Kunst und Kirche: "Das lief alles innerkirchlich“

Während der NS-Zeit entfernt, 1955 wieder im Dom aufgestellt: Das Magdeburger Ehrenmal von Ernst Barlach (1929).
Foto: akg-images/Heiner Heine
Während der NS-Zeit entfernt, 1955 wieder im Dom aufgestellt: Das Magdeburger Ehrenmal von Ernst Barlach (1929).
Kunst und Kirche: "Das lief alles innerkirchlich“
In der NS-Zeit haben auch evangelische Kirchengemeinden "entartete Kunst“ aus ihren Räumen verbannt - manchmal allerdings auch gerettet. Ein Interview mit Frank Schmidt, Leiter des Kunstdienstes der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens.

Herr Schmidt, die Gurlitt-Kunstsammlung in München macht Furore. Was hatte die Evangelische Kirche während der Nazizeit mit der sogenannten entarteten Kunst zu tun?

Frank Schmidt: Vereinzelt sind bestimmte Werke aus Kirchen entfernt worden. Zum Beispiel das Kriegerdenkmal des Expressionisten Ernst Barlach aus dem Dom in Magdeburg. In der St. Annenkirche in Annaberg hatte Ernst Müller-Gräfe 1924 große Leiwandbilder für die Gefallenengedächtniskapelle gemalt und die wurden 1937 explizit mit dem Hinweis auf entartete Kunst entfernt.

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War das Programm?

Schmidt: Nein, eine Aktion "Entartete Kunst“ hat im Raum der Kirche nicht systematisch stattgefunden. Weder hat die Kirche die staatliche Aktion in ihrem Raum kopiert und durchgeführt, noch hat der Staat in die Kirche eingegriffen. Selbst da, wo die deutschen Christen stark waren, wie im Landeskirchenamt Sachsen, hat es keine normativen Vorgaben für die Kunst gegeben.

Wer war denn verantwortlich für die Entfernung von Kunstwerken?

Schmidt: Das lief alles innerkirchlich. Es gibt keine Kunst aus Kirchen, die widerrechtlich aus kirchlichem Eigentum entfremdet wurde - das haben die Kirchen selbst gemacht. Auch den sogenannten arischen Deutschen wurden ja übrigens keine Kunstwerke weggenommen, ausgenommen bei Emigration wegen politischer Verfolgung.

Warum hat sich die Kirche nicht gegen die Auffassung von "entarteter Kunst“ gestellt?

Schmidt: Man wollte sich nicht angreifbar machen, man wollte zeigen, dass man gut zum Staat und der neuen Zeit passt. Das hat jetzt nichts mit entarteter Kunst zu tun, aber auf Beschluss vieler Kirchenvorstände in ganz Deutschland hat man in den 30er Jahren hebräische Buchstaben aus den Kirchen entfernt. Auf den Barockaltären stand ja ganz häufig der Gottesnamen auf Hebräisch in einer Wolkengloriole. Und da hat man in vorauseilendem Gehorsam die Buchstaben entfernt. Nach einer gewissen Zeit hat es den Staat aber gar nicht mehr interessiert. Die Kirchen sollten ja sowieso verschwinden. Aber es waren immer Einzelfallentscheidungen, keine Kirchenrichtlinie.

Gab es auch das Gegenteil?

Schmidt: Ja, der sächsische Pfarrer Manfred Müller hat zum Beispiel 1937 einen als "entartet“ geltenden Künstler beauftragt, expressionistische Emporen-Bilder für die Kirche in Jonsdorf im Zittauer Gebirge auszuführen. Und in der Versöhnungskirche Leipzig-Gohlis  hat die NS-“Kampfgruppe für deutsche Kunst“ dem Kirchenvorstand Vorwürfe gemacht, weil die Kirche große Glasfenster des Berliner Künstlers Odo Tattenpach hatte. Pfarrer Johannes Herz hat es aber 1935 abgelehnt, sie zu entfernen.

"Nach 1945 hat man die Kunst wieder ausgepackt"

Wie kommt es, dass der Umgang so unterschiedlich war?

Schmidt: Es gab auch vor der Nazi-Zeit keine große Richtlinie zum Umgang mit Kunst, sondern eher unausgesprochene Übereinstimmung und dann – so ist es ja im Protestantismus oft –  einzelne Pfarrerpersönlichkeiten, die herausragen und sich für etwas einsetzen.

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Was ist mit der entfernten Kunst geschehen?

Schmidt: Die Bilder in Annaberg sind zerstört worden. Das Kriegergedächtnismal von Barlach steht wieder im Magdeburger Dom an der alten Stelle. Andere Dinge hat man einfach in den Keller gestellt und nach 1945 wieder ausgepackt.

Haben sich ideologische Auffassungen auch auf den Bau der Kirchen ausgewirkt?

Schmidt: In der Thüringischen Landeskirche wurden Kirchengebäude, die zur Nazi-Zeit renoviert wurden, wirklich programmatisch im Sinne der NS-Ideologie umgestaltet. Aber Thüringen ist ein Sonderfall, denn die Führung dieser Landeskirche war sehr stark von der NS-Ideologie geprägt. Man kann keineswegs sagen, dass alle Kirchbauten die während des Dritten Reichs entstanden sind – und das sind nicht wenige – besonders geprägt sind. Das Kirchenbauen ging nach 1933 einfach weiter.

Glasfenster des Berliner Künstlers Odo Tattenpach in der Versöhnungskirche Leipzig-Gohlis

Gibt es noch von der NS-Zeit geprägte Kunst in kirchlichen Räumen?

Schmidt: In evangelischen und katholischen Kirchen gibt es Wandmalereien und Skulpturengruppen, wo es zum Beispiel bei dem Mutter-Kind-Verhältnis gar nicht um Maria und Jesus geht, sondern um ein völkisch geprägtes Ideal. Das ist für heutige Betrachter aber gar nicht mehr unbedingt zu erkennen. Der Künstler war ja selbst oft auch ambivalent eingestellt. Die ganz offensichtlich ideologische Kunst gibt es entweder schon lange nicht mehr, oder es gab sie noch nie. Die wenigen Beispiele wo die Kirchen wirklich ideologisch geprägt waren sind entfernt worden, eine bekannte Ausnahme ist die Martin-Luther-Gedächtniskirche in Berlin-Zehlendorf.

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Nach dem Krieg entstanden neue Kirchenausstattungen. Woran hat man sich dann orientiert?

Schmidt: Das ist auch wieder unterschiedlich, vor allem im evangelischen Bereich gab es eine brave, evangelische Kunst, die existierte einfach weiter, und dann haben die etwas Kunstbeflisseneren beider Konfessionen versucht, den Expressionismus nachzuholen, dabei war der auch nicht mehr aktuell.

War das eine bewusste Abgrenzung zur Nazizeit?

Schmidt: Durchaus, ja. Auch der Holzschnitt wurde sehr propagiert. Das war aber in der übrigen Kunstszene auch längst wieder out und die Kirche ist dann von der Szene belächelt worden, weil sie so hinterherhinkt.

Wird die Kirche immer noch belächelt für die Kunst, die sie auswählt?

Schmidt: Nein, das hat sich seit den 80er Jahren gewandelt. Auch die Kunstszene ist sehr viel offener gegenüber Kirche. Viele Künstler freuen sich, weil ihnen kirchliche Auftraggeber mehr Freiraum lassen als andere. Heute ist es ganz frei, es gibt keine verkündeten oder festgelegten Kriterien welche Kunst zur Kirche passt. Das wird je nach Können des Künstlers oder der Künstlerin und der Aufgabe entschieden.

Welche Bedeutung hat Kunst für die Kirche heute?

Schmidt: Sie zeigt, dass die Kirche auch heute noch lebendig ist. Wir würden uns ja sonst einmotten. Kunst ist immer ein Glaubenszeugnis. Es müssen nicht immer die ganz großen Kunstwerke sein, manchmal reicht schon ein besonders gestalteter Osterleuchter.