzern in Äthiopien helfen? Jedenfalls nicht durch ein Verbot der Kinderarbeit, ist sich Dawit Shanko sicher. Der Galerist unterstützt arbeitende Kinder in Äthiopien – und war früher selbst eines von ihnen.

Junge Schuhputzer in Äthiopien – das ist Kinderarbeit, dagegen gibt es UN-Konventionen, Hilfsprojekte, Patenschaften. Wenn Dawit Shanko hingegen an die Schuhputzer denkt, sieht er vor allem Hoffnung: Starke Kinder mit einer Vision für die Zukunft. Und um darauf hinzuweisen, hat er den Verein Listros e.V. gegründet. Er unterstützt Kunst- und Austauschprojekte in Äthiopien und Deutschland und macht mittels der Kunst auf die Situation der Schuhputzer aufmerksam. Eine Situation, die Dawit Shanko genau kennt.

###mehr-artikel###Denn der elegante Galerist mit dem hochgestellten Kragen und dem Seidentuch weiß genau, wovon er spricht: Als der gebürtige Äthiopier elf Jahre alt war, begann er in seinem Geburtsort Addis Abeba Schuhe zu putzen. Seine Eltern verdienten mit Körbeflechten und Bierbrauen zwar genug, um ihn zu ernähren, aber mehr konnten sie ihm nicht bieten. Er erkannte: "Ich muss selbst etwas für meine Zukunft tun". Diesen Moment  empfindet Shanko als prägenden Punkt nicht nur in seinem Leben, sondern im Leben jedes Jugendlichen, der beschließt zu arbeiten. Wie Millionen Kinder weltweit nahm er damals seine Zukunft selbst in die Hand – und putzte zunächst die Schuhe anderer Leute. "Das Arbeiten war für mich wie eine Befreiung", sagt er heute, weil er sich zuhause durch die familiären Pflichten viel eingeschränkter gefühlt habe als draußen beim Schuhe Putzen.  Das Geld, das er verdiente, steckte er nicht etwa in Süßigkeiten oder Videospiele, sondern in Schuluniform, Bücher und Stifte.

Dawit Shanko hat sich seinen Platz in der Welt erarbeitet

Lässig führt der  wortgewandte Akademiker durch die Flure seiner Galerie, die Schiebermütze sitzt so perfekt wie der Hemdkragen, und die Hände nimmt er nur aus den Hosentaschen,  um ein Kunstwerk zu erklären: Etwa das Bild eines Schuhputz-Hockers, das den Platz eines Kindes in der Welt repräsentiere.

Shanko ist, sich seinen Platz in der Welt selbst erarbeitet zu haben: Er lernte trotz seiner Arbeit fleißig für die Schule und bekam ein Schülerstipendium für ein Geodäsie-Studium in der damaligen DDR. Mit siebzehn kam er so nach Deutschland, arbeitete eine Weile als Vermesser. Doch irgendwann merkte Shanko, dass ihn das Technische allein nicht erfüllte. Er folgte einem Traum und gründete 2003 den Verein Listros e.V. samt Galerie im Berliner Westen.

###mehr-links###Dort sammelt er Kunst rund um das Thema der Listros – so heißen die Schuhputzer in Äthiopien, und mit dem Verein, Architekten und Künstlern organisiert er Projekte, um die afrikanischen Listros vor Ort zu unterstützen. Aber nicht auf die "gut gemeinte" Art, wie Shanko die üblichen finanziell ausgerichteten Hilfsprojekte kritisch bezeichnet. Er versucht stattdessen, den Kindern zuzuhören, und ihnen auch hier eine Stimme zu verschaffen. So kamen zusammen mit original äthiopischen Schuhputzboxen auch tausende "Briefe an die Welt" in die Berliner Galerie, in denen die Schuhputzer ihre eigene Botschaft an die Gesellschaft richten. "Weil wir arbeiten, gehen wir satt zur Schule, wer nicht arbeitet, verliert seine Flügel", schreibt da zum Beispiel ein Dreizehnjähriger, oder ein anderer: "Nur große Menschen können kleine Arbeiten machen."

"Einige trauen den Kindern soviel Weisheit nicht zu und vermuten, die Briefe seien eingeflüstert." - dass manche Ausstellungsbesucher nicht glauben wollen, was nicht in ihr Weltbild vom mitleidserregenden Opfer von Kinderarbeit passe, ärgert Shanko. Aber für Dawit Shanko ist das eine Art Selbstschutzmechanismus. "Wer nur Mitleid empfindet und die Anerkennung für den Mut dieser Menschen ausblendet, ist selbst arm. Arm an Vorstellungskraft, an Erkenntnisfähigkeit, an Wissen."

Die Arbeit als Stärke sehen

Und es zeigt, wie viel er noch zu tun hat, um seine Aufgabe zu erfüllen: die Wahrnehmung der Gesellschaft zu verändern, den Fokus von den immer gleichen Schattenseiten auf die positiven Aspekte der arbeitenden Jugendlichen in Afrika zu lenken. "Diese Arbeit muss nicht per se als Problem gesehen werden, sondern auch als Stärke. Die Lebensbejahung, die Zukunftsorientiertheit, die Hoffnung und der Wille, selbst etwas dafür tun, dass morgen alles anders wird – das verleiht diesen Kindern eine grenzenlose Energie."

#Shankos Begeisterung für seine Sache ist mitreißend. Während der zweifache Vater über die Situation der Kinder in Äthiopien spricht, verleiht er der Empörung mit seinen Händen Ausdruck, mahnt "die Machthaber" und richtet Appelle an "die Wohlstandgesellschaft" – und dennoch: Wer von dem Galeristen eine politische Agenda oder gar eine konkrete Lösung für die Frage "Wie helfen?" erwartet, der wird enttäuscht. Für politische Antworten fühlt er sich nicht zuständig. "Ich will einen Schritt zurückgehen, und vor jedem Urteil erstmal die Augen öffnen für die Situation dieser Kinder." Denn Shanko ist überzeugt, "Wenn er die Zusammenhänge erst einmal erkennt, wird jeder Mensch ganz automatisch richtig handeln." Dawit Shanko sagt, er glaube da an das Gute im Menschen. Bleibt zu hoffen, dass er auch diesmal weiß, wovon er spricht.