Regierung und Parlament fordern Aufklärung der Ausspäh-Affäre

Regierung und Parlament fordern Aufklärung der Ausspäh-Affäre
"Das geht gar nicht": Bundeskanzlerin Angela Merkel ist nun doch empört über die Ausspäh-Aktivitäten amerikanischer Geheimdienstler. Sie will nun nicht nur ihre eigenen Rechte, sondern auch die der übrigen Bundesbürger verteidigen.

Der Verdacht, dass das Handy von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) von US-Geheimdiensten abgehört wurde, hat eine neue Debatte über die Ausspähung privater Daten und das deutsch-amerikanische Verhältnis ausgelöst. "Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht", unterstrich Merkel am Donnerstag bei ihrer Ankunft beim EU-Gipfel in Brüssel. In der Beziehung zwischen Verbündeten und Freunden sei Vertrauen notwendig, sagte Merkel: "Solches Vertrauen muss jetzt wieder neu hergestellt werden."

Die Kanzlerin hatte bereits am Mittwoch ein Telefongespräch mit dem US-Präsidenten Barack Obama über das heikle Thema geführt. Es gehe nicht in erster Linie um sie selbst, sondern um alle Bürgerinnen und Bürger, unterstrich sie in Brüssel. Es gelte nun darüber nachzudenken, welche Datenschutzabkommen und welche Transparenz nötig seien. Die Abhöraffäre wurde kurzfristig zum Thema des zweitätigen EU-Gipfels erklärt, da neben anderen auch der französische Präsident Francois Hollande seine Entrüstung über die US-Aktivitäten zum Ausdruck gebracht hat. Der EU-Parlamentspräsident Martin Schulz schlug vor, die kürzlich begonnenen Freihandelsgespräche mit den USA auf Eis zu legen.

Pofalla: Das Abhören der Kanzlerin "eine völlig neue Qualität"

Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) erklärte in Berlin, sollte sich der Abhör-Verdacht bestätigen, stelle das Vorgehen der NSA einen "schweren Vertrauensbruch" dar. Der Kanzleramtschef, der auch für die Koordinierung der Geheimdienste zuständig ist, hatte noch im August erklärt, die NSA-Affäre sei beendet, und sich dabei auf Zusicherungen der Amerikaner und der Briten verlassen.

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Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) bestellte den amerikanischen Botschafter ins Auswärtige Amt ein. Dabei sollte dem Diplomaten nach Angaben einer Sprecherin "die Position der Bundesregierung deutlich dargelegt werden". Der aktuelle Verdacht beschäftigt inzwischen auch die Bundesanwaltschaft.

Der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Thomas Oppermann (SPD), berief eine Sondersitzung des Bundestagsausschusses ein, der für die Kontrolle der Nachrichtendienste zuständig ist. Pofalla sagte nach der Sitzung, durch Recherchen des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" gebe es neue Hinweise, "dass das Mobiltelefon der Kanzlerin möglicherweise durch die NSA abgehört worden ist". Das Weiße Haus habe zwar ausgeschlossen, dass Merkel jetzt und in der Zukunft überwacht werde, "dieses Dementi hat das Weiße Haus aber nicht für die Vergangenheit abgegeben".

Bewahrheite sich, dass die NSA die Bundeskanzlerin in der Vergangenheit "tatsächlich abgehört hat", stelle dies "eine völlig neue Qualität dar", sagte Pofalla, und werfe ein neues Licht auf alle Aussagen aus der Vergangenheit. Die amerikanische und die britische Regierung hatten der Bundesregierung unter anderem versichert, dass keine Gesetze übertreten worden seien.

Ströbele: "Empörend", dass die Kanzlerin erst jetzt reagiere

Pofalla kündigte an, sämtliche früheren Aussagen der NSA würden neu überprüft und stellte eine "vollständige und schnelle Aufklärung der neuen Vorwürfe" in Aussicht. Die Bundesregierung erwarte von den Amerikanern die vollständige Beantwortung aller noch offenen Fragen.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) forderte eine umfassende Aufklärung der Vorwürfe. "Der neue Verdacht sprengt alle Dimensionen", sagte Leutheusser-Schnarrenberger, die weiter geschäftsführend im Amt ist. In Anspielung auf Pofallas Aussage vom August sagte die Ministerin: "Die NSA-Affäre ist nicht beendet."

Der Innen-Experte der Grünen im Bundestag, Christian Ströbele, der auch Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium ist, sagte, es sei "empörend", dass die Kanzlerin erst jetzt, wo sie selbst betroffen sei, die drastischen Maßnahmen ergreife, die sie schon hätte einleiten müssen, als bekanntgeworden sei, dass Millionen von Bundesbürgern abgehört worden seien.

Ähnlich äußerte sich die Initiative Digitalcourage. "Der Abhör-Skandal wurde absichtlich heruntergespielt und die Betroffenheit der Bürger nicht ernst genommen", sagte der Sprecher von Digitalcourage, Dennis Romberg, dem epd. Er hoffe, dass sich aus der Merkel-Enthüllung umgehend Konsequenzen ergeben.